Rot-Grün-Rot in Berlin startet: Warum es knallen wird im Senat
Die Koalition aus SPD, Grünen und Linken geht in die zweite Runde. Fünf Thesen, warum wir turbulente Monate erwarten dürfen. Ein Wochenkommentar.
K napp drei Monate hat es gedauert von der Wahl des Abgeordnetenhauses Ende September bis zur Wahl Franziska Giffeys durch das Abgeordnetenhaus am 21. Dezember. Eine lange Zeit angesichts der Tatsache, dass die neue Regierung Berlins auch die alte ist, und zudem länger als die Regierungsbildung im Bund dauerte.
In dieser Zeit haben die Politiker*innen von SPD, Linken und Grünen viel geredet, mit- und untereinander, öffentlich und hinter verschlossenen Türen. Die drei Partner sollten sich jetzt also ein bisschen kennen und wissen, was auf sie zukommt in den nächsten fünf Jahren. Sofern das Bündnis so lange Bestand hat.
Zwar haben sich die drei Parteien im Koalitionsvertrag versprochen, besser miteinander zu regieren als in der letzten Legislatur (vor deren Beginn sie sich das übrigens auch schon versprochen hatten). Doch deutet viel darauf hin, dass Berlin turbulente sechs Monate bevorstehen oder vielleicht sogar ein ganzes wildes Jahr.
Warum?
Auch wenn SPD, Grüne und Linke fünf gemeinsame Jahre auf dem Buckel haben: Diese Regierung ist personell eine ganz andere als die vorherige. Viele erfahrende Senator*innen in allen Parteien haben die Berliner Politikbühne verlassen (müssen), darunter Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) und Ramona Pop (Grüne).
Acht der zehn Senator*innen sind neu, genauso wie die Regierende Bürgermeister Giffey. Manche wie der von der SPD nominierte parteilose Wirtschaftssenator Stephan Schwarz sind explizite Seitenwechsler aus der Praxis und unerfahren mit dem bisweilen speziellen Innenleben der Senatsverwaltungen. Andere wie Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) kommen von außerhalb und dürfen erst mal die Stadt und ihre Gepflogenheiten kennen lernen. Es wird also dauern, bis alle in ihren Ämtern angekommen sind.
Doch in dieser Zeit stehen bereits zahlreiche wichtige Entscheidungen an: Das Gremium, das sich mit der Umsetzung des Enteignen-Volksentscheids beschäftigen soll, muss besetzt, das Bündnis mit Bauinvestoren eingefädelt werden. Schließlich, so der neue, alte Bausenator Andreas Geisel (SPD), laufe Berlin die Zeit davon, wenn es darum geht, die soziale Spaltung der Stadt auf dem Wohnungsmarkt zu verhindern.
Im Hintergrund zieht sich derweil die Prüfung, ob die Wahlen am 26. September nicht zumindest teilweise wiederholt werden müssen, weil die Pannen und die Selbstüberschätzung der Verwaltung zu groß waren. Das wäre ein demokratischer GAU. Es liegt also genug Zündstoff herum; irgendjemand wird sicher was damit anfangen.
Beim wem regiert sie rein?
Drittens ist da Franziska Giffey selbst. Die Regierungschefin hat die Koalitionsverhandlung akribisch bis ins Detail geführt, und „geführt“ ist dabei wörtlich zu nehmen. Nun ist der Koalitionsvertrag unterzeichnet und die Posten verteilt; die Sorge und der Druck, das Bündnis könnte vielleicht nicht zustande kommen, sind verflogen. Und die Frage ist: Wie wird Giffey den Senat nun führen? Sie hat schon angekündigt, Verantwortung für alle Themen zu übernehmen. Das heißt im Zweifelsfall aber auch: Allen reinzureden. Mal sehen, wer sich das gefallen lässt.
Viertens ist da natürlich Corona. Derzeit sieht es so aus, als müsste die Politik in den nächsten Wochen viele folgenschwere Entscheidungen treffen; vielleicht sogar die Schließung von Schulen und Kitas, was lange als No-Go galt. Die neue SPD-Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse gilt aus ihrer Zeit als Schuldirektorin als absolute Gegnerin von solchen Maßnahmen, angefangen von der Ablehnung der Maskenpflicht in Klassenzimmern. Auch hier wird es zu Konflikten kommen.
Zudem weiß niemand, wie sich die Proteste gegen die Maßnahmen in Berlin entwickeln werden. Bisher sind sie zwar zahlreich, aber insgesamt überschaubar. Die fünfte Welle könnte das ändern.
Viele junge Abgeordnete sorgen für Schwung
Schließlich sind auch die Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus besonders bei Linken und Grünen deutlich jünger und unerfahrener. Das kann die Politik beleben, aber auch zu Unruhe führen und deutlichen Druck auf den Senat.
Das heißt natürlich nicht, dass es zu Konflikten zwischen SPD, Grünen und Linken kommen muss. Vielleicht sorgt gerade der Druck durch die Pandemie für eine besonders konstruktive Arbeit. Aber dies sind aufreibende Zeiten. Viele Politiker*innen haben sich noch nicht von den Anstrengungen von fast zwei Jahren Corona, dem Wahlkampf und den langen Koalitionsverhandlungen erholt. Und ein paar Weihnachtstage dürften dafür kaum reichen. Zumal die Arbeit, wie gesagt, gleich losgeht.
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