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Deutsche Filmpreise vergebenFilme, die zeigen, wie es uns geht

Am Freitag wurden in Berlin die Ge­win­ne­r:in­nen des Deutschen Filmpreises Lola gekürt. Darunter sind Filme von Ayşe Polat und Steffi Niederzoll.

Ayse Polat erhält beim Deutschen Filmpreis 2024 die Lola für das beste Drehbuch des Films „ Im toten Winkel“ Foto: Christoph Soeder/dpa

Wie sagte es der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer einst so weise: Film ist ein Reflexionsmedium der Wirklichkeit. Was wir auf der Leinwand sehen, spiegelt uns, und verhilft uns damit zu neuen Perspektiven. Wie es uns momentan geht, müsste man demnach am Deutschen Filmpreis Lola, dessen Ge­win­ne­r:in­nen am Freitag bei einer Gala im Theater am Potsdamer Platz gekürt wurden, gut ablesen können.

Zumal man das Auswahlverfahren erneuert hatte, um es fairer und transparenter zu machen: Bereits die Auswahl der Nominierungen wird seit diesem Jahr auf sämtliche 2.200 Akademiemitglieder verteilt. Bei den beiden Kategorien „Bester Film“ und „Bester Kinderfilm“ wählen nun alle Mitglieder mit, bei den „Gewerkepreisen“ wie „Beste Kamera“ nach wie vor die Ver­tre­te­r:in­nen des jeweiligen Gewerks.

Die Preise für die „Beste Regie“, das „Beste Drehbuch“ und die Lola in Bronze für den „Besten Film“ gingen an Ayşe Polats „Im Toten Winkel“, der zeigt, dass das Kino unsere komplexe Wirklichkeit zuweilen besser erfassen kann als ein voreingenommener Mensch: Kunstvoll verschachtelt und hoch spannend erzählt der Polit-Thriller von einem Dokumentarfilmteam, das über ein kurdisches Schicksal berichten möchte. Für die Beteiligten verschwimmen dabei die Wahrheiten – wer sieht was aus welchen Gründen? Der meisterlich inszenierte Film erscheint wie eine Allegorie nicht nur auf autoritäre politische Systeme, sondern auch auf die von unseren eigenen Agenden geprägte Kommunikation.

Bezeugen, was bewegt

Dass Steffi Niederzolls „Sieben Winter in Teheran“ als bester Dokumentarfilm und für die beste Montage ausgezeichnet wurde, bezeugt ebenfalls, was uns bewegt: Das Debüt ist die Geschichte einer jungen iranischen Frau, die bei einem Vergewaltigungsversuch in Notwehr ihren Peiniger erstach und nach sieben Jahren im Gefängnis hingerichtet wurde, weil sie sich weigerte, von der (wahren) Geschichte abzurücken. Die fassungslos machende Ungerechtigkeit des Urteils und der Mut von Reyhaneh Jabbari, die für die Wahrheit starb, stärken den bewegenden Film und überzeugten die Mitglieder.

Matthias Glasners Auseinandersetzung mit seiner Familie, das ideenreiche, tragikomische Drama „Sterben“, bekam die Goldene Lola. Die Dar­stel­le­r:in­nen Corinna Harfouch und Hans-Uwe Bauer wurden für die beste weibliche Haupt- und die beste männliche Nebenrolle geehrt. Der auditiv-emotionale Höhepunkt des Films ist Lorenz Dangels ebenfalls ausgezeichnete orchestrale Filmmusik. Mit einem sich selbst immer wieder lautstark an die Wand spielenden Cast zeigt der Film die Traumata einer dysfunktionalen Familie bis ins schmutzige Detail – Körperausscheidungen und Brutalitäten inklusive. Die eigene Familie ist eben manchmal zum Kotzen.

Ansonsten lief die von sieben Menschen, und damit ungefähr fünf den Brei verderbenden Köchen zu viel, moderierte Veranstaltung eher vorsichtig ab – die Größe der Mo­de­ra­tor:in­nenriege, die für Diversität stehen sollte, funktionierte nur begrenzt, weil so niemand auf etwas reagieren, dem Abend etwas Persönliches mitgeben konnte. Die Erfahrungen mit politischen Äußerungen auf Kulturbühnen, die zuletzt immer wieder zu (vor allem medialen) „Eklats“ führte, machten sich bemerkbar: Man war zurückhaltend, dabei aber angemessen besorgt.

Am Ende kulminierten Empfindungen und Ängste in der berührenden Rede der 102-jährigen Holocaustüberlebenden Margot Friedländer, die man täglich auf allen Kanälen ausstrahlen müsste. „Ich bitte Euch, seid Menschen“, sagte sie. Besser kann man es nicht ausdrücken.

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