Regierungsbildung in Italien: Postfaschistin gegen Rechtspopulist
In Italien tritt zum ersten Mal das neugewählte Parlament zusammen. Gleich in der ersten Sitzung offenbart sich die Uneinigkeit der Rechtsallianz.
Im Senat in Rom oblag es Liliana Segre, als Alterspräsidentin die Sitzung zu eröffnen. Die 92-Jährige, 2018 vom Staatspräsidenten zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt, ist Schoah-Überlebende – und nutzte ihre Ansprache zu deutlichen Worten gegenüber den Rechtsparteien, die sich zur Übernahme der Regierung anschicken.Vor allem die postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni, die mit 26 Prozent am weitaus besten bei der Wahl abgeschnitten hatten, durften sich von Segre angesprochen fühlen.
Sie erinnerte daran, dass sich im laufenden Monat – am 28. – Mussolinis Marsch auf Rom zum hundertsten Mal jähren wird, sie erinnerte an die Rassegesetze und fügte hinzu, dass Italiens Nachkriegsverfassung nicht bloß „ein Stück Papier“ sei, sondern „das Testament der 100.000, die für die Freiheit gefallen sind“ im Partisanenkampf gegen Nazis und Faschisten. Ebenso erinnerte sie an Giacomo Matteotti, jenen sozialistischen Abgeordneten, den Mussolini schon 1924 hatte ermorden lassen.
Und dann fragte Segre, warum der 25. April – der Feiertag, der an die Befreiung Italiens vom Faschismus im Jahr 1945 erinnert – ein angeblich die Nation „spaltender Feiertag“ sein solle, wie Meloni noch vor wenigen Jahren behauptet hatte. Eine stehende Ovation des ganzen Senats war die Antwort – und auch die Senator*innen der FdI erhoben sich von ihren Plätzen, um Segre zu applaudieren.
Meloni versprach eine geeinte Allianz
Nach der Konstituierung des Parlaments werde die Regierungsbildung eine schnelle Sache, da ihre Allianz geeint sei, hatte Meloni noch am Donnerstagmorgen versprochen – doch die Risse in der Rechten wurden sichtbar.
Im Senat hätten die Wahlsieger gleich im ersten Wahlgang alles alleine klarmachen können, da dort zur Wahl des Präsidenten die absolute Mehrheit der Mitglieder ausreicht. Doch Silvio Berlusconis rechtspopulistische Forza Italia verweigerte dem FdI-Mann zunächst die Stimmen. Offenbar ging es Berlusconi darum, Meloni zum Auftakt zu demonstrieren, dass seine 18 Senator*innen unverzichtbar sind: Die Rechte verfügt insgesamt über 115 der 200 Mandate.
Und: Berlusconi will für eine seiner engsten Vertrauten, Licia Ronzulli, ein Ministerium von Gewicht. Doch bisher sträubt sich Meloni dagegen, der früheren Krankenschwester – die bei der Organisation von dessen Bunga-bunga-Partys mitwirkte – zum Beispiel das Gesundheitsministerium einzuräumen.
Berlusconis Erpressungsversuch ging nach hinten los. Gleich im ersten Wahlgang erreichte der FdI-Politiker Ignazio La Russa 116 Stimmen – darunter mindestens 19 Stimmen aus der Opposition. Denn Berlusconis Senator*innen hatten nicht mitgestimmt.
Es wird sich zeigen, ob – angesichts dieses innerrechten Krachs zum Auftakt – Meloni ihr Versprechen halten kann, die Regierungsbildung schnell über die Bühne zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld