Rumoren in Putins Reich: Wer in Russland weint
In Russland gibt es an vielen Stellen Widerspruch gegen Putins Krieg. Manche haben Angst um die eigene Haut, andere weinen um die Ukrainer:innen.
E s wird einsam um den Mann mit dem langen Tisch. Bekannte Instagram-Blogger:innen weinen, weil ihnen der Krieg die Möglichkeit nimmt, sich zu artikulieren, Wissenschaftler sprechen sich gegen den Krieg aus, Offiziere von Putins Lieblingskind, dem Inlandsgeheimdienst FSB, sind im Hausarrest, täglich berichtet die Nowaja Gaseta über die Massaker von Putins „Sonderoperation“, täglich gehen Russ:innen gegen den Krieg auf die Straße. Sogar Putins treuer Vasall Lukaschenko unterstützt Diktator Putin nur mit Worten. Der Mann, der vor nicht allzu langer Zeit Demonstrationen seiner Gegner hatte niederknüppeln lassen, ist sich der Loyalität seiner Belarussen nicht mehr sicher.
Am Dienstag steht die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina in Moskau vor Gericht. Der Vorwurf: sie soll sich an einer nicht genehmigten Aktion gegen die „Sonderoperation“ in der Ukraine beteiligt haben. Sollten Russlands Herrscher die Trägerin des alternativen Nobelpreises und des Nansen-Preises des Flüchtlingswerkes der UNO kriminalisieren, werden sie sich an zwei Punkten die Zähne ausbeißen: Gannuschkina hält sich, im Gegensatz zu anderen Oppositionellen und der Nowaja Gaseta, nicht an die Vorgabe der Regierung, den Krieg als „Sonderoperation“ zu bezeichnen. Sie wird bei der Gerichtsverhandlung ihr klares „Nein zum Krieg gegen die Ukraine“ erklären.
Gannuschkina hat mit ihrer Organisation „Komitee Bürgerbeistand“ Tausenden geholfen. Und diese Menschen werden sich bei einer Kriminalisierung von Gannuschkina nicht auf wütende Posts im Internet beschränken.
Noch kann man nicht davon sprechen, dass sich diejenigen, die sich von Wladimir Putin abwenden, formieren. Doch erkennbar sind sie. Einteilen kann man diese Menschen in zwei Gruppen: diejenigen, die weinen, weil sie Angst um die eigene Haut haben und diejenigen, die weinen, weil sie an die Menschen denken, die von russischen Bomben zerfetzt werden. Beide Gruppen tragen zum Ende des Krieges bei, doch als Nachbarn zusammenleben können die Ukraine und Russland nur, wenn die sogenannten „einfachen Leute“ über das weinen, was in ihrem Namen in der Ukraine angerichtet worden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe