Rundfunkbeitrag in Deutschland: Der Beitragsservice und ich
Unserem Autor soll das Gehalt gepfändet werden – wegen des Rundfunkbeitrags. Dabei hatte er gezahlt. Eine Reise durch die Wirren der Bürokratie.
Die E-Mail war vorsichtig formuliert, schließlich ging es um mein Geld. Noch mein Geld. Es sei ein Pfändungsbescheid eingegangen, schrieb die Kollegin aus der Buchhaltung. Im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Und: „Als Arbeitgeber sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, die Pfändung durchzuführen.“ Ich las und war perplex.
Den Rundfunkbeitrag zahlt meine Frau seit Jahren für unsere Wohnung pflichtgemäß. Wir zahlen sogar gerne. Trotzdem sei ich exakt „888,08 Euro“ schuldig. Die Zahl ist bei Weitem nicht das Absonderlichste an dem, was nun folgte – und was mich durch Ämter, Melderegister und unbesetzte Hotlines schließlich bis nach Süddeutschland führte. Und an den Rand des Wahnsinns sowieso.
Der Beitragsservice, einst „GEZ“, ansässig in Köln, war schon immer so etwas wie die kleine Schwester der Deutschen Bahn: eine an sich sinnvolle staatliche Einrichtung – aber durch miserable Kommunikation, absurdes Verhalten und hohle Werbung mehr kritisiert als akzeptiert. Der Spiegel nannte sie 2012 „die wohl bestgehasste Institution Deutschlands“.
Dann kam die Reform. 2013 fielen die umstrittenen Besuche an der Haustür weg, fortan musste jeder Haushalt in Deutschland pauschal und unabhängig von Geräten einen Rundfunkbeitrag zahlen. Seitdem heißt die Einrichtung „Beitragsservice“.
Es ist nicht so, dass ich durch die Gehaltspfändung verhungert oder auf der Straße gelandet wäre. Es wäre monatlich bloß ein Bruchteil meines Gehalts einbehalten worden, um die 888 Euro und 8 Cent abzuzahlen. Aber ich schuldete ja nichts! Ich musste das richtigstellen. Also folgte ich der Brotkrumenspur aus Hinweisen.
Die Logik des Finanzamts
Erster Hinweis: Im Schreiben des Finanzamts an die taz stimmte meine Adresse nicht. Es handelte sich um eine Wohnung, in der ich seit 2002 nicht mehr wohne und die ich auch nicht untervermiete. Leichte Panik setzte ein. Wie kam der Beitragsservice an diese alte Anschrift?
Ein Anruf beim zuständigen Berliner Finanzamt brachte mich ein Stückchen weiter, aber nicht viel. Laut ihren Unterlagen, sagte die Sachbearbeiterin, handle es sich um Forderungen von 2016 bis 2019. Da lebte ich schon fast 15 Jahre nicht mehr in der genannten Wohnung.
Die Mitarbeiterin des Finanzamts war sehr entgegenkommend. Angeblich habe der Beitragsservice zahlreiche Briefe an die alte Adresse geschickt. Keiner sei zurückgekommen, las sie mir aus der Begründung für den Pfändungsantrag vor. Dass ich nicht reagierte und der Brief nicht zurückkam, nahm man als Beweis, dass ich dort tatsächlich lebte.
Zu diesem Zeitpunkt blieben mir keine zwei Wochen mehr, bis die taz tatsächlich einen Teil meines Gehalts an den Beitragsservice würde abführen müssen. Aber weil keiner der Briefe je bei mir gelandet war, kannte ich weder Aktenzeichen noch konkrete Ansprechpartner*innen – nicht mal eine Durchwahl.
Ein erster Erfolg: Jemand geht ans Telefon
In der Literatur gibt es etliche Auseinandersetzungen mit Menschen, die einer behördlichen Maschinerie wehrlos ausgeliefert sind. Die bekannteste ist wohl Franz Kafkas Roman „Das Schloss“. Der Protagonist, der Landvermesser K., rennt gegen eine Bürokratie an, die sich ihm einfach nicht öffnet. Das Buch ist unvollendet – das macht es für mich noch ein bisschen bedrohlicher.
Nun mag der Vergleich in meinem Fall etwas hoch gegriffen sein. Es ist ja nicht so, dass die Bürokratie meiner Rettung aus einem Bürgerkriegsland im Weg stehen würde. Aber ein Gefühl des Verlorenseins stellte sich ein; der Ohnmacht gegenüber einer Institution, die einerseits Einkommen einziehen kann, andererseits auf Grundlage völlig absurder Informationen agiert.
Dank der Mitarbeiterin im Finanzamt kannte ich nun immerhin meine Beitragsnummer, ohne die geht gar nichts. Aber unter der im Netz aufgetriebenen Service-Telefonnummer des Beitragsservice war niemand zu erreichen. Nur eine Ansage, dass dieser Anruf aus dem Mobilfunknetz eine bestimmte Anzahl Cents koste (der genaue Betrag war nicht zu verstehen) und dass man alle Anfragen auch „bequem“ im Internet vornehmen könne. Danach brach die Verbindung immer ab.
Zwei Tage versuchte ich so, nach Köln durchzudringen. Das war so erfolgreich wie andersherum die Versuche des Beitragsservice, Briefe an meine alte Adresse zu schicken. Endlich trieb ich eine andere Durchwahl auf. Dort war gleich jemand in der Leitung, und sie war obendrein kostenlos!
Allerdings regierte hier das Misstrauen. Der Mann am Telefon war kurz angebunden und wenig zugewandt. Dafür mag man Verständnis haben. Wie viele Menschen beschweren sich wohl unter diesen Hotlines über angeblich ungerechtfertigte Forderungen?
Der Mitarbeiter teilte mir mit: Nein, das Foto meines 2014 ausgestellten Personalausweises mit der seither unveränderten Anschrift, das ich ihm zu mailen anbot, reiche nicht. Ich könne ja an der anderen Adresse einen Nebenwohnsitz haben! Ich bräuchte eine Meldebescheinigung. Die sei online erhältlich – die erste gute Nachricht. Denn Termine bei Berliner Bürgerämtern zu bekommen dauert aktuell wieder mal Monate – zu lange für mich.
Ich bestellte also eine Meldebescheinigung. Lieferzeit: 1 bis 2 Wochen, hieß es in der Bestätigungsmail. Aber würde das Papier wirklich ausreichen? Erneuter Anruf beim Beitragsservice, eine andere Mitarbeiterin diesmal. Nein, sagt die, in meinem Fall sei eine erweiterte Meldebescheinigung notwendig: Auf der stünden alle Anschriften der letzten 20 Jahre.
Doch die gibt es nicht online. Zumindest nicht in Berlin.
Ich überlegte aufzugeben. Um nicht selber zu Kafkas „K.“ zu werden. Im Kopf rechnete ich meinen gegenwärtigen Aufwand gegen den, der mir blühen würde, müsste ich mir die einmal gepfändeten 888 Euro und 8 Cent wieder zurückholen. Ich stellte Kosten-Nutzen-Rechnungen auf, bis mir klar wurde, dass ich besessen versuchte, Irrationales mit Ratio zu bekämpfen.
Gemeinsam gegen die GEZ
Also beschloss ich, stattdessen auf gut Glück beim nächsten Bürgeramt vorbeizuschauen. Eigentlich ein No-Go; könnte ja jeder kommen! Aber es klappte, in nur 20 Minuten. Die Bürokratie, gegen deren verrammelte Eingangstür ich ohnmächtig angerannt war – sie öffnete mir freundlich ein Seitenfenster. Vielleicht lag es am schlechten Ruf des Beitragsservice. Jedenfalls verabschiedete sich die Amtsmitarbeiterin mit den Worten: Die GEZ, die möge sie ja auch nicht. Sie erließ mir sogar die 10 Euro Gebühr.
Endlich also konnte ich beweisen, dass die vom Beitragsservice genannte Adresse seit November 2002 weder registriert war, noch ich eine Zweitwohnung hatte. Die Bescheinigung reichte ich online ein. Und bereits nach zehn Tagen hatte ich Antwort.
Eine Nachforderung von 1.246,50 Euro.
Sollte ich lachen? Weinen? Ich legte den Brief weg, nur um ihn gleich noch mal zu lesen. Dort stand: Aus den von mir übermittelten Informationen gehe hervor, dass ich seit 2007 an der nun korrekten Anschrift gemeldet sei. Das Beitragskonto weise „einschließlich Juli 2021“ den entsprechenden offenen Betrag auf.
Allerdings stand da auch: Falls für diese Anschrift bereits Beiträge gezahlt würden, solle ich Beitragsnummer und Namen der Zahlenden mitteilen. Das war nun, verglichen mit den vorherigen Anstrengungen, ein Leichtes. Mit der Beitragsnummer meiner Frau war die Nachforderung schnell storniert.
Eins aber wollte ich noch wissen: wie der Beitragsservice überhaupt an meine falsche Adresse gekommen war. Im Fall eines Umzugs übermitteln die Meldebehörden die Daten von volljährigen Personen automatisch an den Beitragsservice. Zusätzlich erhält dieser alle vier Jahre bei einem sogenannten bundesweiten Meldedatenabgleich die Daten der Meldeämter zu allen volljährigen Bürgern. Personen, für deren Adresse kein Beitragskonto geführt wird, bekommen dann Post. Selbst recherchieren die knapp 1.000 Mitarbeiter*innen des Beitragsservice keine Adressen.
Auf eventuelle Fehler überprüft werden die Daten auch nicht – „allein wegen der Menge“, sagt mir die Pressestelle. Wobei man sich im Klaren sei, dass die Daten „in Einzelfällen selbstverständlich Fehler enthalten“ könnten. Wie oft das vorkomme, darüber gebe es keine Statistik. Jedenfalls sei es kein „systematisches Problem für den Beitragseinzug“.
In meinem Fall wurde, wie sich herausstellt, die verkehrte Adresse beim letzten Meldedatenabgleich 2018 abgefischt. Nur: von den Berliner Behörden kam sie nicht. Sondern von der kleinen Gemeinde in Baden-Württemberg, wo ich bis 1995 gemeldet war. Die führt in ihrem Register weiterhin meinen ersten – aber eben nicht aktuellen – Berliner Wohnsitz.
Fängt bald alles wieder von vorne an?
Eine Meldebehörde übermittelt also Daten, für die sie nicht zuständig ist und deren Korrektheit sie offensichtlich nicht garantieren kann. Das wirft ein schlechtes Licht auf den kompletten Meldedatenabgleich.
Mein Fall mag ein unglücklicher Einzelfall sein. Eine Häufung dummer Zufälle, die ausgerechnet mich erwischt hat. Auch der Beitragsservice teilt mir mit, man könne sich selbst nicht erklären, wie die falschen Daten übermittelt wurden – und warum keiner der Briefe zurückkam.
Dennoch ist mir das alles an die Substanz gegangen, hat mich verwirrt, geärgert, verunsichert. Und ich habe mich mehrmals gefragt: Hätte ich zum Beispiel als 80-Jähriger Kraft und Nerven gehabt, den Irrtum aufzuklären?
Ein letzter Versuch, ehe ich die Sache ruhen lasse: Anruf in der Gemeindeverwaltung in Baden-Württemberg, die die falsche Adresse gemeldet hatte. Ob es möglich sei, meinen früheren Berliner Wohnsitz zu löschen oder den Eintrag zu korrigieren. Die Daten seien schließlich nicht mehr aktuell, also falsch. Nein, das gehe nicht. Man könne nicht einfach Daten löschen, die ja mal gestimmt hätten.
Gut möglich also, dass beim nächsten Meldeabgleich 2022 die Kettenreaktion von vorne anfängt.
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