Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer: „Sea-Watch 4“ läuft bald aus
Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen starten einen neuen Rettungseinsatz im Mittelmeer. Das nötige Geld kommt von mehr als 550 Organisationen.
Derzeit liege das Schiff in der spanischen Hafenstadt Burriana, es würden letzte Vorbereitungen getroffen. Ein Großteil der Crew habe die wegen Corona erforderliche Quarantäne hinter sich gebracht, so dass man bald mit den nötigen Trainings beginnen könne. Einen genauen Termin für den Start der Mission könne man noch nicht nennen.
„Unsere Flugzeuge mussten allein in den letzten Wochen mehr als 2.000 Menschen in Seenot und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren“, sagte Naaß. Viele der Gesichteten seien völkerrechtswidrig zurück nach Libyen gebracht worden, unterstützt von der EU und Frontex. Gleichzeitig gebe es derzeit keine zivilen Seenotretter*innen im Mittelmeer. Vier Schiffe verschiedener Organisationen seien in Italien wegen „fadenscheiniger Vorwürfe festgesetzt oder werden mit nicht erfüllbaren Auflagen am Einsatz gehindert“, so Naaß.
„Unsere Überzeugung ist, dass Menschen nicht alleingelassen werden können, wenn ihnen das Ertrinken droht“, sagte Oliver Behn von Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation ist in fünf offiziellen libyschen Lagern tätig, wohin immer wieder Gerettete zurückgebracht würden. Dazu kämen die inoffiziellen Foltergefängnisse. „Menschen leiden dort, Menschen sterben dort. Wir müssen helfen“, sagte Behn.
Von Kirche bis Kondomhersteller
Ermöglicht wurde der Kauf der „Sea-Watch 4“ durch Spenden des Bündnisses United4Rescue, das im November 2019 von etwa 40 Partnern aus Kirchen, Kommunen, Vereinen und Initiativen initiiert worden war. Inzwischen sind dort mehr als 550 zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten.
„Diese Bündnispartner könnten unterschiedlicher nicht sein“, sagte Pastorin Sandra Bils, Gründungsmitglied von United4Rescue. Es sei ein „Unding“, dass Organisationen wie die Evangelische Kirche in Deutschland, der Koordinierungsrat der Muslime oder der Deutsche Gewerkschaftsbund, aber auch „ein Kondomhersteller, Kindergärten, Bauernhöfe oder Eiscremehersteller Seenotrettung betreiben müssen, weil die EU und ihre Mitgliedstaaten ihrer Aufgabe nicht nachkommen“, so Bils.
Sowohl Sea-Watch als auch Ärzte ohne Grenzen führen seit Jahren Seenotrettungseinsätze auf dem Mittelmeer durch – bisher aber unabhängig voneinander. Im April hatte Ärzte ohne Grenzen die bisherige Zusammenarbeit mit der Organisation SOS Méditerranée beendet. Grund waren unterschiedliche Auffassungen darüber, ob man in der Coronakrise auslaufen könne. Immer wieder war Schiffen mit Geretteten unter Verweis auf die Pandemie das Anlegen in europäischen Häfen versagt worden.
Behn betonte, die Coronapandemie dürfe kein Argument gegen Seenotrettung sein. Natürlich gebe es in der Enge eines Schiffes besondere Herausforderungen – man habe aber ein spezielles Protokoll entwickelt. Alle an Bord Befindlichen würden täglich auf Covid-19-Symptome getestet, Verdachtsfälle isoliert. „Aber Corona entbindet uns nicht von der Pflicht, Menschenleben auf See zu retten“, so Behn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht