Russische Kriegspropaganda: Die „schmutzige Bombe“ des Kremls
Moskau behauptet weiter, die Ukraine plane die Zündung einer Bombe mit radioaktiven Inhalten. Westliche Staaten weisen diesen Vorwurf zurück.

Die allerdings wiesen den Vorwurf in einer gemeinsamen Stellungnahme als haltlos zurück und übernahmen stattdessen die Lesart des ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenski, der darauf hingewiesen hatte, so etwas kündige Moskau an, wenn Russland selbst derartige Pläne hätte. Dafür gibt es tatsächlich Präzendenzfälle aus dem Syrienkrieg, wo die Propaganda des Assad-Regimes im Einklang mit Russland vor angeblichen Chemiewaffenattacken der Rebellen warnte – nur um dann selbst solche Waffen einzusetzen.
Mit „schmutziger Bombe“ ist ein konventioneller Sprengkörper gemeint, dem radioaktive Teile beigemischt werden. Es handelt sich also nicht um eine Atomexplosion durch Kernspaltung, wohl aber um eine Detonation mit radioaktiver Verseuchung. Vor dem Einsatz solch „schmutziger Bomben“ durch Terroristen hatten die USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 wiederholt gewarnt – tatsächlich aber ist eine solche Bombe bislang nirgends zum Einsatz gekommen.
Dass der Westen unisono nicht auf die Warnungen einsteigen wollte, erzürnt die russische Regierung offenbar gewaltig. „Dies ist ein Ansatz, der alles andere als seriös ist, ein Ansatz, der, so würde ich sagen, unangemessen ist angesichts der Schwere der Gefahr, über die wir hier sprechen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Nachrichtenagenturen zufolge am Dienstag in Moskau. Ebenfalls am Dienstag wollte Russland das Thema auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrats vorbringen – hinter verschlossenen Türen und weit nach taz-Redaktionsschluss.
Plumpe Fälschungen und falsche Bildzuordnungen
Unterdessen haben Netzrechercheure den vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichten „Beweisen“ für solche ukrainischen Bestrebungen nachgeforscht – und fanden recht plumpe Fälschungen und falsche Bildzuordnungen vor. Benjamin Strick etwa, Rechercheur beim Center for Information Resilience, stellte fest, dass zwei der Fotos, die angeblich ukrainische Atomforschungseinrichtungen zeigen sollen, in Wirklichkeit aus Russland stammen. Ein weiteres Bild, das angeblich ukrainische Atomabfälle zeigen soll, kursiert schon seit mindestens sieben Jahren im Netz und wird immer mal wieder anderen Orten zugeordnet.
Viele Beobachter fühlten sich auch an die rund um den Kriegsbeginn monatelang von Russland lancierte Behauptung erinnert, die USA betrieben in der Ukraine geheime Biowaffenlabore – eine haltlose Falschmeldung.
Nach den Vorwürfen hatte Kiew selbst eine Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) für zwei Forschungsinstitute erbeten, auf deren Arbeit sich Moskau bezieht. Unterdessen meldete der ukrainische Kraftwerksbetreiber Enerhoatom, das russische Militär habe vergangene Woche an Lagertanks für verbrauchten Kernbrennstoff nicht autorisierte Arbeiten durchgeführt. Man nehme an, Russland plane einen Terroranschlag mit Kernmaterial und radioaktiven Abfällen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
US-Außenpolitik
Transatlantische Scheidung
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen