Regierungsbildung in Österreich: Van der Bellen sucht Klarheit

Österreichs Bundespräsident steckt im Dilemma: Die Regierungsbildung stockt, eine mögliche FPÖ-Kanzlerschaft sorgt für enorme Spannungen.

Alexander von der Bellen geht über einen Perserteppich, vorbei an roter Brokatwand

Unter Druck: Alexander von der Bellen beendet die Pressekonferenz in Wien Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

Wien taz | „Pfoah, das wird fad“, hieß es noch in einer Kurier-Karikatur zum Amtsantritt des österreichischen Bundespräsidenten im Jahr 2017. Darin blickt Alexander Van der Bellen, bekannt für seine besonnene Art, gelangweilt aus dem Fenster der Wiener Hofburg. Das Bundespräsidentenamt ist üblicherweise nicht sonderlich aufregend.

Dann aber, 2019, platzte die Regierung infolge des Ibiza-Skandals. Es folgten: Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz, Übergangsregierung, Neuwahlen. Dann die knapp gewonnene Wiederwahl Van der Bellens und die Pandemie, in der er nach Kräften versuchte, das Land zusammenzuhalten. Und nun betritt der höchste Mann im Staat, mittlerweile 80 Jahre alt, abermals Neuland.

„Die Lage ist diesmal alles andere als üblich“, sagte Van der Bellen am Mittwoch, anderthalb Wochen nach den Nationalratswahlen, die mit dem Sieg der rechtsradikalen FPÖ ein politisches Beben auslösten. Üblich wäre, dass der Präsident die erstplatzierte Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. „Vollkommen neu“ sei es jedoch, „dass es einen Wahlsieger gibt, mit dem offenbar keine der anderen Parteien regieren will.“

Tatsächlich hatten Sozialdemokraten (SPÖ), die liberalen Neos und Grüne jede Zusammenarbeit mit der FPÖ seit Langem ausgeschlossen. Einzig die ÖVP legte sich nicht derart fest, verwehrte sich bloß gegen ihren Vorsitzenden Herbert Kickl. Der aber sitzt innerparteilich fest im Sattel. Auch betonte er erneut, dass es eine Regierungsbeteiligung der FPÖ nur unter seiner Kanzlerschaft geben werde.

Meinen es alle Parteien ernst?

„Eine klassische Pattsituation“ nannte es nun Präsident Van der Bellen nach ersten Gesprächen mit allen Parteivorsitzenden. Man müsse sichergehen, ob denn alle Parteien wirklich ernst meinten, was sie sagen, denn er wolle „Klarheit für Österreich“. Daher bat er die Vorsitzenden der drei Großparteien, sich untereinander auszutauschen und ihm bis Ende nächster Woche zu berichten.

Dem Bundespräsidenten gelang damit ein schlauer Schachzug. Zum einen hatte er kaum einen Hehl daraus gemacht, dass er eine FPÖ-Kanzlerschaft kritisch sieht. Darauf deutete seine Wortmeldung noch am Wahl­abend hin: „Ich werde darauf achten, dass die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden: etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft.“

Unter der FPÖ stünde all das tatsächlich zur Disposition. Anstatt selbst einen Regierungsbildungsauftrag an die FPÖ zu vergeben, spielte Van der Bellen den Ball an ÖVP und SPÖ weiter.

Zum anderen aber haben tatsächlich knapp 29 Prozent eine rechtsradikale Partei gewählt, die aber eben kein Verdachts- oder gar ein Verbotsfall für den Verfassungsschutz ist, sondern seit Jahrzehnten etabliert. Um ihre Wählerschaft nicht von vornherein zu vergraulen – oder Verschwörungstheorien zu nähren, die Wahl sei von vornherein „gestohlen“ gewesen –, benannte er eben die tatsächlichen Hürden als solche, die sie sind. Vor allem die ÖVP nahm er dabei beim Wort.

Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen

Von ihr wird es vor allem abhängen, ob sie bei ihrer Ankündigung bleibt und sich auf eine dann alternativlose Koalition mit der SPÖ – und gegebenenfalls einer dritten Partei – einlässt. Oder ob sie doch der FPÖ zur Macht verhilft: Wie schon im Jahr 2000 oder zuletzt 2017. Oder wie derzeit in den Bundesländern Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich, wo beide Parteien koalieren.

Klar ist: Es stehen intensive und lange Verhandlungen bevor. Sollten sie platzen und Österreich erneut wählen müssen – auch das wäre ein Novum –, wäre Kickl wohl ein noch größerer Sieger.

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