Rückgabe von Kunst aus der Nazizeit: Sie warten schon so lange
Strittige Fälle von NS-Raubkunst sollen ab 2025 durch ein Schiedsgericht entschieden werden. Doch an dem neuen Gremium entzündet sich harte Kritik.
Flechtheim starb 1937 elend im Londoner Exil. Die drei Kunstwerke befinden sich heute im Besitz des Freistaats Bayern. Der dortige Kunst- und Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) hat eine Restitution an Flechtheims Großneffen Hulton abgelehnt und verweist in einem Schreiben an den von diesem beauftragten Rechtsanwalt Markus Stötzel darauf, dass „das Eigentum Alfred Flechtheims an den drei Kunstwerken nicht zweifelsfrei belegt werden“ könne.
Allerdings war Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung in einem der taz vorliegenden Schreiben an das Ministerium zuvor zu einem ganz anderen Urteil gekommen: Er empfahl die Restitution der Bronze. Auch beim Klee-Bild „Grenzen des Verstandes“ sei ein „Entgegenkommen des bayerischen Freistaats“ anzuraten, der zweite Klee solle auf Besitzansprüche überprüft werden.
Weil Blume aber darauf beharrt, dass die Provenienz der Kunstwerke strittig ist, sollen diese nun zu den ersten Fällen für das neue Schiedsgericht werden, die künftig über die Restitution von NS-Raubkunst in öffentlichem Besitz entscheiden soll. Gleiches gilt für das Picasso-Gemälde „Madame Soler“, bei dem Bayern bisher die Prüfung einer Rückgabe an die Erben der von den Nazis verfolgten jüdischen Besitzers abgelehnt hat.
Der Freistaat steht mit seiner Verweigerung einer Restitution nicht alleine da. Auch Nordrhein-Westfallen lehnt die Rückgabe eines Gemäldes aus der Flechtheim-Sammlung ab. „Die Nacht“ von Max Beckmann befindet sich in der landeseigenen Kunstsammlung NRW. Doch das Land wartet lieber auf das projektierte Schiedsgericht, anstatt das Verfahren zu beschleunigen. Ob ein kurz vor Weihnachten (20.12.) gestarteter Appell von Hultons Anwalt an Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) daran etwas ändern wird, darf bezweifelt werden.
Die Gründung dieses Schiedsgerichts steht kurz bevor. Ein Teil der Länder-Kabinette hat dem Verwaltungsabkommen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, das als Grundlage für das Gremium dient, bereits zugestimmt. Anfang 2025 will das Bundeskabinett die Angelegenheit durchwinken, danach wäre der Weg für dieses neue Instrument für die Entschädigung von durch die Nazis gestohlener Kunst bald frei.
Bis das Schiedsgericht arbeitsfähig ist, dürfte nach der Schätzung von Experten nahezu das ganze Jahr 2025 vergehen. Das bedeutet auch, dass der 78-jährige Michael Hulton noch einmal lange auf eine Entscheidung warten soll – mindestens bis 2026. Schon seit 2008 streitet er um die Rückgabe der Kunstgegenstände. Nun bittet Minister Blume noch „um ein wenig mehr Geduld“. Mit-Erbin Penny Hulton hat davon nichts mehr. Sie war im Sommer im Alter von 96 Jahren verstorben.
Folgt jetzt eine Verschlimmbesserung?
Eigentlich könnte die Beratende Kommission sofort darüber entscheiden, wem die Kunstwerke gehören, solange das Schiedsgericht noch nicht arbeitsfähig ist. Doch Blume hat offenbar jedes Vertrauen in das bisher zuständige Gremium für die Rückgabe von NS-Raubkunst verloren, dessen Entscheidungen von Kritikern als zugunsten der Verfolgten bewertet wurden. Die Kommission sei personell und strukturell nicht gut aufgestellt gewesen, sagte Blume Anfang Dezember (4.12.) vor dem Haushalts- und Kulturausschuss des Bayerischen Landtags. Beim Schiedsgericht, das die Kommission ersetzen soll, bestehen solche Vorbehalte offenbar nicht.
Nun wird jedoch Protest gegen diese Schiedsgerichts-Regelung laut, die eigentlich von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) als Verbesserung für die Nachfahren der Opfer verstanden wird. Denn erstmals können diese auch dann ein Verfahren anstrengen, wenn die von einer möglichen Rückgabe betroffene Institution das ablehnt. „Mit der Reform wird es endlich die Möglichkeit einer einseitigen Anrufbarkeit geben und zudem wird die Einbindung der Opfer und ihrer Nachfahren in das Entscheidungsgremium gestärkt“, lobt Roth.
Doch Vertreter von Nachfahren in Fällen von NS-Raubkunst äußern erhebliche Zweifel daran, dass das Schiedsgericht tatsächlich einen Vorteil für die Bestohlenen bringt. Sie fürchten eher das Gegenteil. „Das Schiedsgericht und sein Bewertungsrahmen sind an Zynismus kaum zu überbieten. Der Zugang zu Restitutionen wird in Zukunft tatsächlich massiv erschwert“, äußert sich Rechtsanwalt Markus Stötzel dazu gegenüber der taz.
Der Jurist und Provenienzforscher Willi Korte recherchiert für die Erben des jüdischen Düsseldorfer Kunsthändlers Max Stern. Der Kunst-Detektiv hat schon den Quedlinburger Domschatz aufgespürt. Die Schiedskommission habe „große Verärgerung und Unsicherheit“ ausgelöst, sagt er der taz. Die Beratende Kommission habe in jüngster Zeit nicht nur juristisch argumentiert, sondern „den Kontext der Verantwortung für NS-Verbrechen“ berücksichtigt. Schließlich, so der in Washington DC lebende Korte, „geht es hier nicht einfach um Kulturgut, sondern um Verfolgung und Ermordung während der Nazi-Zeit“.
Kritik am Schiedsgericht
Die Kritik entzündet sich an dem Bewertungsrahmen, dem das künftige Schiedsgericht unterliegt. Der blieb lange geheim, bis ihn der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Linke) vor kurzem auf seiner Homepage öffentlich machte. In dem Papier heißt es unter anderem, dass ein Fall von NS-Raubkunst „nicht vermutet“ wird, wenn eine aus dem Nazi-Reich geflohene Person einen Kunstgegenstand dort verkauft. Kritiker interpretieren die Bestimmung so, dass ein ins Exil gezwungener Jude, der im Ausland ein Bild verkaufen musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, keinerlei Anspruch auf eine Restitution hat.
Aus einen der beteiligten Landes-Ministerien heißt es dazu, die Restitutionsverweigerung gelte keineswegs „absolut“ und Betroffene hätten die Möglichkeit, einen Gegenbeweis anzutreten. Das Haus von Kulturstaatsministerin Roth erklärt, bei der Regelung handele es sich in Wahrheit um einen „Fortschritt, denn erstmals werden überhaupt solche Fluchtgutfälle in den Blick genommen“. Das ist zwar richtig, war aber, so Kritiker der Neuregelung, bisher kein Hindernis für eine Entscheidung zugunsten von exilierten Juden.
So urteilte die Beratende Kommission 2019, dass der Bund zwei Gemälde Bernado Bellottos an die Erben von Max Emden zurückgeben müsse. Emden musste die Bilder im Exil aus Not heraus verkaufen. Weiter heißt es aus Roths Ministerium zu der Frage, das Schiedsgerichts könne prüfen, ob der Verkäufer eine „freie Verfügbarkeit“ über den erzielten Preis besessen habe. Wenn dies nicht der Fall gewesen sein, könne die Kommission den Fall entsprechend bewerten. Auch dies stimmt, allerdings bestimmt die Vorgabe, dass im Regelfall davon auszugehen sei, dass es sich eben nicht um NS-Raubhut handelt. Anders ausgedrückt: Der Ermessensspielraum verengt sich.
Es sei das Kleingedruckte, dass die Neuregelung der Restitution bei NS-Raubkunst zum Problemfall macht, sagt einer der mit der Materie Betrauten. Der Guardian schreibt, dass aus Claudia Roths beabsichtiger Verbesserung eine „Verschlimmbesserung“ geworden sei.
Auf rund 600.000 wird die Zahl der Kunstgegenstände geschätzt, die die Nazis zwischen 1933 und 1945 gestohlen haben. Gemäß den Washingtoner Prinzipien sollen für diese Kulturgüter gerechte und faire Lösungen gefunden werden. Einige Kritiker der Neuregelung bezweifeln, dass die Schiedsgerichte in ihrer jetzigen Form diesem Prinzip entsprechen.
Bayern zählte zu den ersten Ländern, deren Ministerrat sich mit dem neuen Schiedsgericht befasste. „Bayern macht Tempo“, nannte Minister Blume das in einer Pressemitteilung und sprach von der „schnellstmöglichen Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit“. Dass dies zugleich für Michael Hulton zu einer erneuten Verzögerung führt, ließ er unerwähnt. Hulton sagte dem Guardian: Nach dem er 15 Jahre lang versucht habe, die bayerische Regierung dazu zu bringen, „die Verfolgung, das Leid und die Ausplünderung meiner jüdischen Familie während des Holocaust anzuerkennen, stoße ich an eine Wand“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden