Romandebüt und Album der Gruppe Oil: Kunst mag ich, Künstler nicht

Klotzen statt kleckern: In der Berliner Fahimi Bar präsentierte die Gruppe Oil ihr Debütalbum und den gleichnamigen Roman „Naturtrüb“.

Vier Musiker

Behalten immer den Durchblick: Die Gruppe Oil, Çirak, Dabeler, Klug und Summen (vlnr) Foto: Benjakon

Am Tresen sitzen ein kleiner Mann und ein Hüne. Der Kleine bestellt ein großes Bier, der Hüne ein kleines. Geht gut los, die „Verbrecherversammlung“ in der vollen Fahimi Bar in Berlin-Kreuzberg. Dort hat sich am Dienstagabend die ominöse Gruppe Oil angekündigt. So nennen sich vier Männer, alle über 50, die keine rechtsradikale Terrorzelle gegründet haben, sondern eine Band.

Muss man in diesen Zeiten extra dazuschreiben. Gemeinsam kommt das Quartett auf die Bühne, allesamt in cremefarbene Cashmerepullis gekleidet. Hinter sich Exem­plare ihres frisch gepressten Debütalbums, „Naturtrüb“, vor sich druckfrische Exemplare ihres gleichnamigen Romandebüts. Daraus lesen sie abwechselnd vor.

Das Album wird in Bälde bei der Hamburger Indie-Institution Zickzack Records veröffentlicht, die 2020 ihr 40-jähriges Bestehen feiert. Der Roman erscheint im Berliner Verbrecher Verlag, nicht so alt wie Zickzack, unabhängig vom Mainstream auch er. Und als unabhängig versteht sich auch die Gruppe Oil: der Autor und Plattenladenbetreiber Gereon Klug (Hamburg) und die drei Berliner Musiker „Reverend“ Christian Dabeler, Maurice Summen und Timur Çirak, Letzterer auch als Comiczeichner bekannt. Auf den Seiten des Romans sind Illustrationen von ihm zu sehen.

Unabhängig von der Band verfolgen alle Beteiligten eigene Projekte. Ihre Dayjobs behalten sie vorsichtshalber, obwohl der Roman das Gegenteil behauptet: alte Säcke, die es noch mal wissen wollen. „Naturtrüb“ ist in Tagebuchform geschrieben, kurze Eintragungen, abwechselnd von allen Bandmitgliedern, setzen den formalen Rahmen.

Das Album: Gruppe Oil „Naturtrüb“ (Zickzack/Broken Silence)

Der Roman: Gruppe Oil: „Naturtrüb“, Verbrecher Verlag, Berlin, 2020, 221 Seiten, 20 Euro.

Die Tour: 23.4 Oberhausen „Druckluft“, 24.4. Heidelberg „Karlstorbahnhof“, 25.4. Stuttgart „Merlin“, 26.4. Nürnberg „Hemdendienst“, 27.4. München „Rote Sonne“, 28.4. Frankfurt „Literaturhaus“, 29.4. Erfurt „Frau Korte“, 30.4. Leipzig „Conne Island“, 1.5. Berlin „Bornholm 2“, 2.5. Hamburg „Nachtasyl“

Es steigt ein ironisches Verwirrspiel, gespickt mit den Verweisen, Mythen und Lügen des Rock ’n’ Roll. Pessimisten werden nun sagen, der ist doch längst tot. „Naturtrüb“ zeigt, wie viel Geist in der Leiche steckt. Und das, gerade weil die vier die Leiche ohne Unterlass prügeln. Zwischen peinlich, berührend, philosophisch und schlau ­entsteht viel Spielraum. Das Gute am Kollektiv: Fängt einer mit Pfadfinderromantik an, holt der nächste den Misanthropen raus.

Voran steht dem Buch das den Bandnamen spendende Motto von B. Traven: „Was kümmert uns der Mensch. Wichtig ist nur das Öl.“ Es ist der Schlussakkord aus seinem Abenteuerroman „Die Weiße Rose“ (1929), der vom Konflikt mexikanischer Indigener mit einem Ölmagnaten handelt. Und B. Traven, der eigentlich Otto Feige hieß und an der Münchner Räterepublik beteiligt war, ist eine prima Vorlage für die Gruppe Oil. Interpretierte er doch künstlerische Freiheit als gestalterische Anarchie, dadaistischen Einsatz von Sprache und Schrift und verwirrende Inszenierung der Autoren-Künstler-Persona.

Damit jongliert auch die Gruppe Oil und beschreibt en detail, wie mühevoll sich die Komposition und die Aufnahmesessions ihrer Songs auf dem Land anfühlte. „Naturtrüb“ liest sich stellenweise wie ein „How not to“-Lebenshilfe-Buch. Nur, dass es nicht von Therapeuten verfasst ist, sondern von Autoren, die auf eine lange, teils wechselhafte Karriere im Musikbiz zurückblicken. Sie überzeichnen ihr Quasselstrippen- und Nerd-Dasein, schonen sich dabei nicht, sparen aber auch nicht mit Seitenhieben auf die Konkurrenz.

In all dem Komplettdurcheinander aus Genie-Anwandlung, Wahnsinn und Niedertracht steckt jede Menge Humanismus. „Kunst mag ich, Künstler nicht“, liest am Dienstag einer vor. Ein anderer sagt: „Musiker sind eifersüchtige, boshafte Kretins.“ Am Ende spielt die Gruppe Oil einen Song: eine Jeremiade, in der sich Mutter Erde bitter beklagt, mit einem unwiderstehlichen Groove und dem tödlichen Sprechgesang von Gereon Klug.

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