Regisseur Moretti über Buchverfilmung: „Ich bin hartnäckig“

Der Autorenfilmer Nanni Moretti hat mit „Drei Etagen“ zum ersten Mal einen Roman verfilmt. Er spricht über Schuld, Ironie und Streamingdienste.

Vittorio (Nanni Moretti) und Dora (Margherita Buy) stehen in dunkler Kleidung auf der Straße.

Zwei strenge Richter: Vittorio (Nanni Moretti) und Dora (Margherita Buy) in „Drei Etagen“ Foto: Happy Entertainment

Nanni Moretti gehört mit seinen eigenwilligen und sehr persönlichen Filmen wie „Liebes Tagebuch“, „Das Zimmer meines Sohnes“ und der Papstsatire „Habemus Papam“ zu den profiliertesten Autorenfilmern Italiens. Sechs Jahre nach seinem letzten Werk „Mia madre“ verfilmte er nun erstmals einen fremden Stoff. Das Melodram „Drei Etagen“ erzählt von einem Wohnhaus in Rom, dessen Mieter sich in Schuldzuweisungen verlieren. Zum Gespräch per Video empfängt er Ende Februar auf seinem Bett. Der 68-Jährige ist wegen Covid in Quarantäne, von Erschöpfung aber keine Spur.

taz: Herr Moretti, mit Ihrem Film „Drei Etagen“ verfilmen Sie zum ersten Mal eine Geschichte, die nicht aus Ihrer Feder stammt. Was hat Sie an dem Roman „Über uns“ des israelischen Schriftstellers ­Eshkol Nevo interessiert?

Nanni Moretti: Nach meinem letzten Film „Mia madre“ 2015 steckte ich in der Krise, ein anderes Filmprojekt, an dem ich lange arbeitete, kam nicht recht voran. Da empfahl mir meine Drehbuchautorin diesen Roman. Beim Lesen war mir sofort klar, dass ich daraus meinen nächsten Film machen will. Die darin verhandelten Themen gehen uns alle an: Schuld, Gerechtigkeit, die Folgen unseres Handelns, wie wir unserer Rolle als Eltern gerecht werden. Und auch wenn sich der Roman oft direkt auf Tel Aviv bezieht, sind die Geschichten so universell, dass sie leicht übertragbar waren. Ich habe in Rom gedreht, aber der Film hätte ebenso gut in Berlin, Madrid oder einer anderen Stadt spielen können.

Bei der Adaption haben Sie nicht nur den Ort verändert, sondern sich auch andere Freiheiten genommen.

Im Roman sind es drei separat als Monologe erzählte Geschichten, die in einem Haus spielen, aber vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Wir haben das weitergesponnen und miteinander verflochten, ein Davor und ein Danach imaginiert.

„Drei Etagen“. Regie: Nanni Moretti. Mit Margherita Buy, Riccardo Scamarcio u. a. Italien/Frankreich 2021, 119 Min.

Was hat Romanautor Eshkol Nevo von diesen Eingriffen gehalten?

Als ich ihm das erste Mal eine Mail geschrieben habe, hat er es für einen Scherz gehalten, also dass sich jemand für mich ausgibt. Ich musste ihm erst glaubhaft machen, dass ich der wahre Nanni Moretti bin und habe ihm dann ausführlich begründet, warum ich seinen Roman verfilmen möchte. Das gefiel ihm offenbar, er gab mir sein Einverständnis, wollte aber in den kreativen Prozess nicht eingebunden werden. Wir haben uns erst wieder gesprochen, als der Film fast fertig war.

Sie spielen in Ihren Filmen meist auch mit, hier übernehmen Sie die Rolle eines prinzipientreuen Richters und Vaters, dessen erwachsener Sohn gleich zu Beginn alkoholisiert einen Autounfall verschuldet, bei dem eine Frau ums Leben kommt. Warum diese Figur?

Ich habe lange gezögert, weil es mir schwerfällt, einen Mann zu spielen, der so gar kein Mitleid hat und von seinem Sohn rigoros verlangt, Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen. Aber mir war es wichtig, ganz unterschiedliche Motivationen menschlichen Handelns zu beleuchten, ohne klare Einteilung in gut und böse. So ist die Welt nicht, so sind wir als soziale Wesen nicht.

Sie sind für Ihren Humor und Ihre Selbstironie bekannt, „Drei Etagen“ hat einen erstaunlich ernsthaften Ton.

Darüber haben sich schon einige beschwert. Soll ich etwa immer wieder denselben Film machen? Ironie und Komik wären hier doch schlicht fehl am Platz. „Drei Etagen“ enthält viel Schmerz, ohne sich sadistisch daran zu weiden. Die Männer sind starrköpfig und unfähig, andere Standpunkte gelten zu lassen. Die Frauen dagegen sind bemüht, Konflikte zu lösen und auch andere Perspektiven zu berücksichtigen. Und daran mangelt es uns heute oft, im Privatleben, aber auch in der Öffentlichkeit und in der Politik.

Es ist Empathie für die Figuren zu spüren, bei all ihren Fehlern und Schwächen. Eine Frage der Altersmilde Ihrerseits?

Ich hätte diesen Film vor 30 Jahren sicherlich nicht drehen können, schon allein, weil ich damals selbst noch kein Vater war. Ich hätte ihn früher wohl sehr viel kälter und distanzierter erzählt. Auch wenn der Stoff nicht von mir ist, spiegelt er sehr viel von dem wider, wie ich heute denke und bin.

Weil sich Ihr Blick auf die Menschen verändert hat?

Inwieweit verändert man sich im Laufe seines Lebens wirklich? Ich habe es in meinen inzwischen 68 Jahren versucht, auch wenn es am Ende wohl nicht viel ist. Ich bin hoffentlich ein bisschen nachsichtiger geworden, mit den anderen und auch mit mir selbst.

Der italienische Filmregisseur, Filmproduzent und Schauspieler Nanni Moretti wurde 1953 in Bruneck (Brunico) in Südtirol geboren. Seinen ersten Spielfilm „Io sono un autarchico“ („Ich bin ein Autarkist“) drehte er 1976 auf Super 8. Sein zweiter Spielfilm, die Komödie „Ecce Bombo“ („Die Nichtstuer“, 1978), war ein Überraschungserfolg und machte ihn in Italien zum Star. Mit „Caro Diario“ („Liebes Tagebuch“, 1993) hatte er international großen Erfolg, für „La stanza del figlio“ („Das Zimmer meines Sohnes“) gewann er 2001 in Cannes die Goldene Palme.

Sie haben bereits früh Ihre eigene Filmproduktionsfirma gegründet und sich damit Freiräume geschaffen. Inwieweit hat sich seit den Anfängen in den 1970er Jahren Ihre Situation als Filmemacher verändert?

Von der Krise des Kinos war schon die Rede, als ich meine ersten Kurzfilme auf Super 8 gedreht habe. Aber aktuell hat die Pandemie nicht nur dem Film, sondern vor allem den Lichtspielhäusern schwer zugesetzt. Aber ich bin hartnäckig und gebe nicht auf, manche würden mich auch stur nennen. Ich glaube fest an die Zukunft des Kinos. Das sage ich nicht nur als Regisseur und Produzent, sondern auch als Kinobetreiber. Und als Zuschauer! Das Erlebnis, einen Film mit anderen auf großer Leinwand zu sehen, hat mir im Lockdown am meisten gefehlt. Und ich werde auch weiterhin meine Filme fürs Kino schreiben und inszenieren.

Die Streamingdienste sind für Sie nicht interessant?

Ich sehe in ihnen eine Gefahr, nicht so sehr für etablierte Regisseure wie Martin Scorsese oder Paolo Sorrentino, sie können tun, was sie wollen. Aber viele andere Kreative werden gezwungen, Produkte herzustellen, die für ein Publikum überall auf der Welt tauglich sind. Sie müssen global einsetzbar sein und sind am Ende oft so beliebig, dass sie niemanden mehr interessieren. Standardprodukte statt persönlicher Handschrift.

Sie betreiben in Rom das Arthousekino Nuovo Sacher, benannt nach der von Ihnen geliebten ­Sachertorte. Wie sind Sie damit durch zwei Jahre Pandemie gekommen?

Eine schwere Zeit, wir waren wie alle Kinos viele Monate geschlossen. Und es ist noch nicht absehbar, wie und wann das Publikum ­zurückkehrt. Das Blockbusterkino und Autorenfilme werden wohl überleben, aber für die mittel­großen Main­stream­pro­duk­tio­nen habe ich meine Zweifel. Das Publikum hat sich sehr daran gewöhnt, Un­terhaltungsfilme zu Hause zu schauen.

Wie hat Sie der Lockdown als Regisseur betroffen?

„Drei Etagen“ war vor der Pandemie fertig, er hätte im April 2020 in Italien starten sollen. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Film so lange in der Schublade behalten muss, aber ich war fest entschlossen zu warten, bis ich ihn im Kino zeigen kann. Ich habe die Zeit genutzt, meinen nächsten Film zu schreiben, und wir beginnen diesen Monat mit den Dreharbeiten. Mehr als 20 Jahre nach „Das Zimmer meines Sohnes“ werde ich wieder mein eigener Hauptdarsteller sein. Und das in meinem Alter!

Bei der Weltpremiere in Cannes letzten Sommer kam „Drei Etagen“ bei Teilen der Presse nicht gut an. Geht Ihnen solche Kritik nahe?

Früher hat mich das mehr umgetrieben. Da bin ich nach der Premiere eines Films noch um Mitternacht an den Kiosk, um die Zeitungen vom nächsten Tag zu lesen. Das interessiert mich heute nicht mehr so. Lassen Sie es mich so sagen: Es wäre doch tragisch gewesen, wenn ich einen Film gemacht hätte, der lustig sein will, und dann lacht niemand. Soweit ich weiß, ist es von der italienischen Verfassung nicht vorgeschrieben, dass meine Filme Humor und Ironie enthalten müssen. Sollte es einmal gesetzlich so geregelt sein, werde ich mich daran halten. Und falls es von Interesse sein sollte: In meinem nächsten Film wird es um Gottes willen wieder Ironie geben!

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