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Regierungskrise in SchwedenFeilschen um die Mietpreisbremse

In Stockholm kann die Regierungskrise nur mit einer Einigung über die weitere Mietwohnungspolitik gelöst werden. Sonst gibt es Neuwahlen.

Stoperte über die Lockerung der Mietpreisbremse: Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven Foto: TT News Agency/Andres Wiklund/ REUTERS

Stockholm taz | Für Schwedens PolitikerInnen stand beim diesjährigen Mittsommerwochenende die Suche nach einem Weg aus der Regierungskrise auf der Agenda. Nachdem das Parlament letzte Woche Ministerpräsident Stefan Löfven das Misstrauen ausgesprochen hatte, muss er sich bis Montag um Mitternacht zwischen Neuwahlen oder der Bildung einer neuen Regierung entscheiden.

Parallel dazu gewinnt die Debatte zur Wohnungspolitik an Fahrt, welche die „Mittsommerkrise“ ausgelöst hatte. Denn zur Bestürzung vieler war der Sozialdemokrat Löfven bereit gewesen, zur kurzfristigen Machtsicherung eine tragende Säule der bisherigen Wohnungspolitik zu opfern, die einst die Sozialdemokraten selbst aufgebaut hatten.

Aus dem Jahr 1968 stammt das bis heute geltende „Nutzwert“-Prinzip im schwedischen Mietrecht. Dort hat der Immobilienbesitzer nicht die Freiheit, weitgehend ungehindert die Bedingungen festzulegen, unter denen er eine Wohnung vermietet. Ähnlich wie Löhne und andere Anstellungsbedingungen im Rahmen von Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, geschieht das in Schweden beim Mietrecht durch Verhandlungen zwischen Immobilieneigentümerverbänden und einer Art Mietergewerkschaft, der Hyresgästföreningen.

Jedes Jahr im September beginnen die regionalen Verhandlungen über die Rahmenverträge zur Festlegung der Grundsätze für die Mieten im Folgejahr. Die Immobilieneigentümer präsentieren zunächst ihre Vorstellungen auf der Basis der Entwicklung ihrer laufenden Kosten. Die zulässige Höhe der Mieten orientiert sich dann am „Nutzwert“ der Wohnungen für die MieterInnen.

Bisher: Schiedsgericht bestimmt Miethöhe

In diese Berechnung fließen Kriterien wie beispielsweise Modernisierungsmaßnahmen, Lage der Wohnung, Ausstattung und die Mieten für vergleichbare Wohnungen ein. Gibt es keine Einigung, trifft ein paritätisch besetztes Schiedsgericht eine bindende Entscheidung.

Billig ist Wohnen in Schweden keineswegs. Aber dieses Modell hat die Wirkung einer Mietpreisbremse. KritikerInnen wollen es auch dafür verantwortlich machen, dass zu wenig Wohnungen neu gebaut werden: Potentielle InvestorInnen würden sich eben andere Sektoren suchen, in denen Geldanlagen profitabler sind.

Hätte die Linkspartei mit ihrem Misstrauensvotum Löfvens rot-grüner Minderheitsregierung keinen Strich durch die Rechnung gemacht, wäre die aufgrund einer Vereinbarung mit zwei liberalen Parteien bereit gewesen, eine Ausnahme vom „Nutzwert“-Prinzip zuzulassen: Für Neubauwohnungen sollten Marktmieten möglich werden, also eine Festlegung der Miethöhe allein durch die Wohnungseigentümer.

Welche Folgen dies haben könnte, berechnete die staatliche Bau- und Planungsbehörde Boverket vor einigen Jahren. Auf nationalem Niveau seien aufgrund Angebot und Nachfrage Mietpreissteigerungen von „nur“ 5 bis 7 Prozent zu erwarten, aber in Ballungsräumen mit Wohnungsmangel wie etwa Stockholm könne es ein Plus von 68 Prozent geben.

Gleichzeitig hätte eine solche Deregulierung laut Boverket aber fast keinen Einfluss auf den Neubau von Mietwohnungen, weil Investoren wie schon jetzt vorwiegend Eigentumswohnungen bauen würden.

Studien: Nicht weniger, sondern mehr Regulierung ist nötig

Wolle man die Engpässe bei Mietwohnungen wegbauen, so empfehlen Studien, wäre nicht „der Markt“ die Lösung, sondern mehr Regulierung durch gezielte staatliche Förderung des Mietwohnungsbaus. Das wäre auch das Mittel gegen den verbreiteten Schwarzmarkt mit Untervermietungen. Stattdessen verschärfte die Politik durch umfassende Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen bisher noch den Mangel.

Zwar wohnen in Schweden nicht einmal 30 Prozent der Bevölkerung zur Miete (Deutschland: 50 Prozent), doch irgendwann im Leben ist dort fast jede und jeder einmal MieterIn. Deshalb ist eine klare Mehrheit für das „Nutzwert“-Prinzip.

Das Zentrum, eine der beiden Parteien, die ihre Unterstützung Löfvens von der Forderung nach teilweisen Marktmieten abhängig gemacht hatte, hat dies jetzt für den Fall neuer Regierungsverhandlungen zunächst aufgegeben. Ein Ende der „Mittsommerkrise“ war am Sonntag aber noch nicht in Sicht.

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5 Kommentare

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  • @PAUL RABE

    Vorsicht! Es könnte sein, dass Marktradikalität gegen die fdGO verstösst!

    Jetzt ein wenig mehr im Ernst: Sie glauben an das Marktmärchen immer noch?

  • Und was bestimmt wer einen höheren Mietpreis bezahlen kann?

    Bestimmen nicht oft Beziehungen, Korruption, politische Opportunität, das Glück, Vermögen geerbt zu haben, oder einfach gutverdienende Eltern zu haben, wer mehr Geld hat?

  • Wenn nicht mehr der Preis bestimmt wer ein knappes Gut bekommt, was dann ?



    Beziehungen zum Amt? Korruption? Politische Opportunität ? das Glück der früheren Geburt ? die Gesundheit Kinder bekommen zu können ?

    • @Paul Rabe:

      Soziale Kriterien vielleicht ?

      PS. Der Erfolg beim Höchstpreisprinzip in vielen Fällen auch mit dem Glück der Geburt in ein wohlhabendes Umfeld zusammen. Im Prinzip nicht besser als die von Ihnen gewählten Beispiele.

    • @Paul Rabe:

      In so einer Konstellation entsteht immer Nepotismus. Kann mich noch gut an die uns zugeteilte Wohnung in Berlin (Ost) erinnern. Die lag in einem Stadtteil (Prenzlauer Berg) in dem niemand wohnen wollte, hatte Außenklo und das Badezimmer bestand komplett aus einem Schimmelpilz. Die "guten" Wohnungen in Marzahn gingen dagegen nur an vertrauenswürdige Parteimitglieder.