Debatte mit Julian Hessenthaler: Die Einsamkeit des Whistleblowers

Julian Hessenthaler, der Produzent des „Ibiza“-Videos, diskutierte in Wien. Ein Lehrstück über Österreich, Korruption und illiberale Demokratie.

Ein kleiner Pool mit gelbem Schwimmring auf dem Areal der Villa auf Ibiza

Am Pool der Villa, wo alles begann Foto: Reichwein/imago

In Österreich kommt es derzeit vor, dass wildfremde Menschen sich auf der Straße bei Julian Hessenthaler bedanken. Das taten auch Be­su­che­r:in­nen im Wiener Volkstheater, nachdem er dort eine Stunde lang auf dem Podium Rede und Antwort stand. Der Produzent des Videos, das den „Ibiza“-Skandal auslöste, hat sich um die öffentlichen Angelegenheiten Österreichs verdient gemacht. Doch die Erfahrung, derart anerkannt zu werden, ist neu für ihn.

Nach dem 17. Mai 2019, dem Tag, an dem die SZ und der Spiegel sechs Minuten Videomaterial veröffentlichten, die die politische Klasse Österreichs erschütterte und die Regierung zu Fall brachte, erfuhr Hessenthaler die Einsamkeit des Whistleblowers, dem der erhoffte Rückhalt durch die Zivilgesellschaft versagt bleibt.

Er ging nach Deutschland, wurde nach Österreich ausgeliefert, in einem Drogenprozess vor einem Gericht in der Provinz zu einer Haftstrafe verurteilt, der in der Sache nichts mit „Ibiza“ zu tun hatte, aber die Alarmglocken bei allen denen schrillen ließen, die sich um den Schutz von und den Vertrauensschutz für Whistleblower sorgen.

So ziemlich alles an diesem Prozess war für kundige Be­ob­a­che­r:in­nen mit einem Fragezeichen versehen. Dazu der überschießende Ermittlungsaufwand, den Urheber des Videos zu finden, dessen Anfertigung weder in Spanien noch Österreich strafbar war. Mit den Instrumenten europaweiter Strafverfolgung hat Österreich möglicherweise deutsche Behörden und Gerichte zu Entscheidungen veranlasst, die sie bei einer möglichen inhaltlichen Prüfung möglicherweise nicht getroffen hätten.

Gerechtigkeit in eigener Sache, so wie Julian Hessenthaler sie sieht, kann er in Österreich derzeit nicht erwirken. Die Beweiswürdigung seines Urteils konnte nach der österreichischen Strafprozessordnung im weiteren Instanzenzug nicht mehr überprüft werden. Seine Hoffnungen liegen in Straßburg. Eine erfolgreiche Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte könnte die Wiederaufnahme des Verfahrens bewirken.

Stereotyp des halbseidenen Detektivs

Seit wenigen Wochen ist Hessenthaler wieder frei. Was das Wiener Volkstheater, die Rechercheplattform Correctiv, die seinen Fall und dessen Ungereimtheiten noch einmal detailliert untersuchte, und Gruppen der Zivilgesellschaft wie die Anti-Korruptionsinitiative „Saubere Hände“ ihm stattdessen bieten können, ist politische Gerechtigkeit, sich als Stimme in der Debatte und Subjekt des eigenen Handelns in seinen Motiven und Zielen erklären können.

Zu lange wurde nur über ihn geredet, das Stereotyp vom halbseidenen Detektiv verfestigt, der sich nur wichtig macht oder windige Geschäfte betreibt. Jetzt kann er berichten, wie er in Österreich das Fürchten lernte. Auf die Frage, ob nach dem „Ibiza“-Video noch weitere Enthüllungen zu erwarten sind, lächelt Hessenthaler kurz und antwortet: „Da kommt noch was.“

Das Theater ist mit der Causa Hessenthaler unverhofft bei seiner jahrtausendealten Kernkompetenz angelangt, der Repräsentationskritik. Das Vermögen, denen eine Stimme zu geben, die die Herrschenden allenfalls als unbeachtliches Geräusch wahrnehmen.

In einer Zeit, in der Theater noch Stücke hervorbringen konnte, die die Totalität gesellschaftlicher Verhältnisse widerspiegeln, hätte Ibiza und die Folgen zum Wurf von Ibsen’schem Ausmaß geraten können. In der Gegenwart kommt das Theater damit in der Sphäre postautonomer Kunst an. Es nutzt sein verbliebenes symbolisches Kapital zu zivilgesellschaftlichem Aktivismus.

Fesseln für die Justiz

Dem Auslöser einer, wenn auch potentiell bereinigenden Staatskrise eine Bühne zu bereiten, macht nicht nur Freunde. Ein konservatives Blatt etwa, das seinen Chefredakteur vor Kurzem durch das Bekanntwerden allzu großer Nähe zu Sebastian Kurz und seiner Entourage verloren hat, ätzte vorweg über die „Turbo-Resozialisierung von Straftätern“.

Die Demokratie in Österreich gefährdet, so das Panel im Wiener Volkstheater, derzeit zweierlei, die wechselseitige Abhängigkeit von Politik und Medien, der Abtausch von öffentlich finanzierten Inseraten gegen Gefälligkeitsberichterstattung für Parteien sowie Versuche aus Regierungskreisen, einer in Sachen Korruption überraschend handlungsfähigen Justiz Fesseln anzulegen. Der Weg von Wien nach Budapest ist derzeit nicht allzu weit.

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