Reisewarnung für Schweden: Ballermann für den Studienrat
Die Reisewarnung für Schweden bleibt vorerst in Kraft. Endlich hat das Getue um Outdoor-Urlaub und die richtige Funktionsjacke einen Sinn.
E ndlich: Outdoor-Ausstattung ist in Europa nicht länger sinnlos. Die Hardshelljacke „Patagonia“ für 449,95 Euro, die Zeltstange „Abisko Endurance“ für 259,95 Euro oder der Trinkbecher „Adventure Mug“ für 35,90 Euro – das alles sind nicht länger reine Statussymbole, mit denen die KäuferInnen zeigen, dass sie Pauschalaurlaub nicht nötig haben und sich stattdessen mutig der Wildnis ausliefern.
Das Auswärtige Amt teilte diese Woche mit, dass die Aufhebung der Reisewarnung für EU-Länder nicht für jene Staaten gilt, in denen die „Pandemie-Kriterien“ nicht erfüllt werden. Und dann der Satz, den sich Outdoor-FreundInnen wohl einrahmen werden: „Dies gilt aktuell für Schweden.“ Dort ist die Zahl der Coronavirusinfektionen, pro Einwohner gerechnet, weiterhin hoch. Wer dorthin fährt – die Einreise war nie untersagt –, fährt im Sommer also mit dem offiziellen Risiko-Gütesiegel des Auswärtigen Amtes.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Schweden ist der Ballermann für den deutschen Studienrat, jeder will da hin: ein bisschen Distinktion (teuer), eine Prise Sozi-Nostalgie (Olof Palme), pädagogisch wertvoll (Astrid Lindgren), und dann die viele Natur, in der man ganz legal campen kann. Unglücklicherweise ist der überwältigende Teil des Landes mit Nadelbaummonokulturen zugepflanzt.
Funktionsjacken wie Signalfarben
Man kann Wochen durch die Wälder marschieren, ohne einem einzigen Säugetier zu begegnen. Das ist auf Dauer ziemlich öde, dem risikoscheuen Outdoorfreund vermittelt es aber ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit. Es gibt keine Bären, die sich neugierig am Zelt zu schaffen machen; die Wahrscheinlichkeit, in der Natur zu verhungern, geht gegen null, weil spätestens nach drei Tagen zwei Punkte in Signalfarben im Dickicht erscheinen: ein deutsches Touristenpaar in Funktionsjacken.
Natürlich braucht man den überteuerten Outdoorkrempel auch weiterhin nicht. Die offizielle Reisewarnung vermittelt aber die wohlige Aura des Halbverbotenen und Gefährlichen. Während für Spanien oder Großbritannien ab Mitte Juni nur noch lapidare Reisehinweise gelten, steht Schweden jetzt irgendwie auf einer Stufe mit Burkina Faso oder dem Südsudan. Dem Auswärtigen Amt sei Dank: Es verleiht der Glaubensfrage, was die richtigen Schuhe für da draußen sind, zumindest eine symbolische Bedeutung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin