Regisseurin über hingerichtete Iranerin: „Ein Film gegen die Todesstrafe“

Steffi Niederzolls Dokumentarfilm „Sieben Winter in Teheran“ ist aufwühlend. Sie erzählt über eine junge Iranerin, die hingerichtet wurde.

Steffi Niederzoll in Kreuzberg auf der Straße

Die Regisseurin und Autorin Steffi Niederzoll in Berlin Kreuzberg Foto: Wolfgang Borrs

wochentaz: Frau Niederzoll, ihr Dokumentarfilm über Reyhaneh Jabbari, die 2014 gehängt wurde, weil sie sich gegen eine Vergewaltigung wehrte und dabei ihren Angreifer, einen Geheimdienstmitarbeiter, tödlich mit einem Messer verletzte, lebt von den Tondokumenten, die Reyhaneh im Gefängnis aufnimmt. Wie konnten all diese Aufnahmen und Texte hinausgeschmuggelt werden?

Steffi Niederzoll: Meistens konnte Reyhaneh jeden Tag zwei Minuten lang telefonieren. Vor allem zuletzt, 2014, nahm ihre Mutter ihre Gespräche auf. So konnten ziemlich schnell Texte aus dem Gefängnis an der Gefängnisleitung vorbei aus dem Gefängnis geschafft werden.

wurde 1981 in Nürnberg geboren. „Sieben Winter in Teheran“ ist ihr Debütfilm, der in der Sektion Perspektive läuft. Zusammen mit Shole Pakravan schrieb sie das Buch „Wie man ein Schmetterling wird“ (2023).

Die Telefonleitung wurde nicht überwacht?

Doch, manchmal hat es auch nicht geklappt, sie wurden abgehört.

Sogar Fotos aus dem Inneren des Gefängnisses, aus Evin, sind im Film zu sehen.

Es ist Wahnsinn, wie viel diese Menschen riskiert haben, indem sie Handys rein- und Fotos rausgeschmuggelt haben. Ich hätte diesen Film ohne die vielen mutigen Ira­ne­r:in­nen niemals machen können.

Wie hat die Geschichte einige Jahre später zu Ihnen gefunden?

Das war Zufall. Ich habe in Istanbul, wo ich in der Zeit häufig war, über einen iranischen Freund 2016 Familienmitglieder von Reyhaneh kennengelernt. Wir haben uns angefreundet und irgendwann haben sie mich gefragt, ob ich nicht aus den Ton- und Videoaufnahmen aus Reyhanehs Haftzeit einen Film machen möchte. In Iran haben sie niemanden gefunden, der sich das traute, für mich als Deutsche war es sehr viel weniger gefährlich. Das war ein ziemlicher Vertrauensvorschuss. 2017 habe ich dann Shole Pakravan kennengelernt, Reyhanehs Mutter. In dem Moment wusste ich, dass ich diesen Film unbedingt machen möchte und muss.

Shole und ihre zwei Töchter hatten Iran kurz zuvor verlassen.

Ja. Shole hat nach der Hinrichtung ihrer Tochter weiter gegen die Todesstrafe gekämpft. Zusammen mit anderen Müttern, deren Kinder teilweise auf Demonstrationen während der grünen Bewegung 2009 erschossen worden sind, hat sie sich gegen willkürliche Verhaftungen eingesetzt. Verhört wurden sie immer wieder, ihre Töchter bedroht. Als dann eine Freundin und Mitstreiterin Sholes verhaftet wurde, war klar, dass sie das Land verlassen muss.

Ist Reyhanehs Vater Fereydoon Jabbari immer noch in Iran? Im Film ist er der Einzige, den Sie per Videotelefonat interviewen.

Ja, ihm wird die Ausstellung eines gültigen Passes verwehrt und es sieht auch nicht danach aus, dass sich das bald ändert. Aber er hat sich trotzdem entschlossen über seine Tochter zu sprechen. Alle anderen, auch die ehemaligen Mithäftlinge Reyhanehs, sind nicht mehr in Iran. Mit mir zu sprechen wäre einfach zu gefährlich gewesen. „Sieben Winter in Teheran“ ist ein Film gegen die Todesstrafe. Die Todesstrafe basiert auf der Scharia, also auf dem Koran. Das bedeutet, der Film richtet sich quasi gegen das Wort Gottes.

Reyhaneh Jabbari vor einem Mikrofon in einem Gerichstssaal

Reyhaneh Jabbari vor Gericht in „Sieben Winter in Teheran“ von Steffi Niederzoll

Sie bleiben die ganze Zeit sehr nah an der Familie Jabbari. Haben Sie versucht, auch die Familie des getöteten Morteza Abdolali Sarbandi zu befragen?

Ich bin nicht an sie herangekommen. Es ist aber auch keine journalistische Arbeit, sondern ich nehme ganz klar eine Perspektive ein, nämlich die der Familie Jabbari. Ein Film ist immer auch eine Entscheidung. Ein Film kann nicht alles.

„Sieben Winter in Teheran“ ist auch ein Film über das iranische Justizsystem, über das Konzept der Blutrache, wonach die Familie des Geschädigten, im Fall Reyhanehs die Familie ihres verhinderten Vergewaltigers, die Strafe festlegt. Das Bemerkenswerte an Ihrem Film ist jedoch, dass man Jalal Sarbandi, den ältesten Sohn, verstehen lernt, obwohl er entschieden hat, Reyhaneh hängen zu lassen.

Das war einer der Aspekte, der mich an Reyhanehs Mutter Shole so eingenommen hat. Wie sie versucht hat, eine Beziehung zu Jalal aufzubauen und Verständnis zu zeigen, hat mich total berührt. Jalal ist in meinen Augen auch ein Opfer des patriarchalen Systems in Iran. Doch natürlich schwankt Shole immer wieder, denn letztlich ist er trotzdem derjenige, der entschieden hat, dass ihre Tochter nicht mehr leben darf.

Bis zuletzt bestand die Chance, dass er ihr vergeben würde. Letztlich hat er jedoch nicht nur ihre Hinrichtung verantwortet, sondern musste selbst auf einen Knopf drücken, wodurch das Podest unter ihr weggezogen wurde.

Es ist extrem perfide, dass ein Staat die Entscheidung über das Leben eines Menschen an einen Bürger weitergibt. Dadurch werden riesige Fragen aufgeworfen. Was ist Leben, was ist Vergebung, was ist Rache? Das Schwanken von Jalal, der einerseits Verständnis zeigt und vergeben möchte, andererseits aber seinen Vater rächen will. Man muss bedenken, die Familie hat ja auch einen Menschen verloren, sie müssen auch mit ihrem Schmerz klarkommen.

Das Perfide des iranischen Rechtssystems zeigt sich auch, als der parteiische Richter Reyhaneh darüber belehrt, dass sie sich hätte vergewaltigen lassen und anschließend Anzeige erstatten sollen.

Im islamischen Recht gibt es die Hadd-Strafen, denen auch außerehelicher Geschlechtsverkehr unterliegt. Reyhaneh wurde ja schon vor ihrem Gerichtsprozess mit 30 Peitschenhieben bestraft, weil sie einen außerehelichen „Kontakt“ mit Sarbandi hatte, ohne Geschlechtsverkehr. Hätte der stattgefunden, einvernehmlich oder nicht, wären es 100 Peitschenhiebe gewesen.

Nachdem Reyhaneh zum Tode verurteilt worden ist, dauerte es noch fünf Jahre, bis sie tatsächlich hingerichtet wurde. Ist das üblich?

18.2., 18.30 Uhr, Bundesplatz-Kino. 19.2., 21.30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain. 25.02., 19 Uhr, Kino International

Es ist in diesem extrem korrupten System nicht unüblich. Auch Reyhanehs Familie hat jahrelang Bestechungsgeld gezahlt, damit ihre Akte immer wieder nach unten rutscht.

Trotzdem war es vor allem der Protest der Mutter, der für Aufsehen gesorgt hat und Druck ausübte auf das Regime. Man fragt sich aktuell wieder: Wie viel Angst machen dem Regime wütende Frauen?

Es gibt diejenigen, die fürchten, westliche Medien einzuschalten könne schneller zu einer Hinrichtung führen, was vom Regime natürlich ebenfalls propagiert wird. Anderseits ist das Regime durch den Aufschrei im Westen in Reyhanehs Fall wahnsinnig unter Druck geraten. Letztlich ist sie aber trotzdem hingerichtet worden. Die Meinungen gehen also auseinander.

Haben Sie weiterhin Kontakt zu Reyhanehs Familie?

Ja, wir stehen uns sehr nah. Erst im September haben wir ja zusammen das Buch „Wie man ein Schmetterling wird“ zu Ende geschrieben, das Reyhanehs Fall nochmals darlegt.

Aktuell werden in Iran weiter De­mons­tran­t:in­nen hingerichtet. Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrem Film?

Ich hoffe, dass der Film verdeutlicht, dass hinter den Zahlen Einzelschicksale stecken. Hinter jedem hingerichteten Demonstranten steht eine Mutter wie Shole Pakravan, steht ein Vater wie Fereydoon Jabbari. Ich will die Reproduktion von Gewalt zeigen. Durch die Proteste sind Menschen weltweit da-rauf aufmerksam geworden, wie es in Iran um Frauenrechte steht. Doch diese institutionalisierte Gewalt hat nicht jetzt, hat nicht mit dem Fall von Reyhaneh angefangen, das geht seit Jahren so.

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