Russische Mitglieder bleiben im IOC: Drinnen und draußen
Das Internationale Olympische Komitee hat beschlossen: Sportler werden bestraft und ausgeschlossen. Funktionäre dürfen weitermachen.
D as IOC ist witzig, und vielleicht lacht es in einem ruhigen Moment herzlich über seine eigenen Doppelstandards. Das Komitee lässt über ein Mitglied, den Schweizer Denis Oswald, mitteilen, dass es aus guten Gründen Russen von internationalen Wettkämpfen auszuschließen empfiehlt. Im gleichen Atemzug sagt der Herr Oswald aber auch: „Wir haben bisher noch nie ein Mitglied aus politischen Gründen ausgeschlossen. Um das zu verstehen, muss man auch wissen: IOC-Mitglieder vertreten nicht ihr Land im IOC, sondern das IOC in ihrem Land.“
Zwei Russen bleiben trotz des IOC-Verdikts unangetastet im Komitee: die putineske ehemalige Stabhochspringerin Jelena Gadschijewna Issinbajewa und der nicht weniger staatstragende Funktionär Schamil Anwjarowitsch Tarpischtschew. Issinbajewa bewundert das einsatzfreudige russische Militär, wohl nicht nur in Syrien: „Jeder Start eines Jets war wie ein Wiegenlied für uns, auf das wir warteten, um einschlafen zu können.“ Tarpischtschew hat sich für seine Systemtreue gleich zweimal den Verdienstorden für das Vaterland umhängen lassen.
Das Zeichen, das das IOC aussendet, ist fatal. Während die olympischen Eliten ungeschoren davonkommen, werden russische Athleten mit einer Kollektivstrafe belegt. Wie der einzelne Sportler zum Angriffskrieg seines Landes in der Ukraine steht, ist bei so einem Vorgehen unerheblich. Er könnte Pazifist und heimlicher Opponent sein, egal, er wird als Kontaktschuldiger haftbar gemacht. Seine Staatsbürgerschaft macht ihn zum Staatstäter, selbst öffentliche Distanzierung könnte ihn nicht erlösen, wenn diese Versippung von Schuld ernst gemeint ist. Wie man in dieser Causa im IOC zu unterschiedlichen Bewertungen kommen kann, ist rätselhaft. Vertreten die Sportler vorzugsweise die FSB-Mafia im Kreml, und sind sie deshalb als passive Vermittler einer kriegerischen Doktrin zu ächten, während die beiden Topfunktionäre als Vertreter des reinen Sports ihre Zugangsberichtigungen für den Olymp behalten dürfen?
Es richtet sich auch gegen kritische Sportler
Denis Oswald, IOC-Mitglied aus und für die Schweiz
Diese besondere Behandlung springt jedem ins Auge, der sie sehen möchte. Doch das ist nur das auffälligste Symptom der IOC-Entscheidung. Das Komitee gibt im Grunde auch einen wichtigen liberalen Ansatz auf: ein Abwehrrecht des einzelnen Sportlers gegen Instrumentalisierung von oben. Wer nach politischer Willkür mit in den Strudel eines Olympiaboykotts gezogen wurde, der durfte als neutraler Einzelstarter trotzdem an den Olympischen Spielen teilnehmen.
Das IOC öffnete diese Tür nach den harten sportpolitischen Kämpfen in den achtziger Jahren. Es stärkte die Rechte des Individuums, das sich so staatlichen Vorgaben, dem Olympiaboykott, entziehen konnte. Warum geht das in einem durchaus vergleichbaren Fall nicht mehr? Weil das IOC die Zeichen der Zeit erkannt hat und einem moralisierenden Kollektivismus das Wort redet?
Doch zurück zu unserem Herrn Oswald: Es ist ja nicht so gewesen, dass das IOC noch nie Mitglieder ausgeschlossen hätte. Was haben wohl Charles Mukora, Agustin Arroyo, Bashir Mohamed Attarabulsi und Pirjo Haeggman, David Sikhulumi Sibandze, Sergio Santander Fantini und Jean-Claude Ganga, Zein El Abdin Ahmed Abdel Gadir, Lamine Keita, Seiuli Paul Wallwork, Rene Essomba, Mohamad Bob Hasan, Ruben Acosta, Iwan Slawkow, Un Yong Kim, Yoshiaki Tsutsumi, Guy Drut und Yong-Sung Park gemeinsam? Sie mussten das IOC verlassen – oder kamen der Entscheidung zuvor. Sie waren zumeist der Korruption verdächtig. Es war die klassische Gier nach Geld und Vorteil, nicht jene moralische Korruption, die nun sehr unterschiedlich gewichtet wird.
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