piwik no script img

Roma in SachsenEs brennt in Plauen

In Sachsen brennen hintereinander zwei Häuser, in denen Roma wohnen. Zufall, sagt die Staatsanwaltschaft. Wirklich?

Plauen, Trockentalstraße: Hier brannte es im Dezember 2017 Foto: Birgitta Kowsky

Es sind die letzten Tage des Jahres 2017. Julian Walther und sein Freund sitzen gerade im Auto und fahren zu einer Party, als sie eine Gruppe winkender und schreiender Menschen am Rande der Trockentalstraße in Plauen sehen. Alles ist voll Rauch, das ganze Haus brennt.

Walther rennt zum Haus, er spürt die Hitze. Der Brand ist an der Eingangstür ausgebrochen und versperrt den Weg. Männer halten Kinder an den Handgelenken aus dem Fenster, Walther fängt einen kleinen Jungen auf und bringt ihn zu den Rettungskräften, die eben eingetroffen sind.

Es ist eine Ausnahmesituation, Walther und sein Freund rennen hin und her. Eines der Kinder überschlägt sich beim Sturz aus dem Fenster, das Gesicht eines anderen ist halb verbrannt. Auf der Straßenseite gegenüber versammeln sich Menschen und johlen – unter ihnen Neonazis, die der Polizei bereits wegen rechtsextremer Straftaten bekannt sind, wie sich später herausstellt. Sie fragen die beiden Jungs, warum sie hier helfen. „Lasst die brennen!“, ruft einer. Und: „Sieg Heil!“ In dem Haus wohnen mehrere Romafamilien aus der Slowakei.

42 Menschen werden aus dem Haus evakuiert. 22 von ihnen sind verletzt, vier davon schwer. Eine Schwerverletzte ist Lucia Dunkova, sie will gerade duschen, als sie ihre Familie schreien hört: Feuer! Lucia zieht sich etwas an und rennt aus dem Haus. Ihre Haare brennen, ihre Hände, ihr Gesicht. Und ihr Kind. Sie kann nichts sehen, als sie draußen steht, ihre Augen sind verklebt, aber sie hört ein dumpfes Geräusch. „Schläge“, sagt sie. Die Gruppe der Neonazis greift einen Feuerwehrmann und einen Polizisten an, um sie von den Rettungsarbeiten abzuhalten. Dunkovas Mutter sieht zwei Männer weglaufen. Sie glaubt, dass das die Täter sind.

Wenig später wird ein Mann festgenommen: Jens W., 25 Jahre alt, ein ehemaliger Mieter. Er soll den Brand gelegt haben, weil der Vermieter ihn wegen Mietschulden aus dem Haus geworfen hat. Er kommt in Untersuchungshaft.

Die Roma ziehen um. Manche kommen in weiteren Häusern desselben Vermieters unter. Einige ziehen in ein Haus in der benachbarten Dürerstraße. Es sind vor allem Frauen und Kinder aus der Slowakei, die kaum Deutsch sprechen.

Zwei Brände, kein Zusammenhang?

Am 3. Januar 2018 werden sie dort von einer Sozialarbeiterin besucht. Die Bewohner berichten ihr, dass sie keinen Schlüssel haben, nur der Vermieter könne die Türen abschließen. Sie erzählen auch von Übergriffen, da Fremde einfach in das Haus eindringen könnten. Deutsche Männer sollen nachts an ihre Türen geklopft, die Türen eingeschlagen oder ätzende Flüssigkeiten in die Wohnung geworfen haben. So steht es in einem Gedächtnisprotokoll, das die Sozialarbeiterin nach ihrem Besuch anfertigt. Es liegt der taz vor. Alle haben Angst, steht dort, dass es zu weiteren Brandanschlägen kommt.

Am 9. Januar gibt es in der Dürerstraße einen Polizeieinsatz. Die Roma hatten im Keller des Hauses drei Männer gesehen, die mit einer weißen Flasche hantierten. Nach ihrer Entdeckung ergriffen die Männer die Flucht. Es waren dieselben Männer, sagt eine Romni der Freien Presse, die sie in der Brandnacht vom 29. Dezember gesehen hatte. Die Polizei findet keine Hinweise auf eine versuchte Brandstiftung.

Der Vorstand bei Romano Sumnal, einem sächsischen Romaverein, macht sich Sorgen. Er verfasst einen offenen Brief an den Landrat und den Bürgermeister, in dem er sie warnt. „Für die Menschen in der Trockentalstraße war dies nicht der erste Brand und sie befürchten aufgrund erneuter Geschehnisse weitere Anschläge“, schreibt er. „Wir sind entsetzt über dieses menschenverachtende Verhalten, welches sich gezielt gegen eine Opfergruppe des Nationalsozialismus richtet.“

Am 19. Januar wird der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen Jens W. aufgehoben.

Am Morgen des 5. Februar 2018 steht das Haus in der Dürerstraße in Flammen. Zwei Deutsche und sechs Hunde sterben, sie lebten in einer Wohngemeinschaft im Dachgeschoss. Vier weitere Bewohner des Hauses, darunter Roma, werden verletzt. Eine Romni will Jens W., den Tatverdächtigen des ersten Brandes, im Haus gesehen haben.

Sebastian M., 26, der an jenem Abend in der Wohngemeinschaft zu Besuch war, wird als Zeuge vernommen, schließlich gesteht er die Tat. Laut Polizeibericht soll er dort ein Stück Stoff angezündet und dieses auf einen Schaukelstuhl mit Wäsche gelegt haben. Als die Flammen 50 Zentimeter hochschlugen, soll er die Wohnung verlassen haben.

Sebastian M. kommt in Untersuchungshaft, am kommenden Mittwoch beginnt der Prozess gegen ihn. Die Tat scheint keinen Sinn zu ergeben: Bei dem Brand starben sein bester Freund und dessen Schwägerin. „Zwischenmenschliche Streitigkeiten“, sagen die Ermittler. Einen Zusammenhang zum ersten Brand sehen sie nicht.

Um die Vorgänge aufzuklären, hat die taz mit Brandopfern, Anwälten, Anwohnern, Flüchtlingshelfern, dem Vermieter, Ersthelfern, Sozialarbeitern, einer Lehrerin, der Staatsanwaltschaft, einem Richter und der Polizei gesprochen. Die Recherchen zeigen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen beiden Bränden. Er wird aber vor dem Landgericht Zwickau keine Bedeutung haben. Und da die Ermittlungen zum ersten Brand inzwischen eingestellt sind, vermutlich auch nie aufgeklärt werden.

***

Plauen liegt im hintersten Eck Sachsens, im Vogtland, wo sich die Landesgrenze um Thüringen schmiegt, eingekeilt zwischen Bayern und Tschechien. 60.000 Menschen leben hier – und meist ging es um zwei Themen, wenn zuletzt von Plauen zu hören war: Drogen und die rechte Szene.

Anfang 2017 eröffnete die rechtsextreme Partei Der III. Weg in Plauen ihr erstes Bürgerbüro. Es ist „eine bundesweit einzigartige Immobilie, die dem Dritten Weg einen Versammlungs-, Lager- und Rückzugsraum bietet, von dem aus auch bundesweit die Aktivitäten der Partei organisiert und unterstützt werden können“, heißt es im Verfassungsschutzbericht Sachsen aus dem Jahr 2017. Der III. Weg lehnt sich an den Nationalsozialismus an und fordert den offenen Kampf gegen jede Form der Zuwanderung. Die Partei definiert sich als „Stoßtruppe der völkischen Wiedergeburt“. Gewalt wird bei der Durchsetzung dieser Ziele toleriert: „Sofern es notwendig ist, dass einige Scheiben zerbrechen, um das deutsche Volk in seiner ethnischen Existenz zu sichern, (…) so werden wir das nicht als Frevel ansehen.“ So steht es in einer Ende 2017 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „National, revolutionär, sozialistisch“. Beim Verfassungsschutz geht man davon aus, dass Der III. Weg eine entscheidende Rolle bei Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte spielt. Vor Ort werde gezielt Stimmung gemacht, bis Einzelne zu Straftaten bereit seien, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Und diese Straftaten würden im Nachhinein wohlwollend kommentiert.

Das Bürgerbüro der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“, eröffnet 2017 Foto: Birgitta Kowsky

Das Büro der Partei liegt im Plauener Stadtteil Haselbrunn, der von Rechtsextremen dominiert wird. „Multikulti tötet“, steht dort in großen Lettern an der Scheibe. „Überfremdung stoppen“. Die rechtsextreme Szene Südostdeutschlands vernetzt sich in Plauen, organisiert Demonstrationen und Feste für die ganze Familie.

***

Die Brände in der Dürer- und der Trockentalstraße sind nicht die einzigen Brände, die es in den vergangenen Jahren in Plauen gegeben hat. Tatsächlich könnte man inzwischen von einer Serie sprechen: Fünfmal hat es seit Dezember 2015 in Häusern gebrannt, in denen Roma lebten. Alle Häuser gehören demselben Vermieter: Dr. Frank B. Er vermietet vor allem an sogenannte Problemgruppen: Drogenabhängige, Prostituierte, Romafamilien aus der Slowakei, Bulgarien und Rumänien.

Die Menschen haben Angst, sprechen immer wieder von ‚Nazis‘ 

Agnes Russo, Flüchtlingshilfe Plauen

Das erste Mal, im Dezember 2015, zündete eine Frau in einem seiner Häuser einen Papierstapel an. Sie wurde wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten mit Bewährung verurteilt. Das Motiv geht aus der Urteilsbegründung nicht hervor, teilt die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mit.

Mehrere Monate später, im April 2017, brannten drei Garagen ab, die B. gekauft hatte. Es gab mehrere Brandherde – ein Hinweis auf Brandstiftung. In den Garagen hatte B. Möbel stehen, die bulgarischen Mietern gehörten. Die Ermittlungen haben bisher zu keinem Ergebnis geführt, einen Tatverdächtigen gibt es nicht.

Im Juni 2017 brannte es in einem weiteren Haus. Als Ursache nannte die Polizei einen technischen Defekt. Die Bewohner sollen illegal Strom gezapft haben, wodurch ein Kühlschrank in Brand geraten sei.

Und schließlich die beiden Brände in der Trockentalstraße und der Dürerstraße.

Agnes Russo, kurz nach den Bränden noch Vorstandsvorsitzende der Flüchtlingshilfe Plauen, findet: Das sind ein bisschen zu viele Zufälle. Sie wirkt etwas übermüdet und raucht eine Zigarette am runden Tisch ihres Büros. Seit den Bränden ist viel los. Einigen Roma aus der Trockentalstraße, wo es Ende 2017 gebrannt hat, hat sie geholfen, eine neue Wohnung zu finden; sie unterstützt sie bei Behördengängen. Ihr Büro liegt nur wenige Gehminuten von den Brandorten entfernt.

Sie nennen ihren Vermieter „Chef“

Russo ist das Verhältnis zwischen B. und seinen Mietern suspekt. Die Mieter nennen ihn „Chef“. Fast alle sind bei ihm in irgendeiner Form angestellt – zum Putzen oder als Bauhelfer. Das Jobcenter hat die Arbeitsverträge moniert, die oft nur über wenige Stunden pro Woche laufen. „Es ist davon auszugehen, dass der Arbeitsvertrag nur zum Zweck des ergänzenden Sozialleistungsbetrugs geschlossen wurde“, heißt es in einem Dokument des Jobcenters, das der taz vorliegt. Der Verdacht: B. verhilft seinen Mietern mit Arbeitsverträgen zu aufstockenden Hartz-IV-Leistungen, die EU-Bürgern zustehen – und verdient daran mit.

B. stand bereits zweimal vor Gericht. Einmal, weil er die ausstehende Miete mithilfe eines Handlangers eintrieb – das Verfahren wurde gegen eine Zahlung von 1.500 Euro eingestellt. Beim nächsten Mal ging es um Betrug: B. sollte für 58 Bulgaren fälschlicherweise aufstockende Hartz-IV-Leistungen beantragt haben. 98.000 Euro sollen zu Unrecht an die Bulgaren – oder an B. – geflossen sein. Genauer konnten es die Ermittler nicht benennen. Das Verfahren wurde ebenfalls eingestellt, weil die Beweise fehlten.

Agnes Russo machen diese Geschichten wütend. „Was hat dieser Eigentümer mit den Menschen zu tun?“, fragt sie. „Warum beschäftigt er sie unter dubiosen Verträgen? Und warum brennt es immer in seinen Häusern?“ Sie ist aufgebracht, die Fragen sprudeln aus ihr heraus. Sie will die Menschen in Sicherheit bringen. „In Sicherheit, nicht nur wegen der Brände. Die Menschen haben Angst, sprechen immer wieder von ,Nazis'.“ Eine Romni, die sie betreut, will vor dem ersten und zweiten Brand „Nazis“ im Haus gesehen haben. Ihr Deutsch ist sehr gebrochen, aber dieses Wort, „Nazi“, das sagt sie immer wieder. Und auch: dass diese „Nazis“ für B. arbeiten würden.

Agnes Russo, ehemalige Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Plauen Foto: Birgitta Kowsky

B. wohnt in einem gräulichen Mehrfamilienhaus im Westen Plauens, einer ruhigen, bürgerlichen Gegend, in der man die hohen Bäume rauschen hört. Nach mehreren Mails und Telefonaten ist er bereit, sich zu treffen. Er schlägt das Theatercafé vor. Dort bestellt er sich einen Cappuccino und eine Schwarzwälder Kirschtorte.

B. hat den Begriff „Plaunacken“ erfunden

B. ist ein kleiner, untersetzter Mann, 55 Jahre alt. Wenn er nachdenkt, nimmt er sein Baseballcap ab und streicht sich über die stoppeligen Haare. Er sagt, dass er sein Immobiliengeschäft in Plauen innerhalb von fünf Jahren aufgebaut habe. Und etwa zehn Häuser mit mehr als hundert Wohnungen besitze. B. kommt aus einem Dorf in Südhessen, nach Plauen zog er, weil er dort günstige Wohnungen kaufen konnte. Im Internet findet man allerdings kaum Informationen über ihn – seine Firma, in der er die Mieter angeblich beschäftigt, ist nicht im Handelsregister eingetragen. „Dann gibt es sie nicht oder nicht mehr“, sagt der Sprecher des Amtsgerichts Plauen. Konfrontiert man B. damit später per Mail, reagiert er nicht.

Warum wohnen bei ihm fast ausschließlich Drogenabhängige, Prostituierte und Roma­familien? „Mein Prinzip ist es, günstig einzukaufen und schnell zu vermieten“, sagt B. „Nicht absichtlich an Randgruppen. Aber es gibt ja in Plauen fast nur Randgruppen.“ Sie seien wie eine große Familie. B. sagt, er helfe den Leuten.

Er nennt die Roma, die in seinen Wohnungen leben, seine „Dinger“. Oder spricht von „Gesocks“, von „dummen Leuten“, er ist stolz auf den Begriff „Plaunacken“, den er für die Drogenabhängigen geprägt hat. B. wünscht sich, dass die Brände schnell aufgeklärt werden. Er sieht sich als Opfer.

„Ich habe die Vermutung, dass einige der Bewohner der Dachgeschosswohnung in der Dürerstraße irgendwas über den ersten Brand wissen“, sagt er noch. „Entweder als Mittäter oder Mitwisser.“

***

Es ist ein schwüler Tag im August dieses Jahres, als Leon S. mit seiner Schwester und ein paar Freunden in einem kleinen Park in Pirna sitzt. Leon S. hat in der Dachgeschosswohnung in der Dürerstraße gewohnt, als es dort brannte. Es ist ein Uhr mittags, und er hat einige Bier intus. S. trägt eine lange Hose, trotz der Hitze. Darunter, an seinen Beinen, ist die Haut noch immer rosa und wund.

Beide Tatverdächtige, Jens W. und Sebastian M., stammen aus demselben Bekanntenkreis – einem Drogenmilieu, in dem die Grenzen zwischen links und rechts sich verwischen

Beim Brand sind sein Bruder und seine Verlobte gestorben. Er selbst wurde schwer verletzt, lag zwei Wochen im Koma. Seit er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, sei er permanent betrunken, sagt er. Vor ihm stehen die Bierflaschen, Wespen umschwirren ihn. S. hat eine Insektenstichallergie – „mir ist das egal“. Am liebsten wäre er bei dem Brand auch gestorben, sagt er.

„Ich hatte ein Leben!“ „Immer wenn ich mein Leben auf die Reihe kriegen will, passiert irgendeine Scheiße.“ Leon S. und seine Verlobte wollten im März heiraten, erzählt er, wenige Wochen nach dem Brand.

Er glaubt, dass seine Freundin schwanger war, als sie am 6. Februar gestorben ist. Die Gerichtsmedizin will das Leon S. nicht bestätigen. Es könnte ihn psychisch zu sehr belasten, heißt es dort.

Sebastian M. aus Dresden, der gestanden hat, den Brand gelegt zu haben, war der beste Freund seines Bruders. Leon S. sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass er das wirklich getan hat. Trotz des Geständnisses. Hat er ihn gefragt? „Ich habe 20 Briefe an ihn angefangen, seit er in U-Haft sitzt“, sagt er. „Aber keinen beendet.“

Rechtsradikale, Trinker und Punks

Er glaube hingegen, die Ex-Freundin seines Bruders habe etwas mit dem Brand zu tun. Da sie aus ihrer Wohnung geflogen war, zog sie in die Wohngemeinschaft und schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer – auch, als sich das Paar längst getrennt hatte. „Vor dem Brand habe ich ihr gesagt, dass sie ausziehen muss“, sagt Leon S., der der Hauptmieter war. Er könne sich vorstellen, sie habe sich rächen wollen und Sebastian M. deshalb dazu angestiftet, den Brand zu legen.

Die Fälle und der Prozess

In den vergangenen drei Jahren hat es in Plauen fünfmal in Häusern gebrannt, in denen Roma wohnten. Alle Häuser gehören demselben Vermieter.

Dezember 2015 Eine Frau zündet in einem Haus einen Papierstapel an. Sie wird wegen schwerer Brandstiftung verurteilt.

April 2017 Drei Garagen des Vermieters brennen ab. In den Garagen lagerten Möbel, die bulgarischen Mietern gehörten. Die Ermittlungen führen zu keinem Ergebnis.

Juni 2017 Es brennt in einem weiteren Haus. Als Ursache nennt die Polizei einen technischen Defekt.

Dezember 2017 Es brennt in der Trockentalstraße. Eine Gruppe Neonazis sieht zu und johlt. Der Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen wird aufgehoben. Gegen die Neonazis wird Anklage erhoben – wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Belohnung und Billigung von Straftaten.

Februar 2018 Es brennt in der Dürerstraße. Der Tatverdächtige kommt in Untersuchungshaft und gesteht die Tat. Mitte September beginnt der Prozess gegen ihn.

Klar ist: Das Umfeld dieser WG hat etwas mit den Bränden zu tun. Beide Tatverdächtige, Jens W. und Sebastian M., stammen aus demselben Bekanntenkreis. In Berichten ist die Rede davon, dass es sich bei ihnen um „Punks“ handele – tatsächlich ist es aber eher ein Drogenmilieu, in dem die Grenzen zwischen links und rechts sich verwischen.

Ein Plauener, der die rechte Szene beobachtet, beschreibt es so: Die Plauener Drogenszene, zu der diese Menschen zählten, setze sich aus Rechtsradikalen, Trinkern und Straßenpunks zusammen. „Untereinander scheint es keine Berührungsängste zu geben“, sagt er. „Sie saufen zusammen, sind teilweise auf Facebook befreundet.“

Ein Hand-Emoticon, das nach Hitlergruß aussieht

Die Ex-Freundin von Leon S.’ Bruder dealte in der Wohngemeinschaft mit Crystal Meth – und verkaufte es auch an Neonazis, so erzählt es ein Bekannter. Schaut man sich ihre Freunde bei Facebook an, findet man darunter einige, die aus ihrer rechten Gesinnung kein Geheimnis machen; sie verzieren ihr Profilbild mit Eisernen Kreuzen oder Reichskriegsflaggen. Leute, die sich online „Kameraden“ nennen, „Aryan“ als zweiten Vornamen führen und mit einem Hand-Emoticon grüßen, das nach einem Hitlergruß aussieht. Ihr Bruder postet immer wieder Propagandavideos aus dem Nationalsozialismus, seine Profile werden regelmäßig von Facebook gesperrt.

In ähnlichen Kreisen verkehrt auch Sebastian M., der Tatverdächtige beim zweiten Brand, auf Facebook. Freunde von ihm heißen „Steinar Odin“ und verwenden in ihrem Profilbild Deutschland- oder Reichskriegsflaggen, die sie mit Frakturschrift betexten. Er hat ein Bild gepostet, das sich gegen „Sozialschmarotzer“ richtet.

Was den Fall noch komplizierter macht: Leon S.’ Bruder und dessen Ex-Freundin hatten dem Tatverdächtigen des ersten Brandes, Jens W., zuerst ein Alibi gegeben. Jens W. hatte sich vor dem ersten Brand in der Wohngemeinschaft aufgehalten.

Bei einer weiteren Vernehmung der Polizei widerriefen sie jedoch ihre Aussage und gaben an, dass Jens W. zehn Minuten vor dem Brand das Haus verlassen habe. Wenig später soll er zurückgekommen sein, stark nach Rauch gerochen und gesagt haben: „In zehn Minuten geht ein Brand los.“ So habe es ihm auch sein Bruder erzählt, bevor er starb, sagt Leon S.

„Die Zusammenhänge drängen sich auf“

Die Polizei nahm Jens W. fest und brachte ihn in U-Haft. Am 19. Januar kam er wieder frei, weil die Staatsanwaltschaft beantragt hatte, den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben. 18 Tage später brannte es in der Dürerstraße. Und der Hauptbelastungszeuge starb.

Das Verfahren gegen Jens W. wegen Brandstiftung wurde am 13. Juli 2018 eingestellt. „Dem Beschuldigten konnte die Tat nicht nachgewiesen werden“, heißt es in einem Brief der Staatsanwaltschaft. Die Sachbearbeiterin sei zu dem Schluss gekommen, dass die Zeugenaussagen nicht ausreichten, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage – darüber müsse man mit der Presse nicht diskutieren, man sehe keine Zusammenhänge zwischen den beiden Bränden.

Die Anwältin Claudia Neher vertritt einige der Opfer des ersten Brandes. Sie findet es absurd, dass die Staatsanwaltschaft keine Verbindungen sieht: „Diese Zusammenhänge drängen sich auf“, sagt sie. „Ein Hauptbelastungszeuge aus dem ersten Brand ist beim zweiten Brand verstorben. Das Haus gehört demselben Vermieter, bei dem es schon mehrere Brände in Plauen gab. Und einige Sinti und Roma, die bereits beim ersten Brand Opfer waren, wurden in dieses Haus umgesiedelt, wobei der Beschuldigte aus dem ersten Verfahren wieder frei war!“

Sie glaubt, dass dringend untersucht werden müsse, ob ein rechtsradikaler Hintergrund für einen oder beide Brandanschläge eine Rolle gespielt habe. „Oder auch sonstige kriminelle, mafiöse Strukturen.“

Gegen die Einstellung des Verfahrens hat sie eine Beschwerde eingereicht. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden muss jetzt darüber entscheiden.

Lucia Dunkova, die bei diesem Brand so schwere Verletzungen davongetragen hat, lebt immer noch in Plauen. In einer anderen Wohnung inzwischen – einer, die auch Frank B. gehört. Es ist ein kleiner Verschlag im Erdgeschoss, auf dem Gelände eines alternativen Wohnprojektes. Sie versteht nicht, warum die Polizei Jens W. wieder freigelassen hat. „Warum?“, fragt sie immer wieder.

Warum?

Mitarbeit: Marie-Louise Stoll

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wie leben Roma-Kinder in Deutschland?

    »In vielen Reden von Politikern bekommen Sinti und Roma Unterstützung, im Alltag dagegen kaum. Die teilweise rigorosen wirtschaftlichen Maßnahmen in einigen Ländern treffen sie besonders hart. Die schulische Bildung der Sinti und Roma ist oft mangelhaft. Die traditionellen Berufe der Sinti und Roma werden nicht mehr gebraucht.

    Die aktuellen Unicef-Studien zur Lage von Sinti und Roma in Deutschland und in Osteuropa belegen, dass die Lage der auf acht bis zwölf Millionen Menschen geschätzten Minderheit nicht nur in ihren Herkunftsländern desaströs ist. Auch ihre Situation in Deutschland lässt deutlich zu wünschen übrig: Die meisten Roma-Familien leiden laut Unicef unter "sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung", leben in "ständiger Angst vor Abschiebung" und "beengten und isolierten Wohnverhältnissen" und verfügen nur über "eingeschränkte gesellschaftliche Teilnahmemöglichkeiten".

    Etwa zwei Drittel der Familien sind lediglich geduldet. Sie müssen jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Sie dürfen nicht arbeiten, erhalten nur 70 Prozent des Sozialhilfesatzes und haben keinen Anspruch auf Kindergeld oder Erziehungsgeld. Sie dürfen auch nicht an Sprach- und Integrationskursen teilnehmen. Kinder, die nicht wissen, ob sie nächste Woche noch in Deutschland sein dürfen, denken an die Polizei, wenn sie eigentlich Mathe lernen sollen und trauen sich häufig nicht zur Schule. Und in einigen Bundesländern gehören sie dort auch gar nicht hin: Baden-Württemberg, Hessen und das Saarland haben bis heute keine Schulpflicht für Flüchtlingskinder. Im Saarland haben Schüler nicht einmal das Recht zum Schulbesuch.

    Dort, wo Sinti- und Romakinder die Schule besuchen dürfen, erleben sie Vorurteile. Zum Beispiel weigern sich Schüler, sich neben sie zu setzen, weil sie angeblich Läuse hätten. Die Vorurteile sind seit Jahrhunderten die gleichen geblieben.«

    Quelle:



    www.wasistwas.de/a...-kinder-in-deutsch

  • Ich kann die Autorin verstehen, dass sie, nachdem sie mit allen gesprochen hat, einen Artikel verfassen möchte. Aber der Zusammenhang zwischen den beiden Bränden sehe ich nach dem Artikel nicht. Es hat eine Person gestanden. Andere sagen, sie verstehen nicht, warum er das getan hat. Demnach muss das Geständnis falsch sein, dass ein Zusammenhang wieder möglich wird. Über diesen Punkt schweigt sich der Artikel aus.

    Das der Vermieter dubios ist - kann ich nachvollziehen. Das er seine eigenen Wohnungen abfackelt (was sanft anklingt, da er scheinbar Rechtsradikale beschäftigt), erscheint wieder etwas fernliegend - schadet er sich damit zunächst selbst. Ganz nebenbei: Im Handelsregister sind nur Personen- und Kapitalgesellschaften eingetragen. Nicht aber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der Einzelkaufmann. Da die Rechtsform nicht genannt wird, kann der Leser nicht nachvollziehen, ob was dubios ist oder die Autorin schlampig recherchiert hat. Ganz nebenbei: auch gelöschte Gesellschaften können im Handelsregister nachvollzogen werden.

    Lange Rede kurzer Sinn: Was soll dem Leser der Artikel sagen? Die gewählte Unterüberschrift ist bei dem Artikel etwas dreist gewählt.

    • @Strolch:

      Ganz nebenbei: Auch Einzelkaufleute sind verpflichtet, sich im Handelsregister (HR A) eintragen zu lassen. Sie meinen vermutlich Einzelunternehmer (ohne Kaufmannseigenschaft). Hätte B. ausschließlich Einkünfte aus seiner Wohnungsvermietung fehlt es u.U. vllt sogar an einer Unternehmereigenschaft. So oder so, eine Eintragungspflicht im Handelsregister gäbe es dann nicht.

  • 9G
    91690 (Profil gelöscht)

    Sind wir schon so weit in Deutschland, dass es nur noch darum geht in der Gruppe anderen zu schaden ???? und das ist dann das christliche Abendland ????



    Was sollen wir dagegen tun..

  • Vorab: Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt und Mord.

    Im Klartext:

    Menschen benötigen ihre soziale Integration, auch in die kapitalistische Gesellschaftsordnung. Auch über die persönliche Teilnahme am kapitalistischen Arbeits- und Ausbeutungsprozess. Bildung und auskömmlich bezahlte Arbeit sind die besten Voraussetzungen für gesellschaftliche Integration im Kapitalismus. Auch erleichtert die Teilnahme der Eltern und Jugend an (sinnvoller) Arbeit die soziale und gesellschaftliche Integration und die nachhaltige gesellschaftliche Teilhabe von deren Kindern.

    Der Broterwerb auf der Straße bietet keine nachhaltige Existenz und Lebensperspektive im Kapitalismus.

    Wie jede Bürgerin und jeder Bürger es so auch täglich in Berlin erleben und (zufällig) beobachten können: Frauen, Töchter und Kleinkinder, betteln in U-Bahnen, auf Straßen, vor Kaufhäusern und Einkaufszentren. Häufig junge Männer, mit und ohne körperliche Behinderungen, dabei aber auch spezialisiert auf ihre vorgebliche Darstellung, durchlaufen die Bahnabteile und fordern, häufig auch aggressiv, eine Spende.

    Dieses unvollständig skizzierte Bild entspricht der allgemeinen Wahrnehmung und beeinflusst auch die Übernahme überlieferter Vorurteile.

    Da die deutsche Bürokratie und Gesellschaft den historisch stigmatisierten Menschen keinen Ausweg bietet, können hier die kap. Menschenverwerter*innen und Ausbeuter*innen (bequem) ansetzen. ''Schwarzarbeit'', billige Arbeitsangebote auf Baustellen, im Haushalt der Mittelstandsbürger*innen und als Putzkräfte, ohne soziale Absicherung, bleiben oft ohne Alternative.

    PS: Zur Wahrheit gehört aber auch, selbst unter dem antikommunistischen rumänischen Regime Ceausescus hatten mehr als 60 Prozent der Roma eine bezahlte Erwerbsarbeit. Es waren meistens die schlechtesten Arbeitsplätze. Aber selbst das kann heute der Kapitalismus den Menschen für ihre soziale und gesellschaftliche Integration in den europäischen Staaten nicht bieten.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      ...Sinti und Roma stehen Ihrer Meinung nach nur bettelnd auf der Straße?



      Sind nicht fähig, sich zu 'integrieren'?



      Oder wie darf ich Ihren Kommentar verstehen?!

      • @81331 (Profil gelöscht):

        Ein Teil der Lebenswirklichkeit ist kein Rassismus. Wenn auch Sie sich damit nicht ernsthaft beschäftigen möchten, dann kann man die tatsächlichen Probleme auch nicht im Interesse der Menschen überwinden!

    • 9G
      91690 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      das hier ist doch nur dummer blinder Hass der sich einfach irgendwohin austobtund keinerlei Gründe benötigt .. Hauptsache ein Schwächerer ist da den man unterdrücken kann , dem man schaden kann

      • @91690 (Profil gelöscht):

        Es geht vor allem um die nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma. Nur mit Beteiligung an der Erwerbsarbeit -auch im Kapitalismus- kann man den (ideologisch) Rechten das Wasser abgraben und das gesellschaftliche Umfeld von der eigenen Bemühung um Teilhabe und Integration überzeugen.