Risiken für Gesundheit und Umwelt: Bundesamt will schädliche Pestizide verbieten
Jahrelang galt der Unkrautvernichter Flufenacet als sicher. Doch nach neuen Studien sollen Mittel mit dem Wirkstoff die Zulassung verlieren.
![Ein Landwirt sprüht Pflanzenschutzmittel auf seinem Feld, Symbolbild Ein Landwirt sprüht Pflanzenschutzmittel auf seinem Feld, Symbolbild](https://taz.de/picture/7305825/14/36817379-1.jpeg)
„Nach dem aktuellen Stand der Sach- und Rechtslage gehe ich davon aus, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf aller Zulassungen Flufenacet-haltiger Pflanzenschutzmittel […] gegeben sind“, teilte der zuständige Mitarbeiter des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) betroffenen Herstellern in einem Schreiben mit, das der taz vorliegt.
Er beabsichtige, die Genehmigungen aufzuheben. Der Wirkstoff Flufenacet, der Unkraut vernichten soll, ist seit 2004 in der EU zugelassen. Flufenacet gehört zu den am meisten eingesetzten Pestizidwirkstoffen in Deutschland.
Der Fall könnte Zweifel daran stärken, ob das Zulassungsverfahren für Pestizide Mensch und Umwelt genügend vor Risiken schützt. Schon der Insektizidwirkstoff Chlorpyrifos war 15 Jahre lang zugelassen, bis die Behörden einräumten, dass er die Gehirnentwicklung von Embryos stört. Auch die Insektenkiller Thiamethoxam und Clothianidin waren lange im Freiland erlaubt. Dann belegten mehrere Studien, dass praxisübliche Mengen dieser Pestizide Bienen schädigen.
Flufenacet schädigt Hormonhaushalt
Gegen Flufenacet führt das BVL nun ins Feld, dass der Wirkstoff nach einem am 27. September veröffentlichten Gutachten der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit den Hormonhaushalt schädigt.
Wenn die Chemikalie abgebaut wird, entsteht zudem Trifluoressigsäure (TFA). Sie solle nach einem aktuellen Vorschlag der deutschen Behörden von der EU als wahrscheinlich reproduktionstoxisch eingestuft und mit dieser Warnung versehen werden: „Kann das Kind im Mutterleib schädigen. Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.“
„Die Gründe hierfür liegen in Ergebnissen aus tierexperimentellen Studien, in denen die Verabreichung von Natrium-TFA an trächtige Kaninchen zu schwerwiegenden Fehlbildungen der Augen der Nachkommen geführt hat“, schreibt das BVL. TFA sei aber im Grundwasser an mehreren Messstellen in Deutschland in teils hohen Konzentrationen gefunden worden.
Das BVL erwähnt auch, dass die Deutsche Umwelthilfe (DUH) juristisch gegen Flufenacet vorgeht. Die Organisation klagt unter anderem beim Gericht der EU gegen die Zulassung. Denn nach EU-Recht dürfen Pestizide weder der Gesundheit von Mensch und Tier noch dem Grundwasser schaden. Daraus könne TFA nicht entfernt werden, es werde nicht durch natürliche Prozess abgebaut, warnt die DUH.
Das BVL fordert die Hersteller nun auf, sich bis Ende Oktober zu einem möglichen Verbot zu äußern.
Bayer: Ordnungsgemäße Anwendung ist sicher
„Es ist ein Armutszeugnis für das Amt, dass es erst jetzt tätig wird“, sagte der Bundesgeschäftsführer der DUH, Jürgen Resch. Das BVL dürfe nun keine Aufbrauchfristen für die 36 in Deutschland zugelassenen Pestizide gewähren, die Flufenacet enthalten. „Dieser gefährliche Giftstoff darf keinen Tag länger ausgebracht werden“, so Resch. Die DUH würde gegen mögliche Aufbrauchfristen klagen.
Offenbar befürchtet die Organisation, dass das BVL warten will, bis die EU die Zulassung von Flufenacet aufhebt. „Der Europäische Gerichtshof hat im April 2024 klargestellt, dass die nationalen Zulassungsbehörden dazu verpflichtet sind, bei schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit und unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt die Zulassungen für Pflanzenschutzmittel zu widerrufen“, sagte Caroline Douhaire, die von der DUH beauftragte Rechtsanwältin.
Einer der Flufenacet-Hersteller, die Bayer AG aus Leverkusen, teilte der taz mit, „dass es keine Hinweise auf ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt gibt, das mit der ordnungsgemäßen Verwendung unserer Produkte verbunden ist. Dies gilt auch für Flufenacet.“
Flufenacet sei ein Herbizid-Wirkstoff, der in Europa seit über 20 Jahren sicher verwendet werde. „Er hilft Landwirten bei der Kontrolle von Unkräutern, vor allem von Gräsern wie zum Beispiel Ackerfuchsschwanz, Windhalm und Weidelgras.“ Bayer werde dem BVL fristgemäß antworten.
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