Religionskonflikt in Indien: Hindu-Hardliner trumpfen auf
In Ayodhya findet die Grundsteinlegung für einen Hindutempel statt. Am Jahrestag des Autonomieverlusts von Kaschmirs Muslimen.
„Dieser Tempel wird zu einem Symbol unseres Erbes, unseres unerschütterlichen Glaubens werden“, sagte Modi. Der Kampf um den Tempel sei wie ein Kampf für die Unabhängigkeit gewesen.
Gläubige Hindus sind überzeugt, dass auf genau jenem Grund in Ayodhya, auf dem der Mogulherrscher Babur im 16. Jahrhundert im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesch einen Moschee bauen ließ, einst Ram geboren und deshalb später mit einem Tempel bedacht worden war.
Dass sich unter der Moschee ein Tempel befand, haben Archäologen bestätigt, doch welcher genau, ist unklar. Da das Ram-Epos Ramayana erst nach dem Bau der Babri-Moschee mit einer Hindiversion populär wurde, sei es unwahrscheinlich, dass es ein Ram-Tempel war, meint der Filmemacher Anand Patwardhan aus Mumbai. Er hat sich kritisch mit dem Hindufundamentalismus auseinandergesetzt.
Indiens Regierung hat zum gestrigen Jahrestag des Entzugs der Teilautonomie und Teilung des nordwestlichen Bundesstaates Jammu & Kaschmir dort eine zweitägige Ausgangssperre verhängt. Schwerpunkt war die Hauptstadt Srinagar. Angeblich wurde die Ausgangssperre schnell wieder etwas gelockert. Aber die mehrheitlich muslimische Bevölkerung, die Unabhängigkeit oder Anschluss an Pakistan wünscht, fühlt sich von Delhis straflos agierenden Sicherheitskräften unterdrückt. Die Modi-Regierung hatte ihren Schritt vor einem Jahr mit der Bekämpfung des Terrorismus und der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Region begründet. Doch monatelange Internetsperren sowie Massenverhaftungen haben in Kaschmir zur Wirtschaftskrise geführt und die Ablehnung der Herrschaft Indiens nur Region vergrößert. Die umstrittene Himalayaregion ist zwischen Indien, Pakistan und China. (han)
Modis regierende hindunationalistische Volkspartei (BJP) kämpft seit den 1980er Jahren für den Bau des Tempels in Ayodhya und nutzte dies für ihren Aufstieg zur Macht. Das ging soweit, dass die Babri-Moschee 1992 von einem Hindumob zerstört wurde. Bei den damaligen Unruhen starben 2.000 Menschen, meist Muslime.
Noch heute läuft ein Gerichtsprozess wegen des Abrisses der historischen Moschee. Für Filmemacher Patwardhan, der die Mobilisierung fundamentalistischer Kräfte für den Ram-Tempel in den 1990er Jahren in seinem Film „In the Name of God“ dokumentierte, war die Genehmigung des Tempelbaus durch das Oberste Gericht im November 2019 ein Schock. Er fürchtet eine „politische Zweckentfremdung von Religion“.
Der hinduistisch-muslimische Konflikt sei von der britischen Kolonialherrschaft geschürt worden und hätte längst geklärt werden können, meint Patwardhan. Doch die säkulare Kongresspartei, die nach Indiens Unabhängigkeit Jahrzehnte regierte, habe dies versäumt. Stattdessen strahlte das staatliche Fernsehen in den 90er Jahren eine Serie über Ram aus, die den fundamentalistischen Hindukult gefördert habe.
„Heute stellt der Tempel Indiens hinduistische und nicht die säkulare Identität dar“, so Patwardhan. Das wurde auch bei der Grundsteinlegung klar. Zuvor hatte es eine Debatte gegeben, ob es für Modi als Vertreter des säkularen Staates angemessen sei, in solch einer religiösen Funktion aufzutreten.
Kritiker sehen eine gezielte Grenzüberschreitung und einen weiteren Schritt hin zu einem hinduistischen Staat, wie ihn die BJP und die hinter ihr stehende Kadertruppe RSS propagieren.
Angeblich bestimmten Astrologen den Tag der Grundsteinlegung, doch ist der 5. August auch ein politisches Datum: Es ist der erste Jahrestag, an dem der muslimisch geprägte Bundesstaat Jammu & Kaschmir die Teilautonomie entzogen bekam, er aufgeteilt und unter die direkte Hoheit Delhi gestellt wurde. Damit hat die BJP neben dem Bau des Ram-Tempels, der kurz vor den nächsten Wahlen fertig sein soll, ein weiteres Wahlversprechen erfüllt und Indiens muslimische Minderheit von rund 200 Millionen Menschen erneut gedemütigt.
Die Regierungspartei BJP genießt mit ihrer Mehrheitspolitik Popularität. „Aber sie hat keine Lösungen für Indiens wirkliche Probleme wie Hunger, Arbeitslosigkeit oder die Coronapandemie“, sagt Patwardhan.
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