Russischer Geschichtsrevisionismus: Die Erinnerung wird ausgelöscht
Das Gulag-Museum in Moskau musste plötzlich schließen. Es hatte der Opfer des Stalinismus gedacht.
Es sind vier Sätze auf dunklem Hintergrund. Mehr Erklärung wagt das staatliche Gulag-Museum im Moskauer Norden auf seiner Homepage nicht. „Bei einer Inspektion des Museums durch Spezialisten wurden Verstöße gegen den Brandschutz festgestellt“, steht da jetzt. Das Museum bleibt von einem Tag auf den anderen geschlossen, wie lange, weiß niemand.
Der Vorgang zeigt einmal mehr, wie Russland sich von seiner Vergangenheit zu lösen versucht. Das Gulag-Museum ist der einzige offiziell genehmigte Ort im Land, an dem an die Verbrechen des Stalinismus erinnert wird. 2001 war das Museum auf Initiative eines ehemaligen Gulag-Häftlings im Zentrum der russischen Hauptstadt entstanden.
2015 war es in den Norden gezogen, die Stadtverwaltung hatte für den Ausbau eines mehrstöckigen alten Hauses umgerechnet mehrere Millionen Euro bewilligt. Aus dem anfänglichen Hinterhof-Minimuseum war ein auch architektonisch durchdachter Erinnerungsort geworden. Hier versuchten die Mitarbeiter*innen, die riesigen Gedächtnislücken des Landes zu schließen, wenn auch stets unter der Beobachtung des Staates.
Vor allem die Jugend weiß kaum etwas über die „Hauptverwaltung der Lager“, wofür die Abkürzung „GULag“ im Russischen steht. Dieser zunächst administrative Begriff wurde schnell zum Symbol für das repressive sowjetische System an sich. 20 Millionen Menschen durchliefen die Lager, 2 Millionen kamen dabei um, 700.000 Menschen richtete das sowjetische Regime hin und schmiss sie in Massengräber. Die Traumata dieser Zeit, die tiefen Wunden, die sie in so vielen Familien, nicht nur in Russland, hinterlassen hat, sie sind bis heute im Land nicht aufgearbeitet. Der Staat will es so.
Stalinismus, die an Rechtfertigung des Großen Terrors
Seit Jahren löscht das Regime die Erinnerung aus. Der Generalstaatsanwalt hat begonnen, die Rehabilitierung früherer Opfer wieder rückgängig zu machen. Immer wieder werden die Gedenktafeln „Die letzte Adresse“, die an den Häusern der Stalinismusopfer angebracht wurden, abgerissen. Und selbst die traditionelle Aktion „Rückkehr der Namen“, die die mittlerweile verbotene Menschenrechtsorganisation Memorial 2001 ins Leben gerufen hatte, ist untersagt. Keiner soll mehr die Namen der vom Staat Geschundenen laut vorlesen dürfen.
Das Gulag-Museum aber hatte am 30. Oktober zu einem „Gedenkgebet“ aufgerufen. Über Stunden hinweg waren Menschen in den Garten des Museums gekommen, um in erster Linie an die eigenen Verwandten zu erinnern, die Stalins Tötungsmaschine zermalmt hatte. Viele russische Beobachter*innen sehen vor allem darin den Grund der plötzlichen Museumsschließung.
Der Kreml verherrlicht das staatliche Handeln in der Vergangenheit. Stalin ist da ein „effektiver Manager“, der den „Großen Sieg“ gebracht habe. Schuldgefühle seien ohnehin nicht hilfreich, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin dem Gulag-Museumsleiter Roman Romanow bereits vor Jahren gesagt. Die Öffnung der Archive berge ein „zu hohes Risiko“, so der Kremlherrscher, „nicht alle Verwandten werden es angenehm finden, über ihre Vorfahren zu erfahren“.
So pflegt der Staat eine fast schon neutrale Erzählung über den Stalinismus, die an Rechtfertigung des Großen Terrors grenzt. Es empört kaum mehr jemanden, wenn quer durchs Land neue Stalindenkmäler, Stalinbüsten oder Stalinreliefs auftauchen. „Gulag ist über das Heute, nicht nur über das Gestern“, sagte der Leiter des Gulag-Museums stets. Nach der Schließung schreiben manche unter die Museumserklärung: „Das Museum ist zu, doch das, was es erzählt, spielt sich heute außerhalb des Museums ab, vor unseren Augen.“
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