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Reichsbürger auf Corona-DemosSie meinen es ernst

Bei den Demos gegen Coronamaßnahmen ist eine Reichsbürgergruppe aus Süddeutschland besonders aktiv. Sie will weitere Unterstützer ködern.

Stramm rechts: Unter den Verschwörungstheoretikern der Demos sind auch Reichsbürger Foto: Christian Mang/imago

Offenburg taz | Nicht weniger als die Absetzung der Regierung ist das Ziel derer gewesen, die sich Anfang August rund um das Brandenburger Tor in Berlin versammelt hatten. Um die 20.000 Menschen waren nach Polizeiangaben dem Aufruf verschiedener Organisationen gefolgt, um gegen die Coronamaßnahmen des Staates zu demonstrieren. Eine auffallend große Gruppe reiste aus Süddeutschland an.

Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Anhänger der sogenannten Querdenken-Bewegung, die schon mehrfach Tausende Pandemieleugner in Stuttgart versammelte. Bisher fast unbemerkt ist aber noch eine andere Gruppe aktiv, die auf den Hygienedemos ebenfalls vorgibt, für die Grundrechte einzutreten. Tatsächlich aber erkennt sie das Grundgesetz gar nicht als Verfassung dieses Landes an. Gemeint ist die sogenannte Verfassunggebende Versammlung, kurz VV.

Die Gruppe ist im Internet straff organisiert, betreibt sogar einen Internetauftritt samt dem eigenen Radiosender ddbradio. Auch sie ist besonders in Baden-Württemberg sowie in Bayern aktiv. Es sei alles für die Übernahme der Macht durch den Souverän, das Volk, vorbereitet, heißt es auf der Internetseite.

Per Unterschrift auf einem Vordruck, der derzeit auch eifrig auf den Hygienedemos verteilt wird, könne man an einem Referendum zur Abschaffung des Grundgesetzes teilnehmen. Als Kontaktadresse ist ein Postfach im badischen Lahr angegeben. Für ein Postfach in der Kreisstadt am Rande des Schwarzwalds hat sich vor wenigen Monaten schon die Polizei interessiert – als sie Razzien gegen Reichsbürger durchführte.

„Deutschland-Treff“

In den jährlichen Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg wird die VV denn auch im Kapitel zu den Reichsbürgern behandelt: Deren Ideologie beruhe auf der Annahme, dass die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung 1990 erloschen sei. Die Bundesrepu­blik, so die Überzeugung der Anhänger, sei eine GmbH, die lediglich verwaltet werde, bis eine neue Verfassung in Kraft trete, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

An dieser Verfassung arbeitet man. Sie begründet nach Auffassung einer kommissarisch eingesetzten Führung unter Leitung eines gewissen „Uwe von Leonhard“ den bereits 2016 ausgerufenen „Bundesstaat Deutschland“ – in den Grenzen von 1916. So habe man es in den Vollversammlungen beschlossen, die in einem Chatraum namens „Deutschland-Treff“ stattfanden, wie es in „aktuellen Informationen aus dem Präsidialamt“ auf der Homepage heißt.

Anhänger der Gruppe haben in den letzten Monaten die Hygienedemos im Südwesten bereist, um Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Anliegen zu begeistern und um neue Unterzeichner für ihr Referendum zu rekrutieren.

So berichtete zum Beispiel ein „Jürgen von Friedrich“ in einem Facebook-Video auf der Rückfahrt von einer Demo in Offenburg, dass dies dort Thema gewesen sei: „Die Menschen wachen langsam auf. […]. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Die verfassunggebende Versammlung findet immer mehr Gehör“, sagt er. Massiv wirbt die Gruppe auch in den Chaträumen der regionalen Anti-Corona-Demonstrationen um neue Anhänger. Die Diskussionsteilnehmer dort lädt sie mit Links in ihre eigenen Kanäle ein.

Mehr Reichsbürger auf Telegram

Harmlos kommt die Bewegung keinesfalls daher. Die Anhänger meinen es ernst – und werden ungeduldig, wie sich an der rasant ansteigenden Zahl von Kanälen in der Chat-App Telegram und an der wachsenden Radikalität ihrer Beiträge ablesen lässt.

So schreibt etwa ein User Namens „Timo“ im Telegram-Kanal „Deutschlandtreff“: „Ich merke das uns die Zeit davon läuft und uns der Kragen enger gezogen wird. Es ist jetzt Zeit zu handeln. […] Wir müssen unsere neue Verfassung ausrufen und verkünden das wir unsere Politiker absetzen. […] Ich fühle mich wie wenn wir in einer Schlacht stehen, aber niemand tut etwas um die Messer und Speere die auf uns zulaufen aufzuhalten.“

Allein dieser Kanal hat 1.780 Mitglieder, täglich werden es mehr, und es gibt bundesweit mittlerweile Hunderte ähnlicher Chatgruppen. Auch auf der Berliner Großdemo war vielerorts und sogar vor Fernsehkameras die Rede davon, dass sich Politiker, Medienschaffende und Verwaltungsangestellte nach der Machtübernahme für ihr Handeln vor einem „Tribunal des Rechts“ verantworten müssen. Die Propaganda der „Verfassunggebenden Versammlung“ verfängt offenbar.

Ein Demonstrant ist allerdings desillusioniert von Berlin zurückgefahren: Der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple, gegen den ein Parteiausschlussverfahren läuft, plädierte dafür, nach der Demo weiter zum Reichstag zu ziehen. In einem Video auf seiner Facebook-Seite bedauert er auf dem Rückweg schließlich, dass der Umsturz dieses Mal ausgeblieben sei: „Wir hätten es natürlich knallen lassen können. […] Es ist ein bisschen schade, dass es jetzt heute so verpufft ist.“ Von Baden sei schließlich schon einmal eine Revolution ausgegangen.

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18 Kommentare

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  • Wenn man mal einen Blick in die genannten und dort verlinkten Telegram-Gruppen wirft, fällt zum einen die krude Mischung an Themen und Erzählungen auf, die quer durch alle verteilt werden, inklusive Links zu QAnon-Channels und Websites, tum anderen mit welcher Frequenz das rechte Spektrum gerade Initiativen, Medien und Aktivismus aus dem Boden stampft. Das ist zwar seit Jahren zu beobachten, aber die Strategie, sich an jeden potentiellen Protest heranzuwanzen, der halbwegs thematisch anschlussfähig ist, dort erst noch halbwegs harmlose spinnerte Aussagen und Memes zu publizieren, aber auch immer Links und Spuren ins rechtsextreme Milieu zu legen und gleichzeitig bis zum Verkitschten harmlose Alltagsposts einzustreuen, um das "normale", "positive" der Blase zu beteuern, scheint mir an Fahrt aufzunehmen. Woher all das Geld und die Zeit stammen, um so einen Aufwand betreiben zu können, ist noch offen. Es scheint aber auch einen Trend zur Ökonomisierung über Bücher, Merchandise und andere Produkte zu geben. Die Rechte scheint recht erfolgreich die alten Konzepte der Gegenöffentlichkeit und wirtschaftlichen Infrastruktur umzusetzen, während die alten "alternativen Strukturen" langsam aber sicher im Mainstream aufgegangen oder erfolgreich niedergerungen worden sind. Die Gegenkultur ist langsam - zumindest in Teilen - rechts und in weiteren Teilen sogar ohne sich dessen bewusst zu sein.

  • Es waren also 20.000 Reichsbürger, die am 01. August demonstriert haben?

  • Diese Demos sind leider nicht nur ein Indiz für die Beschränktheit der Teilnehmer, sondern auch für schlechte Regierungsarbeit.

    Als ehedem Michael Kretschmer bei einer ähnlichen Demo mit dem Fahrrad ankam und diskutierte, wurde ihm das allseits hoch angerechnet. Es war einer seiner wenigen Glanzpunkte als MP.

    Diese Demonstranten mögen nicht die Hellsten sein und ihre Ideen krude, aber es sind dennoch mündige Bürger. Sie aus dem Elfenbeinturm heraus zu beschimpfen, spielt nur den Aufwieglern in die Hände.

    • @Fabian Wetzel:

      Mündige Bürger sind in der Lage kritisch und selbstständig zu denken, bemerken also recht schnell, wie schwachsinnig jegliche These der Reichsbürger ist. Also nein; mündige Bürger sind dort nicht anzutreffen. Vielmehr unmündigen Bürger, die sich das Denken abnehmen lassen und blind den kruden Verschwörungstheorien folgen. Eventuell sind noch einige Narzissten oder Soziopathen anwesend, die ihr Machtbedürfnis durch die Unterwerfung unmündiger Bürger befriedigen, da sie sich diese wie Schafe zum Gefolge machen.

    • @Fabian Wetzel:

      Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen der juristischen Mündigkeit im und jener die der alte Kant im Sinne hatte. Von Spitzenpolitikern zu erwarten, dass sie bei diesen Leuten nachholen was in der Schule offenbar nicht gelungen ist scheint mir etwas zu viel verlangt.

  • Könnte man diesen Knalltüten nicht ein für allemal den Wind aus den Segeln nehmen wenn man die nächste Bundestagswahl mit einem Referendum über die Bestätigung des Grundgesetzes verbinden würde? Klar, die Hardcore-Nazis wird auch das nicht interessieren, aber all jene irrlichternden Gestalten die von einer Deutschland-GmbH fabulieren, deren Chefsessel einem Reptiloiden aus dem Hause Hohenzollern zustünde hätten Klarheit und nach 70 Jahren die Legitimationsgrundlage mal aufzufrischen kann ja eigentlich auch nicht schaden.

    • @Ingo Bernable:

      Im GG selber ist ja auch der vorläufige Charakter des GGs festgelegt.



      Und die etwas schwülstigen Formulierungen über das deutsche Volk, das sich nach der Wiedervereinigung eine Verfassung geben müsse, die stammen ja aus dem GG. Es wurde halt einfach nicht gemacht. Darum finde ich Ihren Vorschlag erwägenswert.



      Die wahren Feinde des GG, die dauernd ins GG reinpfuschen, sitzen in den Parteien und im Bundestag.



      Und sie pfuschen erfolgreich rein. Meter um Meter wird die Balance zwischen Staat und Untertan verschoben, manchmal um Zentimeter vom Bundesverfassungsgericht korrigiert.

      • @albert992:

        Nirgendwo im GG steht etwas davon, dass sich das deutsche Volk eine neue Verfassung geben muss.

        • @Kaboom:

          Da irren Sie. Ich hab das zunächst nur aus dem Gedächtnis erwähnt.



          Aber auch hier hilft Google und Wikipedia.



          "Diese durch den Einigungsvertrag veränderte Fassung (Art. 3 EV) ersetzte gemäß Art. 4 EV mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 die ursprüngliche Präambel des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 (siehe Abschnitt „Historischer Wortlaut“), das Geltung nur für „eine Übergangszeit“ bis zur Vollendung der Einheit Deutschlands beanspruchte. "

          • @albert992:

            (...)



            In der Präambel findet sich eine Formulierung, die auf eine begrenzte Länge der Gültigkeit hindeutet, in Art. 146 ist beschrieben, dass eine neue Verfassung das GG ersetzen kann, bzw. würde.



            Und genau wie ich schrieb: NIRGENDWO ist eine diesbezügliche Verpflichtung erwähnt







            Beitrag wurde bearbeitet. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.



            Die Moderation

            • @Kaboom:

              Die Präambel in Verbindung mit Artikel 146 kann durchaus als Verpflichtung gelesen werden, wenn darüber auch die Meinungen auseinander gehen, je nach Interesse.



              C demokratisch geht anders: die Bevölkerung der neuen Bundesländer würde nicht gefragt.



              Am GG waren nur die Bürger der alten Bundesländer beteiligt. Über die Wahl der Länderregierungen.



              Darum finde ich den Vorschlag oben, die demokratische Legitimierung des GG als Verfassung herzustellen, erwägenswert.

  • Ich möchte nicht den Tag erleben, an dem einen Anschlag von denen verübt wird und danach der Verfassungsschutz die Schuld von sich schiebt und meint, sie hatten keine Erkenntnisse über sie und hatten sie nicht auf dem Schirm.



    Ich hoffe, dieser Tag wird niemals geschehen.



    Ich fürchte aber, dass die Mitglieder solcher Kanäle sich mit Zeit weiter radikalisieren.

  • Was rauchen die bloss für ein Kraut...

    • @tomás zerolo:

      Bitte machen Sie keine Kräuter für die Dummheit mancher Zeitgeossen verantwortlich, das finde ich gemein.

    • @tomás zerolo:

      Ihr kommentärchen tut gleich zwei kollektiven im namen einer kleinen schnittmenge die sie wahrscheinlich haben unrecht-den kiffer*innen von denen es viele in verschiedenen politischen farben gibt(junge liberale grüne und linke sind für die legalisierung des kiffens) und den reichs*bürger*innen von denen die allermeisten keine kiffer*innen und auch keine erklärten gegner*innen der illegalisierung des kiffens sind und die meisten politisch eher rechts von der cdu oder der csu einsortiert werden .



      eigentlich haben Sie mit nur sieben worten oder wörtchen aber sogar drei kollektive angesprochen denn auch die deutschen die im englishsprachigen ausland nach dem sauerkraut dass sie angeblich fressen Krauts genannt werden könnten sich angesprochen fühlen und denken sie seien gemeint,

      was wohl der vegane reichskanzlerkandidat "Adolf Avocadolf" -der bei den demos der hyänen in berlin auftrat dazu sagen würde?

      grün ist die partei die er am meisten zum fressen gern hat



      grün ist die avocado-grün wählt so mancher rechtsanwalt(das ist die spanische bedeutung des wortes avocado )und grünes kraut kann man fressen oder in der pfeife rauchen .



      aber das geht auch mit schwarzem afghanen rotem libanesen und acapulco-gold



      wenn es denn schon eine nationale mischung sein muss

      mal sehn ob in der reichshauptstadt- nach den grossdemos vor während und nach denen von vielen teilnehmer*innen -darunter vielleicht auch eingen öfter mal bekifften oder härtere aber legale drogen konsumierenden gegen die schutzmassnahmen gegen die coronaviruspandemie verstossen wurde die fallzahlen steigen oder nicht steigen.

      • @satgurupseudologos:

        :-)

        und auch @MOTZKOPF hat recht: wahrscheinlich sollte ich nicht einem Kraut die Schuld in die Schuhe schieben.

        Cannabis kann's jedenfalls nicht sein. Das erzeugt im Normalfall nicht so wüste Wahnvorstellungen.

      • @satgurupseudologos:

        Avocado - Gemüse, Abogado - Rechtanwalt.