Regierungsbildung in Thüringen: Rot-Rot-Grün und CDU nähern sich an
Thüringen betritt politisches Neuland. Die Weichen werden gestellt, um eine teils von CDU und FDP gestützte linksgrüne Minderheitsregierung zu bilden.
Dafür werden keine neuen Gremien oder Institutionen geschaffen. In den Landtagsausschüssen untereinander oder bei Gesprächen zwischen den Fachministerien und den Fraktionen sollen die konkreten Sachfragen geklärt werden. Als Beispiel nannte Tiefensee die bald fälligen Abstimmungen zum nächsten Landeshaushalt.
Bei der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 hatte die bislang regierende rot-rot-grüne Koalition trotz Stimmengewinnen der Linken die Parlamentsmehrheit um vier Stimmen verfehlt. Die Bemühungen um politische Handlungsfähigkeit laufen seither auf mehreren Ebenen. Am vergangenen Freitag legte sich die rot-rot-grüne Koalition auf Eckwerte einer fortgesetzten Zusammenarbeit fest.
Vorausgegangen waren seit Ende November mehrere „Montagsrunden“ der gegenseitigen Verständigung. Das „Zukunftsvertrag“ betitelte Koalitionspapier mit dem Ziel der Bildung einer Minderheitsregierung soll am bevorstehenden Mittwoch in Erfurt endgültig beschlossen werden. Parteitage von SPD und Grünen und eine Mitgliederbefragung der Linken müssen dieses Ergebnis noch bestätigen.
Die CDU schlingerte bisher
Für Mehrheitsbeschlüsse wären Linke, Grüne und SPD aber auf Stimmen von CDU und/oder FDP angewiesen, wenn man die AfD außen vor lassen will. Die CDU schließt eine Koalition oder die förmliche Tolerierung einer Minderheitsregierung aus, weil Beschlüsse der Bundespartei Bündnisse mit der Linken untersagen.
Ihr Landes- und Fraktionschef Mike Mohring fuhr bislang einen undurchsichtigen Schlingerkurs. Er versuchte, SPD und Grüne für ein „Bündnis der Mitte“ unter CDU-Führung zu gewinnen, ließ aber parteiinterne Diskussionen um eine Annäherung an die AfD weiterlaufen.
In der vergangenen Woche wurde dann der frühere CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus mit der Idee einer „Projektregierung“ medienwirksam vorgeschickt, die der CDU unter Gesichtswahrung eine partielle Zusammenarbeit mit Rot-Rot-Grün ermöglichen würde. Die Idee einer solchen punktuellen Unterstützung war nicht neu, aber der Begriff „Projektregierung“ stieß beim weiter amtierenden Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow auf Ablehnung.
Am Sonntagabend fand dann auf Anregung des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck ein Gipfeltreffen beim Abendessen zwischen Ramelow und Mohring statt. „Es muss neue Wege und Ideen in der Politik geben“, twitterte Ramelow. Gauck hatte bereits Ende Oktober eine Annäherung zwischen der CDU und einer mit der SED in der DDR nicht mehr vergleichbaren Linken angeregt und dafür heftige Kritik aus der Union geerntet.
Das „Thüringer Modell“
Die Linke hingegen erfuhr auch gestern nochmals Unterstützung von der Bundesspitze. „Wenn dann die CDU eine solche Minderheitsregierung an einzelnen Projekten konstruktiv unterstützen will, ist das herzlich willkommen“, sagte Parteichefin Katja Kipping.
Allerdings wird in Kreisen der Linken-Fraktion auch nach dem Montagsgespräch skeptisch gesehen, dass sich CDU und FDP nicht auf themenbezogene Sondierungen im Vorfeld der Landtagsberatungen einlassen wollten. Befürchtet wird, dass so doch mit Hilfe der AfD Druck auf die Koalition ausgeübt werden könnte.
Dennoch sprach Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow am Montag von einer „guten und entspannten Atmosphäre“ beim Fünfergespräch. Auch ihr SPD-Kollege Wolfgang Tiefensee lobte die „konstruktive Runde“. Beide bestätigen damit den langjährigen Eindruck eines vergleichsweise menschlich-freundlichen Umgangs politischer Gegner in Thüringen.
CDU-Chef Mohring kündigte bereits die Vorlage einer Liste möglicher gemeinsamer Projekte an. Bis Mittwoch will die Union in Klausur beraten. Tiefensee betonte das neue „Thüringer Modell“, das „ein Signal über die reine Mandatsarithmetik hinaus setzen könnte“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid