Regierungskrise in Italien: Koalition geplatzt
Die Partei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi verlässt die Regierung. Die Wege aus der Krise sind offen. Auch Neuwahlen scheinen jetzt möglich.
Renzi, selbst in den Jahren 2014-2016 Regierungschef, beendet damit das fünfwöchige Koalitionsgezerre, das er selbst im Dezember eingeleitet hatte. Vordergründig ging es ihm um die Verwendung des 209-Milliarden-Euro-Paketes, das Italien aus dem EU-Programm „Next Generation EU“ erhält. Außerdem hatte Renzi ursprünglich große Einwände gegen das sechsköpfige Gremium, das die Verwendung dieser Mittel kontrollieren und Premier Conte direkt unterstehen sollte.
In beiden Punkten konnte Renzi sich weitgehend durchsetzen. Das Sechserkomitee wurde gestrichen, bei der geplanten Mittelvergabe für den Wiederaufbau besserte die Koalition ganz in Renzis Sinne nach.
Am Dienstagabend verabschiedete das Kabinett den Wiederaufbauplan – und Renzis beide Ministerinnen enthielten sich. Als Grund führten sie nicht so sehr Bedenken gegen den Plan an, sondern, dass die Regierung nicht zusätzlich weitere 37 Milliarden aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus abrufen will.
Noch eins drauf satteln
Eben dies war die Taktik der Kleinpartei Italia Viva in den vergangenen Wochen und Tagen: bei jedem Entgegenkommen Contes und der anderen Koalitionspartner noch eins drauf zu satteln. So reklamierte Renzi unter anderem, die Regierung solle gefälligst auch den Bau der Brücke von Messina – sie würde Sizilien mit dem Festland verbinden – auf den Weg bringen.
Deshalb liegt der Eindruck auf der Hand, Renzi habe von Anfang an auf den Sturz des in der Bevölkerung populären Conte hinarbeiten wollen. Conte allerdings konnte die drei anderen Koalitionspartner – die Anti-Establishment-Bewegung der Fünf Sterne, die gemäßigt linke Partito Democratico, von der Renzis Italia Viva sich im Herbst 2019 abgespalten hatte, und die radikal linke Liste Liberi e Uguali – hinter sich vereinen.
Doch auch seine Isolation in der Koalition konnte Renzi nicht beeindrucken. Der frühere Ministerpräsident und Präsident der EU-Kommission Romano Prodi kommentierte schon am Dienstagabend in einem TV-Interview, Renzi wolle um jeden Preis den Bruch, wenn nötig verlange er dazu auch noch den Bau „einer Brücke nach Sardinien“.
Und Staatspräsident Sergio Mattarella ließ am Dienstag „Entsetzen und Bestürzung“ über den Koalitionskrach mitten in der Pandemie durchsickern, der in keiner Weise „dem realen Land“ Rechnung trage.
Mehrere Optionen
Doch auch diese Stimmen konnten Renzi vom Koalitionsbruch nicht abbringen. Völlig offen ist jetzt, welche Wege es aus der Krise gibt. Conte könnte versuchen, die ihm fehlenden Stimmen aus den Reihen der Italia Viva mit der Anwerbung anderer Mitte-Politiker*innen zu kompensieren, ohne überhaupt den Rücktritt einzureichen.
Die zweite Option wäre sein Rücktritt mit neuen Koalitionsverhandlungen. Die anderen Partner aber denken vorerst nicht daran, Conte als Premier zu opfern, wie es Renzi wünscht. Ein dritter Ausweg wäre eine Technokratenregierung mit All-Parteien-Konsens, die jedoch weder die Fünf Sterne noch die Partito Democratico wollen. Damit könnten schließlich Neuwahlen am Ende der Regierungskrise stehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch