Repression propalästinensischer Proteste: Berlin demontiert den Rechtsstaat
In Berlin werden zwei Mädchentreffs geschlossen, weil deren Leiterin sich propalästinensisch positioniert. Das ist einer Demokratie unwürdig.

E s war einmal ein demokratisches und weltoffenes Berlin. Und dann kam Schwarz-Rot. Seit dem 7. Oktober arbeitet die CDU mit eifriger Unterstützung der SPD daran, den Rechtsstaat auszuhöhlen und ihnen unliebsame Meinungen mit allen Mitteln zu unterdrücken.
Erst entzieht der CDU-Kultursenator einem migrantischen Kulturzentrum die Förderung, weil in ihm umstrittene, aber keineswegs verbotene propalästinensische Gruppen aktiv sind. Dann erlässt die CDU-Bildungssenatorin ein Kufiya-Verbot an Schulen und schafft damit ein Klima der Angst.
Einen Palästina-Kongress findet der Regierende CDU-Bürgermeister „unerträglich“, woraufhin die Veranstaltung kurz nach dessen Beginn mit fadenscheinigen Argumenten verboten wird. Die Teilnehmer*innen eines propalästinensischen Camps vor dem Bundestag werden von der Polizei schikaniert.
Und nun beendet ein CDU-Stadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg die Verträge mit zwei Mädchenzentren, weil deren Leiterin privat für Palästina demonstriert und privat vielleicht strafrechtlich Relevantes in diesem Zusammenhang gepostet haben soll.
Rechtswidrige Mittel
Es ist völlig egal, was man von den Meinungen der einzelnen Betroffenen halten mag, aber ein solches Vorgehen gegen politische Aktivist*innen, die sich im juristischen Sinne nichts zu schulden haben kommen lassen, ist eines Rechtsstaates unwürdig. Der besitzt nämlich ausreichend Instrumente, um gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen vorzugehen. Dafür braucht er nicht selbst auf verfassungswidrige Mittel zurückzugreifen. Und ohne rechtliche Grundlage die Meinungsfreiheit zu beschneiden, ist rechtswidrig.
Ganz gleich, wie „unerträglich“ man so manche Meinung in der aufgeheizten Nahost-Debatte auch findet – solange sie nicht strafbar ist, muss man sie ertragen. Auch und vor allem das ist Demokratie. Und der Diskurs darüber sollte nicht beschnitten, sondern vielmehr gefördert werden, will man die Spaltung der Gesellschaft nicht noch vorantreiben.
Wer Meinungen, die nicht der „Staatsräson“ entsprechen, unterdrückt, handelt gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und ihre Basis – das Grundgesetz. Die Teilnahme am Palästina-Kongress war nicht verboten. Ob die Äußerungen der Leiterin des Mädchenzentrums auf Instagram strafbar waren oder nicht, das zu überprüfen ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft – und nicht eines Bezirksstadtrats.
Und wenn sie es waren, kann und sollte diese Leiterin ihrer Position enthoben werden. Deshalb gleich zwei Jugendeinrichtungen zu schließen und die Mädchen dafür zu bestrafen – das ist wirklich unerträglich.
Die Rückkehr der Berufsverbote
Es erinnert zudem unangenehm an den Geist der 1970er Jahre, als die Bundesregierung mit dem „Radikalenerlass“ Berufsverbote für Linke erließ. Dass dies nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar war, ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den 1990er Jahren klar.
Damals wie heute würde man sich wünschen, dass der deutsche Staat mit mindestens dem gleichen Eifer gegen Rechtsradikale vorgeht. Doch statt Haftbefehle gegen bewaffnete Neonazis zu vollstrecken, werden Mädchenzentren geschlossen, weil deren Leiterin sich propalästinensisch positioniert.
Wenn Rechtsradikale unbehelligt und immer lauter das Zusammenleben der Menschen in dieser Gesellschaft bedrohen und gleichzeitig linke Positionen durch den Staat massiv unterdrückt werden, ist der Schaden für unsere Demokratie umso größer.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen