Roter Reis zur Menstruation: Ein Schälchen Trost
Der Umgang mit Menstruation ist komplex. In vielen Staaten wird die Regel tabuisiert, in anderen zelebriert – und in Japan beides gleichzeitig.
Am Abend des Tages, an dem meine japanische Mutter ihre erste Blutung bekam, gab es Osekihan zum Essen – Klebreis mit Azukibohnen, die den weißen Reis rötlich färben.
An ihr konkretes Alter an jenem Tag kann sie sich nicht mehr erinnern, wohl aber an die Verwirrung, die sie empfand, als sie dunkle Flecken in ihrer Unterwäsche entdeckte. Ohne zu ahnen, was es damit auf sich hatte, warf sie die befleckte Wäsche aufs Bett und ging zum Kalligrafie-Unterricht – von dem ihre Mutter, meine Großmutter, sie hektisch abholte. „Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, aber war froh, dass ich schwänzen durfte“, erzählt meine Mutter mir grinsend knapp fünf Jahrzehnte später.
Dass zu jenem Anlass Osekihan serviert wurde und noch heute wird, sagt viel darüber aus, wie Japan zur Menstruation steht. Denn das Gericht, das aus Mochigome – so wird Klebreis auf Japanisch genannt – besteht, wird für gewöhnlich zu feierlichen Anlässen aufgetischt.
An Neujahr etwa oder zu Obon, dem buddhistischen Feiertag zur Erinnerung an verstorbene Ahnen. Auch bei einem Umzug oder einer Geburt gibt es Osekihan. Der rote Reis gilt als Glückssymbol, wie meine Mutter mir erklärt, und da man das Glück auch gern mit anderen teilt, hat meine Großmutter oft gleich auch die Nachbarschaft und Verwandte mit ihrem frisch gekochten Osekihan bedacht.
Bekommen das etwa alle aus der Nachbarschaft mit?
Ich möchte wissen, ob der rote Reis der ersten Monatsblutung auch an die Nachbarschaft verteilt wird. Meine Mutter lacht auf: „Nein, das geht doch niemanden etwas an!“ Nun ja: fast niemanden. Sie erinnert sich noch, wie unangenehm es ihr war, als der rote Reis abends vor ihrem Vater serviert wurde. Ob er etwas dazu gesagt habe, frage ich. „Nein. Er hat den Reis stumm zur Kenntnis genommen und gegessen.“
Dass meine Mutter vor ihrer ersten Blutung nichts von der Menstruation wusste, überrascht mich ein wenig. Denn auch, wenn mir als Kind schleierhaft war, warum meine Mutter blutete, wusste ich wenigstens, dass sie blutete. Ich wusste, dass sie Tampons verwendete, weil ich sie mehrmals damit im Bad gesehen hatte. Ich wusste auch, dass die Menstruation eine Qual sein kann, weil meine Mutter immer Schmerzmittel nehmen musste, um während der Regelblutung irgendwie den Alltag zu schaffen.
„Oma hat es eben gut versteckt“, sagt meine Mutter zu mir. Nie habe ihre Mutter über Bauchschmerzen geklagt oder über ihre Blutung gesprochen – wohl, weil die Menstruation tabuisiert war, zumindest damals, in ihrer Familie. „Du hast es vor mir dann aber nie versteckt“, merke ich an. „Es ist ja auch nichts, wofür man sich schämen muss“, sagt meine Mutter.
Blutend Marathon laufen oder Fotos auf Instagram posten
Die Zeiten ändern sich eben, und das gilt auch für den Umgang mit der Periode. Im Jahr 2014 erklärte die Berliner NGO Wash United den 28. Mai zum „Internationalen Tag der Menstruationshygiene“, mit dem Ziel, die Menstruation zu enttabuisieren, damit der Zugang zu Hygieneprodukten global vereinfacht wird.
Ein Jahr darauf gingen Bilder der Musikerin Kiran Gandhi um die Welt, als sie den Londoner Marathon frei blutend bewältigte, und die Künstlerin rupi kaur veröffentlichte ein Foto von sich mit rot befleckter Hose und Bettlaken auf Instagram – mit der Folge, dass das soziale Netzwerk das Foto zensierte. Als Kaur das Bild erneut postete, diesmal mit einem kritischen Kommentar gegenüber der Plattform, erfuhr sie Zuspruch aus aller Welt. Heute hat das Foto 110.000 Likes.
In den USA werden heute „Period Parties“ gefeiert, menstruierende Teenager bekommen dabei lauter rote Speisen serviert, von Kuchen mit rotem Gratulationsschriftzug über Pasta mit Tomatensoße bis zu Granatapfelsaft.
Lieblingsessen spendet Trost bei Schmerzen
Als es bei mir so weit war, gab es bei uns zu Hause übrigens: gar nichts. Und das hatte einen simplen Grund. Meine Mutter isst roten Klebreis nicht gern. Ich hingegen schon, für mich sind die roten Azukibohnen geschmacklich und von ihrer Konsistenz her ein wahrer Genuss. Schon als Kind liebte ich Zenzai, eine süße rötliche Bohnensuppe mit Mochi, also Reiskuchen.
Noch lieber esse ich Sakuramochi, eine Süßspeise, die aus rot gefärbtem Klebreis mit Azukibohnen-Füllung besteht. Das Ganze ist in ein gesalzenes Kirschblatt gewickelt und gibt dem Nachtisch eine unvergleichliche süß-salzige Note. Wenn ich heute Osekihan esse, streue ich immer eine Prise Salz, häufig mit schwarzem Sesam dazu, um der klebrigen Reismasse in meinem Schälchen einen besonderen Pfiff zu geben.
Auf die klebrige Masse, die sich eines Tages erstmals in meinem Slip wiederfand, hätte ich allerdings gut verzichten können. Ich erinnere mich an viele Momente, in denen ich mich für meine Menstruation schämte. Und ich würde mich noch heute schämen, sollte ich einmal einen roten Fleck auf einer weißen Hose haben, sichtbar für alle. Denn auch wenn meine Mutter mir vorgelebt hat, dass die monatliche Blutung ein normaler biologischer Vorgang ist, fühle ich mich immer noch zu unwohl damit, um diesen Vorgang mit meinem Umfeld zu teilen.
Mit meiner Heimlichtuerei scheine ich nicht allein zu sein. Wenn Kolleg:innen mich im Büro diskret per Chat fragen, ob ich einen Tampon dabeihabe, reiche ich ihnen wortlos, ohne dass ein männlicher Kollege es mitbekommen könnte, mein kleines Notfalltäschchen mit Tampons, Binden und Gummis.
Nicht alle wollen's feiern
Der Umwelt zuliebe bin ich mittlerweile aber auf Menstruationstassen umgestiegen. Und natürlich bin ich dafür, dass man die Menstruation, insbesondere die erste Blutung, mit der Mutter bespricht. Meinetwegen kann es auch ein Festmahl dazu geben. Aber nicht, um die Periode zu zelebrieren, sondern um das leidende Kind aufzuheitern.
Denn die Regel ist und bleibt für viele Menstruierende vor allem eins: lästig. Alle drei Wochen werde ich von höllischen Krämpfen heimgesucht, manchmal so schlimm, dass ich nur im Bett liegen kann. Noch immer ist Endometriose kein gängiger Begriff. In der Medizin werden Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut so bezeichnet. Betroffene leiden während ihrer Menstruation besonders. Eine Krankschreibung nach spanischem Modell wäre ein erster Schritt, um die Lage dieser Menstruierenden zu verbessern.
Letztlich haben „Period Parties“ und Osekihan einen Zweck: Ein junger Mensch wird dafür gefeiert, dass er gebärfähig ist. Für all jene, die nie schwanger werden wollen, bleibt die Periode indes teuer und lästig. Eine leckere Speise zum „ersten Mal“ ist dann immerhin ein netter Trost.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott