Repressionen gegen Palästina-Demos: Konsequent ausgeschöpft
500 Teilnehmer:innen, über 100 Anzeigen: Trotz friedlichen Verlaufs reagiert die Polizei hart auf eine propalästinensische Demo in Charlottenburg.
Wenige Meter weiter bereitet sich eine Gruppe noch recht jugendlich wirkender Linker auf die Demo vor. „Wenn ihr verhaftet werdet, redet nicht mit der Polizei“, rät ein erfahrenes Mitglied der Gruppe.
Der Ratschlag könnte nützlich werden: Noch bevor die Demonstration startet, drängt ein Trupp behelmter Polizist:innen in die Menge, schubst Umstehende beiseite und greift eine Frau mittleren Alters. Die Demonstrantin leistet keinen Widerstand, trotzdem führen die Beamt:innen sie mit einem Schmerzgriff aus der Menge.
Die Demo-Teilnehmer:innen formen sofort eine Traube um die Polizist:innen, zücken ihre Handys und filmen unter „Shame on you“-Rufen die Festnahme. Wenig später beruhigt sich die Situation, die ganze Szene wirkt fast schon routiniert. „Das passiert jedes Mal“, kommentiert ein Teilnehmer trocken.
Ende ohne Vorwarnung
Kurz darauf läuft die Demo los, rund 500 Teilnehmer:innen sind es laut Polizei am Samstag. Auf der Straße zeigt sich eine bunte Mischung aus palästinensischer Diaspora, internationalen Queers, antiimperialistischen Linken und antizionistischen Jüd:innen. Trotz des vergleichsweise geringen Zulaufs ist die Demo laut, Sprechchöre wie „Free Palestine“ oder „Yallah, Yallah, Initifada“ werden von konstanten Trommeln begleitet. Im hinteren Teil der Demo ruft eine junge Frau „Glory to the resistance“ durch ein Megafon.
Seit Beginn des Gazakriegs als Reaktion auf den Überfall der Hamas vor mehr als einem Jahr organisiert die propalästinensische Bewegung in Berlin jede Woche mehrere Demonstrationen. Auch an diesem Wochenende fordern die Demonstrant:innen einen sofortigen Waffenstillstand, den Stopp deutscher Waffenlieferung und ein Ende der israelischen Besatzungspolitik. Dazu kommt die Kritik an der am 8. November verabschiedeten Antisemitismus-Resolution des Bundestags. In dem Beschluss versprechen die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP im Kampf gegen Antisemitismus „repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“.
Viel Luft nach oben scheint es dabei bei der Berliner Polizei ohnehin nicht zu geben. Als ein junger Mann unter einer Brücke eine Pyrofackel zündet, kesseln die mit einem Großaufgebot präsenten Beamt:innen die Hälfte der Demo kurzerhand ein und beenden die Versammlung ohne weitere Verwarnung. Die stolze Bilanz einer bis auf einige verbale Provokationen durchweg friedlichen Demo: 111 freiheitsbeschränkende Maßnahmen, 21 Strafermittlungsverfahren, unter anderem wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch, und 95 Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz – und das bei 500 Teilnehmer:innen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin