Nach der Landtagswahl in Thüringen: Fast eitel Sonnenschein

So könnte eine Minderheitsregierung klappen: In der ersten Sitzung nimmt der Thüringer Landtag seine Arbeit auf – und hält gegen rechts zusammen.

Drei Menschen machen ein Selfie im thüringischen Landtag

Selfie mit neuer Landtagspräsidentin: Susanne Hennig-Wellsow (mit Smartphone) und Bodo Ramelow Foto: dpa

ERFURT taz | Warum sollen in Thüringen nicht Regierungsmodelle jenseits klassischer Koalitionsmehrheiten möglich sein? Die konstituierende Sitzung des Landtags vier Wochen nach der Wahl jedenfalls war nicht von Konfrontationen geprägt. Die Linke Birgit Keller wurde im ersten Wahlgang zur neuen Landtagspräsidentin gewählt.

Sie erhielt zehn Stimmen mehr, als von der bisherigen rot-rot-grünen Koalition zu erwarten waren, mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der CDU. Gegen die Änderung der Geschäftsordnung, die künftig jeder der sechs Fraktionen einen Vizepräsidenten zubilligt, stimmte nur die AfD.

Seit jeher geht es im Thüringer Landtag freundlicher und verbindlicher zu als beispielsweise in Sachsen. Angesichts der uneindeutigen Mehrheitsverhältnisse mag die Überlegung mitschwingen, dass man womöglich aufeinander angewiesen sein könnte. Alterspräsident Karlheinz Frosch von der AfD eröffnete mit dem hehren Appell, bei Meinungsverschiedenheiten „fair, sachlich und vorwurfsfrei“ miteinander umzugehen. Auch AfD-Landeschef Björn Höcke, der im Moment ohnehin Kreide gefressen hat, redete länger auf Birgit Keller ein.

Die ging über die üblichen Antrittsformeln einer Präsidentin des gesamten Landtages hinaus, als sie an den Herbst 1989 und ihre eigene Rolle als hauptamtliche Funktionärin der FDJ und der SED in der DDR erinnerte. Fast auf den Tag genau vor 30 Jahren war der Aufruf „Für unser Land“ veröffentlicht worden, der auf einen demokratischen Sozialismus zielte. Sie habe sich 1990 dennoch nicht für einen Rückzug ins Private, sondern für das Engagement entschieden, sagte die bisherige Infrastrukturministerin. „Und ich habe mich nie der Verantwortung entzogen, SED-Unrecht klar zu benennen.“

Streit um die Vizepräsident*innen

Den einzigen Dissens trug die AfD als zweitstärkste Fraktion in die Eröffnungssitzung. Der parlamentarische Geschäftsführer Stefan Möller lehnte die Erweiterung des Landtagspräsidiums auf fünf Vizepräsidenten ab. Darauf hatten sich alle anderen Fraktionen verständigt. Das Argument der Chancengleichheit für alle Fraktionen sei nur vorgeschoben, wenn zugleich die Weigerung angekündigt werde, einen AfD-Vizepräsidenten zu wählen.

So kam es tatsächlich: Das aus dem Bundestag bekannte Schauspiel wiederholte sich auch in Erfurt. AfD-Kandidatin Tosca Kniese, eine von lediglich drei Frauen in der 22-köpfigen Fraktion, fiel mit nur 39 Stimmen von 90 Abgeordneten durch. Ein alternativer Personalvorschlag lag nicht vor. Die Vorschläge von CDU, SPD, FDP und Bündnisgrünen kamen hingegen auf Anhieb durch.

Die Regierungsbänke blieben leer. Ein sichtlich gut gelaunter Ministerpräsident Bodo Rame­low saß auf seinem Abgeordnetenplatz bei der Linken. Im Februar will er sich erneut zur Wahl stellen. Das wollte sein CDU-Kontrahent Mike Mohring auch und warb um die Unterstützung von FDP und SPD. Doch sein Zickzackkurs zwischen CDU-geführter Minderheitsregierung, womöglich bei Tolerierung durch die AfD, und kryptischen Andeutungen einer Tolerierung des bisherigen Rot-Rot-Grün-Bündnisses kostet ihn zunehmend auch die Unterstützung in seiner eigenen Partei.

Am vergangenen Wochenende war auf dem Landestag der Jungen Union sogar überwiegende Ablehnung zu spüren. Von der Thüringer Allgemeinen befragt, verzichtete Mohring auf eine Kandidatur als Ministerpräsident. Kultusminister Helmut Holter (Linke) rechnet mit einer Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen. Es mehren sich die Anzeichen für die Bereitschaft der CDU, in Sachfragen mit einer solchen Koalition zusammenzuarbeiten.

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