Regierungswechsel in Russland: Geschlossener Rücktritt im Kreml
Premier Dmitri Medwedjew soll Vize-Chef des Sicherheitsrats werden. Sein Nachfolger wird der bisherige Finanzchef Michail Mischustin.
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Zwei Stunden vor Medwedjews Erklärung spricht Putin in seiner Rede an die Nation detailliert über geplante Verfassungsänderungen. In sieben Punkten listet er auf, wie er die Duma, das Parlament, stärken will und die Russische Föderation dennoch eine Präsidialrepublik, die auf Patriotismus setze und eigene Interessen verfolge, bleiben soll.
So soll die Duma den Ministerpräsidenten bestätigen, auch die Minister, die der Präsident vorschlägt. Bislang lagen alle diese Vollmachten beim Präsidenten. Die „Botschaft“, wie die Russen die jährliche Ansprache ihres Präsidenten vor den beiden Kammern des Parlaments nennen, kommt an.
„Das Minimum ist die Auswechslung des Ministerpräsidenten Dmitri Medwedjew, das tut keinem weh.“ Das sagt Alexei Michailow, Direktor eines Verkleidungsladens im Moskauer Norden. Er verfolgt Putins Auftritt in seiner Büroküche und wünscht sich eine Rede, „die einschlägt“. Doch er wird wieder enttäuscht. „Jedes Jahr vermittelt man uns, dass es dieses Jahr einen Ruck gibt. Nächstes Jahr auch. Und übernächstes ebenfalls.“ 20 Jahre lang gehe das jetzt schon so. „Am Ende bleiben oft nur leere Worte“, sagt Michailow.
Rücktritt von Medwedjew zwei Jahre zu spät
Statt der Rede schlägt dann aber der Rücktritt der Regierung im ganzen Land ein. „In diesem Zusammenhang liegt es auf der Hand, dass wir als Regierung der Russischen Föderation dem Präsidenten unseres Landes die Möglichkeit geben müssen, unter diesen Bedingungen alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen“, sagt Medwedjew zur Erklärung seines Rücktritts.
Alexei Michailow betreibt seit 2004 im Keller eines Wohnhauses sein Geschäft. Rote Partykostüme hängen an der Wand, Gruselmasken reihen sich aneinander, eine Perücke hängt in der Ecke. Jedes Jahr versucht der 51-jährige Unternehmer, der seit 30 Jahren in Moskau lebt, die Präsidentenrede zu hören – „mit dem linken Ohr“, wie er sagt. Den Präsidenten schätze er „dafür, dass er im Land für Ordnung gesorgt hat. Doch nun stecken wir fest. Wo ist der Mut zu Neuem?“ Offenbar, so wird er am Abend sagen, habe Putin diesen Mut nun in Teilen gefunden. „Allerdings zwei Jahre zu spät.“
Michailow war früher bei der Armee, dann kamen die 1990er Jahre, „die dunkle Zeit“. Er fing an zu handeln, der Sohn war gerade geboren, es folgten zwei weitere Söhne. Eine Familie mit drei Kindern ist mittlerweile der Traum der russischen Regierung. Viele Programme werden aufgelegt, um die Demografieproblemein den Griff zu bekommen. Auch dieses Mal macht Putin Geschenke: Die Kinderzuschüsse sollen steigen, Kredite für Familien leichter zubekommen sein. Neue Kinderkrippen sollen entstehen, alle Schulen ein warmes Mittagessen anbieten.
Russland hat große Geldreserven, doch bei Ausgaben zeigt es sich zaghaft. Der Nationale Wohlstandsfonds ist seinerzeit vor allem dafür geschaffen worden, für schlechte Zeiten gerüstet zu sein.„Wir zahlen für die Krim“, sagt Michailow. Putin sagt derweil: „Wir bleiben eine starke Präsidialrepublik.“ Nun muss er eine neue Regierung präsentieren. Die Änderungen in der Verfassung, zu denen sich das Volk äußern soll, sind noch Zukunftsmusik.
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