Repression auf dem Mittelmeer: Seenotrettungsschiff festgesetzt
In Italien darf die „Humanity 1“ ihren Hafen nicht verlassen. Der Grund: Nichtkommunikation mit Libyens Küstenwache, sagt die NGO – und zieht vor Gericht.
Es ist mittlerweile traurige Routine: Seit voriger Woche liegt das Rettungsschiff „Humanity 1“, betrieben von der deutschen NGO SOS Humanity, vor Anker im Adriahafen Ortona, für 20 Tage festgesetzt von den italienischen Behörden, die zudem eine Geldbuße von 10.000 Euro verhängten.
Das Verbrechen der Besatzung der „Humanity 1“: Sie hatte 85 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet und sie dann in den ihr zugewiesenen Hafen Ortona gebracht – hatte es aber bei ihrem Rettungseinsatz unterlassen, mit der sogenannten libyschen Küstenwache zu kommunizieren. Dieser Umstand sei SOS Humanity zufolge Grund für die Festsetzung.
Die NGO liegt damit ganz auf einer Linie mit zwölf weiteren Seenotrettungsorganisationen, die sich im November zum Bündnis Justice Fleet zusammengeschlossen und dabei einmütig erklärt hatten, sie würden in Zukunft jedwede Kommunikation mit Libyens sogenannter Küstenwache verweigern.
Der Beschluss begründet sich darin, dass die Libyer auf hoher See eben weder Wach- noch Schutzaufträge erfüllen, sondern auch in internationalen Gewässern immer wieder Flüchtlingsboote abfangen, um ihre Insassen zurück nach Libyen in die dortigen Folterlager zu schaffen.
Bei diesen Einsätzen schrecken die Libyer auch vor Schusswaffengebrauch nicht zurück, sowohl gegen die Flüchtlingsboote als auch gegen NGO-Schiffe. So traf es im August die Ocean Viking der NGO SOS Méditerranée, auf die zahlreiche Salven gezielt in Mannshöhe abgefeuert wurden. Das Schiff mit 87 Flüchtlingen an Bord war von libyschen Booten umzingelt und dann – auch in diesem Fall in internationalen Gewässern – unter Feuer genommen worden.
Ende September wiederum traf es das Schiff Sea-Watch 5“, bei dessen Rettungseinsatz ebenfalls ein Schuss fiel. Am 1. Dezember wurde auch das Schiff Louise Michel“ beschossen. Wenig später fand die Crew der Louise Michel“ ein auf dem Meer treibendes leeres Schlauchboot, in ihren Augen ein Indiz, dass die libysche „Küstenwache“ gerade eine illegale Rückführungsaktion von Flüchtlingen abgewickelt hatte.
Unterstützung durch EU und Italien
Diese Aktionen sind nicht zuletzt möglich, weil Libyens Küstenwache großzügige Unterstützung aus Italien und der EU erhält. Laut der NGO Mediterranea Saving Humans war das gegen die Louise Michel“ eingesetzte Schiff „genau jenes, das von der Werft Vittoria di Adria (Rovigo) mit Entwicklungsfonds der EU gebaut und von der italienischen Regierung im Februar 2023 an Libyen übergeben wurde“. Und die „Louise Michel“ kommentierte, dass „Italien und die EU die libyschen Gruppen ausbilden, bewaffnen und für ihre illegale Gewalt an den Grenzen legitimieren“.
In dieses Bild fügt sich die jetzt beschlossene Festsetzung der „Humanity 1“ ein. Verbrecherisch handeln in den Augen der italienischen Regierung nicht etwa jene libyschen Einheiten, die seit nunmehr zehn Jahren immer wieder NGO-Schiffe attackieren, sondern jene NGOs, die sich aufgrund der wiederholten Attacken mittlerweile offen weigern, mit der „Küstenwache“ zu kommunizieren.
Dabei haben diverse italienische Gerichte – unter ihnen auch das Verfassungsgericht – in Urteilen festgehalten, dass die libysche „Küstenwache“ kein legitimer Partner bei Rettungseinsätzen ist, dass Privatschiffe nicht dazu gezwungen werden können, den Anweisungen der Libyer zu folgen, dass Flüchtlingen in Libyen unmenschliche Behandlung droht.
Doch darum schert sich Italiens Rechtsregierung unter Giorgia Meloni nicht, auch wenn immer wieder die Beschlüsse des Innenministeriums, NGO-Schiffe festzusetzen, von der Justiz kassiert wurden. Auch SOS Humanity klagt jetzt gegen die Festsetzung – mit guten Chancen. Ihr Ziel, das Schiff tagelang aus dem Verkehr zu ziehen, hätte die Regierung dennoch erreicht.
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