Rücktritt von Kanzler Kurz: Aufstieg und Fall des Sebastian K.
Sebastian Kurz räumt nach einem weiteren Skandal das Kanzleramt. Als Fraktionschef der ÖVP bleibt er aber auf der politischen Bühne. Ein Drama in fünf Akten.
A m Freitagabend noch hat Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einem kurzfristig angekündigten Statement seine politische Handlungsfähigkeit beteuert. Er werde dem Druck nicht weichen. 24 Stunden später ist alles anders. Auftritt Kurz: Es gelte „Chaos zu verhindern und Stabilität zu garantieren“. Daher trete er jetzt „zur Seite“ und werde als Fraktionsvorsitzender der ÖVP ins Parlament zurückkehren, bis die ungerechten Vorwürfe gegen ihn aufgeklärt seien.
Als Nachfolger im Bundeskanzleramt schlägt er seinen engen Vertrauten und Außenminister Alexander Schallenberg vor. Der Diplomat aus altem Adelshaus soll den verletzten Koalitionsfrieden wiederherstellen und Österreichs ramponierte Reputation im Ausland reparieren. Opposition und Medien rechnen damit, dass Kurz weiterhin die Strippen ziehen wird.
Ein Körnchen Selbstkritik muss sein, schließlich dokumentieren Chat-Verläufe schwarz auf weiß, wie der Bundeskanzler über politische Gegner denkt und mit welcher Skrupellosigkeit sein politischer Aufstieg orchestriert wurde. Seinen Vorgänger als ÖVP-Chef, Reinhold Mitterlehner, hat er einst als „Arsch“ apostrophiert, seinen Adlatus Thomas Schmid fragte er, ob man gegen einen populären Plan der Regierung, die er zu sprengen gedachte, nicht „ein Bundesland aufhetzen“ könne. Die Einschüchterung eines kritischen Kirchenmannes fand er „super!“ Manche der SMS-Nachrichten, „die ich im Eifer des Gefechts geschrieben habe“, würde er „klarerweise nicht nochmal so formulieren, aber ich bin eben auch nur ein Mensch“, erklärte Kurz dazu.
Am kommenden Dienstag tritt in Wien der Nationalrat zu einer Sondersitzung zusammen, einberufen von der Opposition aus SPÖ, FPÖ und Neos, die auch einen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz als Kanzler einbringen wollten. Die Grünen, derzeit Koalitionspartner der ÖVP, hatten angedeutet, sie würden diesen unterstützen. Vizekanzler Werner Kogler hatte Kurz angesichts der strafrechtlichen Ermittlungen die Amtsfähigkeit abgesprochen und eine „untadelige Person“ als Partner in der Regierung verlangt. Damit wäre Kurz zum zweiten Mal innerhalb von weniger als zweieinhalb Jahren vom Parlament abberufen.
Mit dem „Tritt zur Seite“ hat Kurz die Krise entschärft und seine Macht gerettet. Die Vertrauensbasis in der Koalition ist dennoch erschüttert. Und die Opposition gibt sich nicht zufrieden, denn das „System Kurz“ sei intakt geblieben.
Aufstieg und Fall des Sebastian K. Ein Drama in fünf Akten
Protagonisten :
Sebastian K., Königsmörder, derzeit Fraktionsvorsitzender
Thomas Schmid, Intimus desselben, derzeit Privatier
Wolfgang Fellner, Zeitungsherausgeber
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
In den Nebenrollen:
Heinz-Christian Strache, ehemaliger Vizekanzler, derzeit Privatier
Reinhold Mitterlehner, ehemaliger Vizekanzler, derzeit Privatier
Johannes Frischmann, Gerhard Fleischmann, Stefan Steiner, August Wöginger,
Mitglieder der Prätorianergarde des Sebastian K.
Alma Zadić, Justizministerin
Christian Pilnacek, hoher Beamter im Justizministerium, derzeit suspendiert
Vorspiel:
Aus dem Geilomobil ins Innenministerium
2010 ist Wahlkampf in Wien. Der damals 24-jährige Chef der Jungen ÖVP (JVP) kurvt mit einem schwarzen SUV, Geilomobil genannt, durch die Straßen der Bundeshauptstadt und versucht seine Altersgenossen zu überzeugen, dass sie ihr Kreuzchen bei den Konservativen machen sollten. Als Anreiz verteilt er schwarze Kondome. Die Kampagne ist nur mäßig erfolgreich: Die Wiener ÖVP sackt gegenüber 2005 um 5 Prozentpunkte ab. Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) schließt eine Koalition mit den Grünen.
Im Bund regiert zu diesem Zeitpunkt eine große Koalition unter Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP). Dieser holt 2011 den 25-Jährigen Kurz als Staatssekretär für Integration in die Regierung. Sein selbstsicheres Auftreten, seine konservative Einstellung und sein Selbstvermarktungstalent qualifizieren ihn für eine Karriere in der großen Politik. Der Jung-ÖVPler entpuppt sich als begnadeter Selbstdarsteller. Die Medien liegen ihm bald zu Füßen.
Zwei Jahre und eine Wahl später wird aus dem ehrgeizigen Staatssekretär der jüngste Außenminister der Welt. Mangelnde außenpolitische Erfahrung macht ein Beraterstab aus Diplomaten wett, der ihn auf Schritt und Tritt begleitet, darunter ein gewisser Alexander Schallenberg. Kurz’ Stunde schlägt während der Flüchtlingskrise 2015, als er erkennt, welche Ängste diese bei Teilen der Bevölkerung auslöst. Als Kontrapunkt zu Angela Merkels Politik setzt er auf Abschottung. „Ich habe die Balkan-Route geschlossen“, sollte einer seiner griffigsten Wahlkampfslogans werden.
Erster Akt: „Projekt Ballhausplatz“
Szene 1: Die Verschwörer
Frühjahr 2016: Junge, schlanke Männer in weißen Hemden mit offenen Krägen sitzen in einem Hinterzimmer an einem Tisch beisammen. Es sind nicht Zeugen Jehovas, sondern Sebastian Kurz und seine Prätorianergarde. Die meisten kennen sich von der Jugendorganisation der Partei JVP. Sie arbeiten an der Zukunft Österreichs, genauer gesagt an der Machtübernahme – zuerst in der ÖVP, dann in Österreich.
Der ÖVP-Vizekanzler heißt inzwischen Reinhold Mitterlehner und ist aus der Sicht der Verschwörer ein Langweiler. Die jungen Männer hecken einen Plan aus, der ihren Anführer möglichst schnell ins Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz bringen soll. Die Voraussetzungen sind gut, denn die große Koalition ist unpopulär. Als im Frühjahr 2016 der SPÖ-Chef Werner Faymann abgesägt wird und der dynamische Christian Kern frischen Wind in die Regierung bringt, ist bei den Verschwörern Feuer unterm Dach. Das „Projekt Ballhausplatz“ muss beschleunigt werden. Dass die Regierung jetzt populäre Maßnahmen wie eine flächendeckende Nachmittagsbetreuung für Kindergartenkinder plant, kommt bei den Verschwörern gar nicht gut an.
Die folgenden Zitate von 2017 sind kein Produkt der Dichtung, sondern so gefallen und jüngst bekannt geworden. Auftritt Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium. Er alarmiert seinen Freund Kurz, damals Außenminister: „Wir müssen bei Banken aufpassen, die wollen das am Montag weiter besprechen und entscheiden – HBK und HVK (Anm.: Herr Bundeskanzler und Herr Vizekanzler) und Mahrer (Harald Mahrer, Chef der Österreichischen Wirtschaftskammer) und Co! Ziel – 1,2 Mrd. für Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch und Vereinbarungen Bund, Gemeinden ohne Länder! Mega Sprengstoff!“
Kurz antwortet umgehend: „Gar nicht gut!!! Wie kannst du das aufhalten?“ Wenig später hat er einen Einfall: „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“
Schmid: „Das sollten wir – wir schicken deinen Leuten heute auch noch die Infos“.
Kurz: „Danke“
Schmid: „Wenn Mitterlehner das macht – 1,2 Mrd. für Kern mit einem Nachgeben bei allen Bildungspunkten, wäre das irre“
Tatsächlich hat die ÖVP bildungspolitische Initiativen der SPÖ über Jahrzehnte abgeblockt. Eine Konsenspolitik mit der SPÖ hätte das Bild von der ÖVP als Betonwand gegen eine fortschrittliche Familienpolitik ins Wanken gebracht und Mitterlehner wohl populärer gemacht. Den Verschwörern kann das nicht recht sein.
Szene 2: Der Medienmogul
Von den Wiener Redaktionsräumen der Tageszeitung Österreich kann man auf den Naschmarkt hinunterblicken, wo das multikulturelle Wien blüht, und auf die vergoldete Blätterkuppel der Sezession, der einst von Gustav Klimt mitbegründeten Heimat der Jugendstil-Avantgarde, denen die Akademie der Bildenden Künste zu starr und zu muffig war. Österreich ist ein buntes Gratisblatt, „die einzige Gratiszeitung, die man auch kaufen kann“, wie es der Kabarettist Florian Scheuba so schön doppeldeutig formuliert hat. Das Blatt gehört den Gebrüdern Wolfgang (geb. 1954) und Helmuth (geb. 1956) Fellner. Österreich ist ein Produkt des frühen 21. Jahrhunderts. Das Erfolgsrezept: Günstige Berichterstattung gegen Inserate. Das Recherchemagazin Dossier hat 2019 dokumentiert, wie die Fellners arbeiten:
„Egal ob im Politik- oder Wirtschaftsressort, bei Österreich gibt es zu Inseraten gefällige Berichte dazu. Interne E-Mails zeigen, dass in Fellners Medien ein Prinzip herrscht: Sie buchen, wir schreiben. Werbung wird als Journalismus getarnt und verkauft, Menschen getäuscht und damit gegen das Gesetz verstoßen. Das beginnt bei Österreich ganz oben. Wolfgang Fellner veranlasst höchstpersönlich Serien redaktioneller Berichte über große Werbekunden.“
Was passiert, wenn man nicht mitspielt, weiß die ehemalige Außenministerin Karin Kneissl zu berichten. Nominiert von der FPÖ, übernimmt sie 2017 das Ministerium von Sebastian Kurz. Dort findet sie einen Werbeetat von 1,8 Millionen Euro vor. Sie fragt sich, wofür das Außenministerium Inserate schalten müsse und widmet 80 Prozent dieses Budgets um.
Als erste Warnungen ungehört bleiben, folgt die Rache der Fellners. Da heißt es bald „Kneissl muss weg.“ Und als sie erkrankt, fragt Österreich: „Ist sie schon tot?“ Die Ministerin fühlt sich an Mafiamethoden der 1930er Jahre in Chicago erinnert. Kneissl in Dossier: „Also entweder du zahlst oder wir fackeln den Laden ab – so ungefähr ist mir das vorgekommen. Und ich habe gesagt, ich zahle keine Schutzgelder.“ Fellner versteht da keinen Spaß, wie seine Kommentare verraten: „Karin Kneissl wirkt zu Beginn schräg, wirr, teilweise ahnungslos im Politgeschäft. Ein Risiko.“
Zweiter Akt: Der Königsmord
Frühjahr 2017: Die Verschwörer sitzen nicht in einem Hinterzimmer, sie verkehren meist über SMS und Whatsapp. Sie sind in strategischen Positionen verankert und können ihre Sabotagearbeit gegen ÖVP-Chef Mitterlehner und die Regierung unter Christian Kern von innen leisten. Dem ehrgeizigen Tiroler Juristen Thomas Schmid, der gerne mit Sebastian Kurz wandern geht, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als Generalsekretär im Finanzministerium kann er Minister Hartwig Löger, einen Quereinsteiger ohne Seilschaft in der ÖVP, manipulieren. Und er sitzt am Geldhahn.
Die Umfragewerte für ÖVP-Chef Mitterlehner sind trotz des Neustarts der Regierung schlecht, die des SPÖ-Kanzlers steigen. Kurz’ Prätorianergarde reicht das nicht. Sie wollen deutlicher zeigen, dass Mitterlehner keine Zukunft hat, während ihr Idol der Mann der Stunde ist. So entsteht die Idee, Umfragen zu frisieren.
Mit Sophie Karmasin sitzt die Leiterin eines renommierten Umfrageinstituts in der Regierung. Auf Drängen von Kurz, so legen es die Chat-Verläufe nahe, hat sie ihre Teilhaberin Sabine Beinschab angewiesen, entsprechende Umfragen herzustellen und in die Medien zu bringen. Bei Österreich stößt man auf offene Ohren, schließlich werden Inserate des Finanzministeriums für mehr als eine Million Euro in Aussicht gestellt.
Bald kann Schmid an Kurz melden, dass die frisierte Umfrage fertig ist: „VP 18, SP 26 und FP 35 laut Beinschab“
Kurz: „Danke Dir! Gute Umfrage, gute Umfrage“, antwortet der Außenminister angesichts der für seine Partei desaströsen Werte.
Schmid: „Umfrage erscheint morgen.
Kurz: „Super danke“
Jetzt muss das Elaborat nur noch an die Öffentlichkeit. Schmid wendet sich an Helmuth Fellner, der für die Finanzen bei Österreich zuständig ist: „Lieber Helmuth, wie besprochen kommen heute die Umfragedaten. Wir schicken sie dir und deinem Bruder. LG Thomas.“
Helmuth Fellner: „Danke für den Einsatz! Super! Sogar Titelseite! LG Helmuth“
Schmid: „Super cool! Freue mich auf unser Treffen!“
Auch die anfangs zögerliche Sophie Karmasin zeigt sich in einem Chat an Thomas Schmid zufrieden: „Das hat gut geklappt, hast schon gesehen?“
Weitere bestellte Umfragen bescheinigen Sebastian Kurz, dass die ÖVP unter seiner Führung zu neuen Höhen aufsteigen würde, unter Mitterlehner jedoch zum Untergang verdammt wäre.
Mitterlehner riecht mittlerweile den Braten, zumal Außenminister Kurz nicht nur im Ausland, sondern auch verdächtig oft in den Bundesländern unterwegs ist. Er trifft sich dort vor allem mit parteinahen Wirtschaftstreibenden und sammelt Spenden für seinen bevorstehenden Wahlkampf.
Thomas Schmid warnt Kurz: „Mitterlehner dreht durch. Droht dem Finanzminister, ihn rauszuwerfen. Spioniert dir in Tirol nach und erkundigt sich, welche Wirtschaftsrunden du dort machst – er hat dort nachgefragt. Es wird immer unerträglicher. LG t“
Bald darauf wirft Mitterlehner entnervt das Handtuch, Thomas Schmid freut sich: „Mitterlehner ist dead like a dodo“. Sebastian Kurz lässt sich von den traditionell starken Bünden und Landeshauptmännern mit Vollmachten ausstatten, wie sie kein ÖVP-Chef zuvor gehabt hat. Triumphal wird er zum Parteichef gewählt. Mitterlehner arbeitet seine Demütigung in einem Buch auf. Thomas Schmid freut sich darüber nicht: „Mitterlehner ist ein Linksdilettant und ein riesen Oasch!!! Ich hasse ihn Bussi Thomas.“ Kurz beruhigt: „Danke Thomas super war dass Spindi (Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger) heute ausgerückt ist. Das stört den Arsch sicher am meisten …“
Dritter Akt: Ibiza
Eine elegante Villa auf der Baleareninsel Ibiza im Juli 2017. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sitzt mit seinem Vertrauten Johann Gudenus, Vizebürgermeister von Wien, dessen Frau Tajana, dem Detektiv Julian Hessenthaler und einer Frau namens Alyona Makarov, die sich als russisch-lettische Oligarchennichte ausgibt, auf einer Terrasse und vernichten Red-Bull-Wodka. Strache will gerne mit Sebastian Kurz in eine Regierung und braucht Geld für den Wahlkampf. Gudenus ist ein schlagender Burschenschafter mit Couleurnamen Wotan, der vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes als Mann mit rechtsextremen Verbindungen geführt wird. Er fungiert als Dolmetscher. Strache macht der vermeintlichen Investorin Vorschläge, wie man Parteispenden am Rechnungshof vorbeischleusen könnte, regt sie an, die auflagenstarke Kronen-Zeitung zu kaufen, wo man dann „Zackzackzack“ unbotmäßige Journalisten feuern und willfährige Schreiberlinge einstellen solle. Er wünscht sich eine Medienszene „wie beim Orbán“ in Ungarn.
Was Strache und Gudenus nicht wissen: Die angebliche Oligarchin ist ein Lockvogel und der feuchtfröhliche Abend wird heimlich aufgezeichnet. Knappe zwei Jahre später – Strache ist inzwischen Vizekanzler in einer Regierung mit Sebastian Kurz – kommt das Video an die Öffentlichkeit, Strache muss zurücktreten, die Regierung platzt.
Vierter Akt: Handy mit 300.000 Nachrichten
November 2019: Die Privatwohnung von Thomas Schmid, Chef der ÖBAG, staatliche Holding für die Beteiligungen an großen Wirtschaftsunternehmen wie Novomatic, Post und dem Mineralölkonzern OMV. Polizisten klopfen an die Tür, legen einen Durchsuchungsbeschluss vor und durchwühlen seinen Schreibtisch. Sein Handy und andere Datenträger werden eingezogen. Thomas Schmid wird bleich und erleidet einen Schwächeanfall. Ihm schwant, was kommen könnte.
Rückblick auf Ibiza: Strache hat als mögliche Sponsoren mehrere Großindustrielle und Immobilienmagnaten genannt. Großzügig verhalte sich auch der teilstaatliche Glücksspielkonzern Novomatic. „Novomatic zahlt alle!“, hatte Strache schwadroniert. Während die meisten von Straches vollmundigen Prahlereien strafrechtlich nicht relevant sein dürften, ruft die Bemerkung über Novomatic die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf den Plan. Sie beginnt zu ermitteln, mit welchen Gegenleistungen ein Projekt für eine Novomatic-freundliche Reform des Glücksspielgesetzes erkauft worden sein könnte. Dabei stößt sie auf Thomas Schmid. Zwar hat er sein Handy kurz vor Eintreffen der Polizei noch auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und damit sämtliche Fotos und Chatverläufe gelöscht, doch gelingt es den Ermittlern, die verschwundenen Daten zurückzuholen. Das Justizministerium, inzwischen von der Grünen Alma Zadić geleitet, lässt die Korruptionsermittler arbeiten. Der starke Mann im Ministerium, Christian Pilnacek, der früher Untersuchungen gegen die ÖVP nach Tunlichkeit gestoppt hat, ist suspendiert und wartet auf einen Prozess. Von den annähernd 300.000 SMS und Whatsapp-Nachrichten haben die Staatsanwälte zwar erst ein Drittel aufgearbeitet, doch die Inhalte sind so brisant, dass Schmid als Chef der ÖBAG zurücktreten muss.
Sein SMS-Verkehr mit Kurz und dessen Vertrauten legen nahe, dass er sich die Ausschreibung für den Posten selbst zurechtgezimmert hat. Andere Chats legen seinen Charakter offen. So klagt er nach Verlust seines Diplomatenpasses im neuen Job, dass er nun „wie der Pöbel“ reisen müsse. Auch die jüngsten Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im Bundeskanzleramt gehen auf Chatverläufe aus Schmids Handy zurück.
Fünfter Akt: Der Stern beginnt zu sinken
7. Oktober 2021: Donnerstagabend vor der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse. Demonstranten schwenken Fahnen und Transparente. Sie skandieren: „Kurz muss weg!“ Am Vortag haben Ermittler die Büros der ÖVP, des Bundeskanzleramts und mehrerer Kurz-Vertrauter durchsucht und Datenträger beschlagnahmt. Kurz und zehn weitere Personen aus seinem Umfeld werden als Beschuldigte geführt. Es geht um Untreue, Bestechung und Anstiftung zur Bestechung. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Die Grünen setzen dem Koalitionspartner das Messer an. Sie wollen nur mit einer „untadeligen Person“ weiterregieren. Kurz vergattert darauf Bünde, Landeshauptleute, Minister und Abgeordnete, ihm schriftlich ihre unverbrüchliche Treue zu versichern. Eine Regierung mit der ÖVP werde es nur mit Kurz als Kanzler geben. Neue Chats werden publik, die den Charakter der Kurz-Seilschaft offenlegen. Es wächst der Druck aus der eigenen Partei. Nach 35 Jahren an der Regierung will man nicht die Macht verlieren.
9. Oktober, beste Sendezeit: Auftritt Kurz: Es ist alles anders. Er trete zur Seite, bis sich die „falschen strafrechtlichen Vorwürfe“ in Luft aufgelöst hätten. In der Parteizentrale feiert man den genialen Schachzug und bereitet sich auf die triumphale Rückkehr des Helden bei baldigen Neuwahlen vor.
Vorhang.
Epilog:
Abgeordnete genießen, anders als der Bundeskanzler, Immunität vor Strafverfolgung. Ob die ÖVP ihre Zusage wahrmacht, Kurz diese Immunität zu entziehen, damit er vor Gericht seine Unschuld nachweisen kann, wird sich erst in des Dramas zweitem Teil weisen. Dieser wird erst in den kommenden Monaten geschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde