Regierungskrise in Österreich: Verhandlungen über Koalition mit Rechtsaußen gescheitert
In Österreich sind die Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP am Streit um Ministerien gescheitert. Wie es weiter geht, ist offen.
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Seit einigen Tagen aber rumorte es, die Termine beim Bundespräsidenten häuften sich. Strittig war vor allem die Verteilung der Ministerien, entsprechende Machtkämpfe wurden immer stärker in der Öffentlichkeit ausgetragen. Die FPÖ beharrte auf dem Innenministerium, das die ÖVP aber nach negativen Erfahrungen in der letzten Regierung mit der FPÖ nicht mehr aus der Hand geben wollte.
Mittwochnachmittag platzte dann die Bombe: FPÖ-Chef Herbert Kickl gab den Auftrag zur Regierungsbildung an Bundespräsident Alexander Van der Bellen zurück. „Ich setze diesen Schritt nicht ohne Bedauern“, schrieb Kickl an Van der Bellen. Er habe mit der ÖVP in der Absicht verhandelt, „schnell zu einer leistungsfähigen Regierung zu kommen“.
„Ehe jedoch die noch strittigen Punkte auf Chefverhandler-Ebene geklärt werden konnten, bestand die ÖVP Anfang Februar darauf, die Ressortverteilung zu klären“, so Kickl weiter. Die FPÖ sei daraufhin der ÖVP in vielen Punkten entgegengekommen, die Verhandlungen seien aber letztlich nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Mit der sozialdemokratischen SPÖ über eine Koalition zu verhandeln, schloss Kickl aus – und andere Mehrheiten zusammen mit der FPÖ gibt es nicht.
ÖVP wirft Kickl „Machtrausch„vor
Die ÖVP beeilte sich am Mittwoch, ihre Sicht der Dinge zu kommunizieren: Kickl selbst habe die Verhandlungen nicht ernst genug genommen, sei „im Machtrausch“ gewesen. Tatsächlich dürfte die FPÖ, die bei der Wahl im September nur drei Prozentpunkte vor der ÖVP lag, den Bogen überspannt haben. Nicht nur wollte sie die CO2-Steuer und den Klimabonus abschaffen, den die ÖVP mit den Grünen gerade erst eingeführt hatte.
Auch forderte sie einen totalen Asylstopp in Österreich, ein Absenken der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre und den Freibrief, in EU-Gremien gegen die anderen EU-Staaten zu stimmen. Auch Sozialhilfen sollten gekürzt werden, speziell für Zuwanderer. All das zeigt ein Papier zum Stand der Koalitionsverhandlungen, das am Wochenende an die Medien gespielt wurde.
Wie es weitergeht, blieb Mittwochnachmittag offen. Der Ball liegt jetzt wieder beim Bundespräsidenten. Nachdem bereits die vorangegangenen Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos gescheitert waren, bleiben Van der Bellen im Grunde zwei Möglichkeiten. Entweder, er fordert ebenjene Parteien – sowie die Grünen – zu einer neuen Gesprächsrunde auf, obwohl das Scheitern der letzten noch nicht lang her ist.
Oder aber es gibt Neuwahlen, entweder noch vor dem Sommer oder erst im Herbst. Bis dahin würde voraussichtlich eine Beamten- oder Expertenregierung mit den Amtsgeschäften und wohl auch ersten Maßnahmen zur überfälligen Budgetsanierung betraut werden. Van der Bellen müsste eine Person seines Vertrauens mit der Bildung einer solchen Regierung betrauen, am Ende müsste eine parlamentarische Mehrheit sie dulden.
Längste Regierungsbildung aller Zeiten
Die jetzige Situation ist Neuland in Österreich. Nie zuvor dauerte eine Regierungsbildung länger, nie zuvor waren alle rechnerisch und politisch möglichen Kombinationen gescheitert. Ob und wie eine Neuwahl die Verhältnisse anders ordnen würde, ist völlig offen.
In den letzten Wochen hatte die FPÖ in den Umfragen stetig dazugewonnen, lag bei teilweise deutlich über 35 Prozent. Wie sich nunmehr das Scheitern auf ihre Beliebtheit auswirkt, ist unklar. Eins lässt sich mit Sicherheit sagen: Die nächsten Tage werden turbulent.
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