Russische Gegenoffensive: 35.000 russische Soldaten in Kursk
Nach der überraschenden ukrainischen Offensive auf das russische Gebiet Kursk schlägt Russland jetzt zurück. Selenskij sagt, alles verlaufe nach Plan.
Die ukrainischen Streitkräfte hätten diese Gegenoffensive erwartet, erklärte Präsident Selenskij auf einer Pressekonferenz mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda in Kyjiw. „Die Russen haben Aktionen einer Gegenoffensive im Gebiet Kursk begonnen. Alles läuft nach unserem ukrainischen Plan“, so Selenskij. „Im zweiten Monat der Kursk-Operation leiteten die russischen Militärs Aktionen ein, die man als Gegenoffensive bezeichnen kann. Tatsächlich sind auf russischer Seite inzwischen 35.000 Soldaten im Gebiet Kursk“, berichtet Militär Olexandr Kowalenko von der ukrainischen NGO „Information und Widerstand“ (informazini sprotiv).
Offensichtlich glaube die russische Militärführung, so Kowalenko, es ließe sich mit dieser Zahl von Soldaten die ukrainische Armee aus der Region Kursk vertreiben. Begonnen habe die russische Gegenoffensive, so Kowalenko, in den Gebieten Opanasivka-Snahist, Schuravly-Kalyniv, Pogrebky und Borky. Das russische Militär, so das ukrainische Portal glavred.com, wolle mit seiner Gegenoffensive die Blockade des Bezirks Gluschkowskij beenden, die Kontrolle über die Straße Korenevo-Troizkoje und die für die Logistik wichtige Strecke Korenevo-Safonowka wiedererlangen, um somit den eigenen Nachschub zu erleichtern.
Selenskij, so glavred.com, habe in diesem Zusammenhang von einem „Siegesplan“ der Ukraine gesprochen, dessen Erfolg vor allem von der Unterstützung der USA und anderer Partner abhänge. Konkreteres war indes über diesen Plan, der „psychologischen, politischen und militärischen Einfluss auf die Russische Föderation haben“ werde, bislang nicht zu erfahren. Der ukrainische Militärexperte Iwan Kiritschewski geht auf Radio Liberty sogar von 60.000 Mann aus, die das russische Militär für die Gegenoffensive einsetzt.
Tragisch ist dieses Ungleichgewicht für ihn offensichtlich nicht. Schließlich, so Kiritschewski, habe die Ukraine angegriffen, als ihr eine dreifache Überlegenheit von 30.000 Mann gegenübergestanden habe. Und nun müsse sie sich eben gegen 60.000 verteidigen.
Russland meint, Kursk schade der Ukraine
Ganz anders wertet man dagegen die neue Situation auf der russischen Seite. In der russischen Business Gazeta geht der russische Militärexperte Wiktor Litowkin davon aus, dass die ukrainische Besetzung von Teilen des Gebietes Kursk in erster Linie der Ukraine schade. Dadurch seien Kräfte gebunden, die die Ukraine eigentlich in anderen Gebieten, wie Donezk oder Saporischschja brauche. Und deswegen sei es wichtig, die ukrainischen Militärs weiter auf russischem Gebiet zu binden, so Litowkin.
Demgegenüber sieht das russische Portal 360.ru die Verteidigung der Ukrainer „zusammenbrechen wie ein Kartenhaus“. 12.000 ukrainische Soldaten sind nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums im Gebiet Kursk ums Leben gekommen. Auch die russische Seite hat bei den Kämpfen und Luftangriffen Menschen verloren.
Nach Angaben des Sonderbotschafters des russischen Außenministeriums, Rodion Miroshnik, sind allein in der vergangenen Woche 126 Russen verwundet und mehr als 15 Zivilisten getötet worden. Insgesamt seien im August bei ukrainischen Angriffen auf die zivile Infrastruktur mehr als 850 Zivilisten verletzt und etwa 100 Menschen getötet worden.
Wechselseitiger Beschuss
Miroshnik zufolge werden 12 Gebiete der Russischen Föderation regelmäßig von der Ukraine beschossen. Unterdessen wurde bekannt, dass in der Nacht auf Freitag in der ostukrainischen Stadt Charkiw drei Menschen durch einen russischen Luftangriff getötet wurden. Eine weitere Person wurde in der Nähe der Stadt Jampil getötet.
Am 6. August hatte das ukrainische Militär die ukrainisch-russische Grenze überschritten, war 35 Kilometer auf russisches Gebiet vorgedrungen und hatte im Anschluss nach eigenen Angaben mehr als 82 Siedlungen besetzt. Möglicherweise wollte man damit erreichen, so mutmaßt Glavred.com, dass Russland Teile seiner Truppen von der Front Richtung Kursk abziehe und Russland zu einem gerechten Frieden zwingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“