Regierungsbildung in Israel: Was hast du getan, Benny Gantz?
In Israel kommt es zu einer großen Koalition. Netanjahus Herausforderer Gantz gibt den Staatsmann, den Willen seiner WählerInnen hat er aber verraten.
B enny Gantz' Blau-Weißes Bündnis hat sich aus einem einzigen Grund gegründet: den amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der wegen Korruption in drei Fällen angeklagt ist, abzulösen. Jetzt ist Blau-Weiß zerbrochen und Gantz Partei tritt mit 15 Abgeordneten Netanjahus Regierung bei. Man möchte das Land verlassen.
Zugegeben, es sah schlecht aus für Gantz und dessen Regierungsbildung. Er hatte nicht recht die Wahl. Aus den eigenen Reihen gab es zu viel Gegenwehr, um eine Minderheitsregierung aufzubauen, die von Außen von der arabischen Vereinten Liste unterstützt worden wäre.
Sein Versuch, Abgeordnete aus Netanjahus Lager zu gewinnen, scheiterte. Der rechte Block hält zusammen wie Sekundenkleber. Netanjahu weiß, Menschen an sich zu binden, mit Loyalitätserklärungen und taktischen Manövern.
Gantz wollte außerdem nicht als derjenige gelten, der eine vierte Wahl erzwingt und noch weniger als derjenige, der eine Regierung während der Coronakrise verunmöglicht.
Ironie der Geschichte
Vielleicht kann man Gantz unter diesen Umständen sogar verzeihen, eine Notfall-Einheitsregierung mit dem Likud anzustreben. Doch was man ihm nicht verzeihen kann, ist seine kampflose Kapitulation vor Benjamin Netanjahu.
Denn noch war es möglich für Blau-Weiß, ein Gesetz zu erlassen, dass Angeklagte nicht Ministerpräsident werden können. Das hätte Netanjahus Aus bedeutet und die Karten völlig neu gemischt. Doch dann hat Gantz am Donnerstag kalte Füße gekriegt, nur weil Netanjahu drohte, dass eine Große Koalition ausgeschlossen wäre, sollte der Blau-Weiß-Abgeordnete Meir Cohen Parlamentspräsident werden.
Gantz hat Blau-Weiß geopfert, um Netanjahu nicht zu erzürnen. Welch Ironie.
In seiner Antrittsrede zum Präsidenten der Knesset hat Gantz gesagt, dass „wir die Demokratie stärken“ werden. Vielleicht hatte Gantz da noch nicht verstanden, wer das „wir“ ist, von dem er von nun an sprechen muss: Seine 15 Abwanderer von Blau-Weiß, die Israel Resilience Party, und die 58 Abgeordneten des rechtsreligiösen Blocks.
Dabei hat dieser Block erst in den letzten Wochen erneut gezeigt, wozu er fähig sind. Dessen Vertreter*innen haben Anordnungen des Obersten Gerichts offen missachtet. Sie werden nun versuchen, dieMacht des Obersten Gerichts einzuschränken, sich damit mehr Macht zuzuschaufeln und die Demokratie und Gewaltenteilung in diesem Land ernsthaft beschädigen. Sie haben die Corona-Krise genutzt, um Teile des Gerichtssystems auszusetzen – interessanterweise jedoch nur das Gericht, in dem Netanjahus Prozess wegen Korruption in drei Fällen verhandelt werden sollte.
Verrat an den Wähler*innen
Wenn der Zeitpunkt reif ist, wird Netanjahu versuchen, sein lang geplantes Immunitätsgesetz durchzubringen, und schließlich, so sein Plan, Staatspräsident zu werden. Damit hätte er Immunität bis an sein Lebensende.
Möglicherweise glaubt Gantz tatsächlich, dass er seinem Land mit seinem gestrigen Schritt – angesichts von Corona und einer erneuten politischen Sackgasse nach bereits drei Wahlen – einen Dienst erweist. Doch damit irrt er. Seine Entscheidung vom Donnerstag war Verrat an allen seinen Wähler*innen, und an all denen, die noch Hoffnung auf Demokratie in Israel hatten. Seine Entscheidung bringt Israel in Gefahr. Gantz' großes Projekt Blau-Weiß liegt in Scherben am Boden. „Wir werden die Demokratie stärken“, sagt Gantz, wohl auch um sich selber zu beruhigen. Doch dabei sitzt er zu Füßen von König Bibi und hält das Kissen, auf dem des Königs Zepter ruht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden