Zusammenstöße in Kaschmir: Delhi lenkt mit Gewaltbildern ab

Der indische Teil Kaschmirs kommt nach der Beendigung des Sonderstatus nicht zur Ruhe. Daran hat die Regierung in Delhi derzeit auch wenig Interesse.

Bewaffnete Soldaten laufen an einem Zaun entlang

Indische Soldaten patrouillieren in Kaschmir an der Grenze zu Pakistan Foto: Channi Anand/AP/dpa

DELHI taz | Die Titel indischer Zeitungen zeigten zu Wochenbeginn Trümmer und Rauchschwaden. Denn an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir war es wieder zu Zusammenstößen und Todesopfern gekommen. Der Zeitpunkt könnte für Indiens hindunationalistische Regierung kaum besser sein. Denn am Montag waren Wahlen im Bundesstaat Maharashtra mit der Wirtschaftsmetropole Mumbai (Bombay).

Indiens Militärschlag gegen mutmaßliche pakistanische Terroristen begann einen Tag vor der Wahl und verdrängte unliebsame Themen wie die kränkelnde Wirtschaft aus den Medien.

2019 sei die Waffenstillstandslinie in Kaschmir von Pakistan schon 650 Mal verletzt worden, schreibt die Times of India unter Berufung auf Indiens Militär, meist in den letzten zwei Monaten. Seit einem Suizidanschlag auf indische Hilfspolizisten im Februar haben sich die Beziehungen zwischen den Erzrivalen dramatisch verschlechtert. Bilder von Soldaten, die fürs Mutterland („Mata India“) kämpfen, machen sich für die Regierung besser als Berichte über indische Militärs, die in Kaschmir Menschenrechte verletzen.

Am 5. August hatte Delhi dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir den Sonderstatus entzogen und ihn unter Direktverwaltung gestellt. Telefonnetze und Internet wurden blockiert, Politiker in Kaschmir interniert. Seitdem werden ganz im Sinne der Regierung in Delhi kaum noch Nachrichten aus Kaschmir öffentlich.

Stark einschränkte Kommunikation

„Die Kommunikation ist noch stark eingeschränkt“, sagt der in Kaschmir lebende Filmemacher Tassaduq Hussain. So habe er von der jüngsten Gewalt nichts mitbekommen. Es scheint, als wüssten die Menschen außerhalb Kaschmirs besser Bescheid als die dortigen.

Die in Delhi lebende kaschmirische Politikern Shehla Rashid macht online auf die Lage der Kaschmirer aufmerksam. Gegen die 31-Jährige läuft schon ein Verfahren wegen Aufruhr. „Die UN hätten im September Aktivisten aus Kaschmir zur Vollversammlung nach New York einladen sollen“, sagt sie.

Schließlich sei auch Schwedens Klimaaktivistin Greta Thunberg als Nichtexpertin geladen gewesen. Erst als die Welt auf Kaschmirs Autonomieverlust hingewiesen wurde, hätte Delhi auf Kritik reagiert.

Rashid klagt auch vor dem Oberstem Gericht. Verhandelt wurde noch nicht. Stattdessen geht die Regierung gegen Kritiker vor. In Srinagar wurden protestierende Frauen festgenommen, darunter Angehörige von Oppositionspolitikern. „Trotz der prekären Lage schließen Ladenbesitzer in Kaschmir ihrer Geschäfte aus Protest. Kaschmirische Apfelbauern verweigern die Ernte“, sagt Rashid.

Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten

Raum für Protest gebe es nicht. Versammlungen von mehr als fünf Personen bleiben verboten. „Kaschmirs Bevölkerung fühlt sich ungerecht behandelt“, sagt der Menschenrechtler Sanam Wazir. Ihn sorgt die prekäre Gesundheitsversorgung. „Kaschmir ist in einer medizinischen Notlage. Es fahren weder öffentliche Transportmittel, um Krankenhäuser zu erreichen, noch gibt es bei ernsten Erkrankungen Medikamente.“

Offiziell ist das kein Thema. Der Twitter-Kanal der kaschmirischen Regierung zeigt lieber Bilder einer beleuchteten Brücke in Srinagar. Für Indiens Premier Narendra Modi ist die Kongress-Partei, die früher in Delhi regierte, schuld an Kaschmirs Misere. Dabei misst Modi dem militärischen Schlagabtausch selbst offenbar keine große Beachtung bei. Lieber zeigt er zur Wahl Selfies mit Bollywood-Größen.

Am 31. Oktober sollen Jammu und Kaschmir in zwei Delhi direkt unterstellte Unionsgebiete aufgeteilt werden. Damit möchte die regierenden Hindunationalisten ein Versprechen an Indiens hinduistische Mehrheit erfüllen. Ihre Vision von einem geeinten Indien sei nur möglich, wenn der Staat Jammu und Kaschmir seine Sonderrechte verliert.

Bisher war es der einzige Bundesstaat mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Von dessen Teilung erhofft sich Delhi mehr Einfluss. Dabei war der Sonderstatus die Bedingung, dass sich bei der Aufteilung Britisch-Indiens 1947 das damalige Fürstentum Indien anschloss.

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