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Revolution und Quark

Kunst, Kampf und Kitsch: Der verdienstvolle Fotoband „hoch die kampf dem“ dokumentiert die Plakate der autonomen Bewegung  ■ Von Tobias Nagl

„Heute herabgerissen, erscheinen sie morgen wieder, zum Ärger der Regierenden und ihrer Knechte“, schrieb der russische Anarchist Peter Kropotkin mit Blick auf die französische Revolution einmal. „Wenn man nur all die unzähligen Plakate sammeln könnte, welche in den zehn bis fünfzehn Jahren vor der großen Revolution angeschlagen worden sind, würde man die ungeheure Rolle begreifen, welche diese Art der Agitation bei der Vorbereitung der Erbehebung gespielt hat.“

Auch wenn politische Plakate ihre mediale Hegemonie heute längst verloren haben, sind sie nach wie vor wichtiges Kommunikationsmittel für all jene, denen kaum andere Möglichkeiten der öffentlichen Mobiliserung, Propaganda oder Selbstdarstellung zur Verfügung stehen. Eine der minoritären Gruppe, die das Aussehen moderner Großstadtwände durch wildes Plakatieren maßgeblich mitgeprägt hat, war natürliche seit 1968 die radikale, undogmatische Linke. Ein Herausgeberkollektiv aus der autonomen Druck- und Grafikszene hat nun Kropotkins Wunsch mit Blick auf die Geschichte der eigenen Kämpfe beherzigt und die Plakatkunst der letzten Dekaden unter dem Titel hoch die kampf dem – 20 Jahre PLakate autonomer Bewegungen zu einem wohlfeilen Coffetable-Book zusammengestellt.

Keine leichte Aufgabe, denn so schnell wie die Plakate produziert und verklebt wurden, verschwanden sie auch wieder. Archive für diese Art illegitimer Gebrauchskunst gibt es kaum – und finanzielle Unterstützung von offizieller Seite für die kunsthistorische Rekonstruktion der autonomen Geschichte war auch nicht zu erwarten. Das spricht zwar nach wie vor „fürs Autonome“, wie die Herausgeber einräumen, auch wenn dessen Bedrohlichkeit real kaum mehr als ein Phantom darstellt.

Nicht zuletzt angesichts der politischen Schwäche der Linken zieht eine derartige Herkulesarbeit natürlich sofort den Verdacht der Musealisierung einer einst glorreichen Bewegungsvergangenheit zwischen Häuserkampf, Startbahn, Internationalismus und Antifa auf sich. Intendiert ist das allerdings mitnichten, denn Rekonstruktion heißt hier notwendige theoretische und praktische (Selbst-)Kritik, die sich in einer Vielzahl von den Band begleitenden Aufsätzen artikuliert. Sie sind es auch, die eine nostalgische Nabelschau verhindert. „Was uns vor allem interessiert hat“, erklärt der Hamburger Mitherausgeber Sebastian Haunss im Gespräch, „ist der flüchtige Charakter der Plakate. Die Unmittelbarkeit ihrer Enstehungszusammenhänge verrät viel über das politisch und ästhetisch Unbewusste des autonomen Lebensgefühl. Kitsch und Kunst sind da nicht immer zu trennen.“

Er selbst nimmt sich in seinem Beitrag der Ikonografie der Antiimps zwischen RAF-Symbolik, rotem Stern, martialischen Demo-Blöcken und Gefangenportraits an und kommt zu einem äußerst ernüchtenden Ergebnis: Dort, wo die Bilderwelten nicht romantisierten, erinnerten sie in ihrer Hermetik nicht selten an die Kommandoerklärungen der Genossen im Untergrund. Genauso luzide nimmt sich das dekonstruktiv geschulte Auge der Kunsthistorikerin Kerstin Brandes aus, die untersucht, wie die autonome FrauenLesben-Bewegung oftmals visuell genau jene Gender-Stereotypen reproduzierte, die sie politisch bekämpfte.

Ähnlich universalistische Projektionsleistungen geraten auch im Beitrag über die Repräsentation trikontinentaler Guerilleros durch die Plakate der Solidaritätsbewegung in den Blick. Die aber vielleicht spannendste Analyse ist der Karriere des „rebellischen Kindes“ seit der Anti-§129a-Kampagne gewidmet. H. Frankfurter erkennt in den frechen Zwillen-Strolchen sowohl eine unvermeidbare Abkehr vom Machismo des Streetfighters wie die Sehnsucht nach einer entsexualisierten Unschuld, die das zugrundeliegende Problem allenfalls verschiebt. Dass eine wirksame linke Plakatkunst auch ohne liebgewordene Klischees auskommen kann, sogar muss, zeigt u.a. die Retrospektive der „Druck und Propaganda“-Gruppe aus der Roten Flora: mit Humor, Distanz – und ästhetischem Bewusstsein.

Druckkosten-Soli-Party mit Buchpräsentation, Diavortrag und DJs, heute, 21 Uhr, Rote Flora

HKS 13 (Hg.), hoch die kampf dem – 20 Jahre PLakate autonomer Bewegungen, Verlag Libertäre Assoziation/Schwarze Risse/Rote Straße, Hamburg – Berlin – Göttingen 1999, 610 Abbildungen + CD-Rom, 239 Seiten, 39,90 Mark.

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