Regionalwahl in Schottland: Unabhängigkeitsverfechter gewinnen
Die SNP ist Wahlsiegerin, aber sie verfehlt die absolute Mehrheit um einen Sitz. Doch auch die Grünen unterstützen ein unabhängiges Schottland.

Die Wahlbeteiligung lag mit 64 Prozent höher denn je. Die SNP gewann 64 der 129 Sitze. Die Grünen kamen auf acht Mandate, so dass die Unabhängigkeitsbefürworter eine komfortable Mehrheit in dem Parlament mit 129 Abgeordneten haben. Die konservativen Tories kamen auf 31, Labour auf 22, und die Liberalen Demokraten auf vier Sitze. Alba, die Partei des früheren SNP-Chefs und Premierministers Alex Salmod, ging leer aus. Salmond hatte die Partei erst vor kurzem gegründet, nach einem jahrelangen Streit mit Sturgeon, der zum Schluss vor Gericht ausgetragen wurde.
Alba erhielt nur 2,3 Prozent der Stimmen. Die Hoffnung der Tories, dass Salmond der SNP bei den Wahlen Schaden zufügen könnte, hat sich nicht erfüllt. Dass die SNP die absolute Mehrheit um Haaresbreite verfehlte, lag am taktischen Wahlverhalten der Wähler, die die seit 1603 bestehende Union mit England beibehalten wollen.
In Glasgow wurden erstmals „Women of Colour“ ins Parlament gewählt – Kaukab Stewart für die SNP und Pam Gosal für die Tories. Es kam in Glasgow beim Stimmauszählung aber auch zu einem Eklat, als der Kandidat der Liberalen, Derek Jackson, und zwei Anhänger mit gelben Sternen am Revers auftauchten, auf denen „Ungeimpft“ stand. Die Drei erhoben die Arme zum Hitlergruß und wurden daraufhin von der Polizei aus dem Saal verwiesen.
Lorna Slater, stellvertrende Grünen-Chefin in Schottland
Angus Robertson, der frühere SNP-Fraktionschef in Westminster, der seinen Unterhaussitz 2017 verloren hatte, holte sich das Mandat für das Regionalparlament mit deutlichem Vorsprung in Edinburgh. Robertson, der eine deutsche Mutter hat und früher in Wien bei Radio Blue Danube gearbeitet hat, sagte, dass die Coronakrise Priorität habe. Die Entscheidung über den Volksentscheid müsse „zum richtigen Zeitpunkt“ getroffen werden.
In Schottland liegt das Wahlalter bei 16 Jahren. Das Wahlsystem ist ähnlich wie in Deutschland, jeder Wähler hat zwei Stimmen – eine für den Direktkandidaten, die andere für eine Partei. 73 Sitze werden nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben, die restlichen 56 über das Verhältniswahlrecht.
Stephen Gethins, der ehemalige SNP-Unterhausabgeordnete, sagte, das schottische Wahlrecht sei dem englischen Mehrheitswahlrecht bei weitem überlegen, weil man die Meinungen der anderen Parteien berücksichtigen müsse. „Eine absolute Mehrheit ist äußerst schwer zu erreichen, und das ist ja der Sinn der Sache“, sagt Gethins. „Aber wenn eine Mehrheit für ein Unabhängigkeitsreferendum ist, drückt das den Willen der Wähler aus.“ Lorna Slater, die stellvertrende Grünen-Chefin in Schottland, drückt es ähnlich aus: „Was wäre das für ein Land“, fragte sie, „wenn man ein solches demokratisches Mandat einfach ignoriert?“
Der britische Premierminister Boris Johnson sieht das anders: Ein Volksentscheid wäre seiner Aussage nach verantwortungslos und grob fahrlässig. „Ich glaube, dass es während der Pandemie ein beredtes Zeugnis für die Stärke der Union gegeben hat“, sagte er.
Johnson ist das Feindbild der Unabhängigkeitsverfechter
Der Brexit ist schuld daran, dass die Frage der Unabhängigekit wieder auf die Tagesordnung gekommen ist. Nach dem Volksentscheid gegen die Unabhängigkeit 2014 schien die Frage für mindestens eine Generation geklärt. Doch 2016 stimmten fast zwei Drittel der Schotten gegen den Brexit. Die SNP begann daraufhin eine Kampagne mit dem Tenor, dass die Engländer wieder mal Schottland ihren Willen aufgezwungen haben. Johnson als führender Brexit-Verfechter wurde zum Feindbild. Er ist ein Glücksfall für die Unabhängigkeitsfans.
Aber ist der Wahlerfolg der SNP tatsächlich ein Mandat für ein neues Referendum? Noch vor wenigen Monaten schien die Sache klar, bei Umfragen sprachen sich 59 Prozent für den Austritt aus dem Vereinigten Königreich aus. Nach neuen Umfragen gibt es inzwischen eine knappe Mehrheit für die Union. Das liegt wohl an den wirtschaftlichen Herausforderungen eines autonomen Schottlands, die durch die Pandemie weitaus größer geworden sind.
Sturgeon will dennoch die gesetzlichen Voraussetzungen für das Referendum schaffen. Die Wählerschaft habe ihr dafür den Auftrag für die kommende Legislaturperiode erteilt. „Falls Boris Johnson das verhindern will“, sagte sie, „muss er vor Gericht ziehen.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links