Regeln für Hartz-IV: Fordern, fördern, strafen
Die Regeln für den Hartz-IV-Bezug sollen vereinfacht werden. Jede dritte Klage gegen Sanktionen hatte im vergangenen Jahr Erfolg.

BERLIN taz | Das Bundesarbeitsministerium wiegelt ab. Am Dienstag dementierte es einen Bericht der Bild-Zeitung, wonach schärfere Sanktionen für säumige Hartz-IV-Empfänger bereits beschlossene Sache wären. Der Hintergrund: Seit 2013 arbeitetet eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen zwar an Vorschlägen, um die Hartz-IV-Gesetze zu vereinfachen. Es sei aber „explizit nicht Ziel der Änderungen, den Leistungsbezug restriktiver zu gestalten“, erklärte das Arbeitsministerium jetzt.
Die Kommunen drängen darauf, die Regeln über Hartz-IV-Leistungen einfacher und transparenter zu gestalten. „Nach wie vor sind die Regelungen sowohl für die Betroffenen als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern zu kompliziert und bürokratisch“, klagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, am Dienstag gegenüber der Passauer Neuen Presse. Würden die Berechnungen der Einzelansprüche „durch die Möglichkeit der Pauschalierung vereinfacht“, so Landsberg, könnten sich die Jobcenter „auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren, nämlich Menschen wieder in Arbeit zu bringen“.
Jobcenter und Sozialgerichte werden derzeit von einer Klagewelle überrollt. Denn je mehr Sanktionen die Arbeitsämter gegen Hartz-IV-Empfänger aussprechen, desto öfter wehren die sich dagegen – und haben damit Erfolg. 42,5 Prozent aller Klagen wurde im vergangenen Jahr von den Sozialgerichten stattgegeben. Diese Zahl war am Montag bekannt geworden. Von 6.367 entschiedenen Klagen wurden 2.708 vollständig oder teilweise zugunsten der Betroffenen entschieden. Ende 2013 waren noch rund 200.000 Klagen von Hilfsempfängern anhängig.
Sanktionen können nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) verhängt werden, wenn Hartz-IV-Bezieher Termine im Jobcenter verpassen, gegen Auflagen verstoßen oder ihnen angebotene Arbeit verweigern. Dann drohen ihnen Abzüge vom Arbeitslosengeld II, gewöhnlich für die Dauer von drei Monaten. 2013 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 3,3 Prozent aller Empfänger davon betroffen.
Sanktionen meist wegen versäumter Termine
Dass Hartz-IV-Empfängern schon beim ersten Anlass vom Jobcenter das Geld gekürzt werden könne, wie Bild als Beispiel für eine geplante Verschärfung nannte, sei nichts Neues, sondern geltendes Recht, stellte das Arbeitsministerium jetzt klar. Lehnen Hartz-IV-Bezieher eine vom Jobcenter angebotene Arbeit ab oder weigern sie sich, einen Fort- oder Weiterbildungskurs zu besuchen, kann das Arbeitslosengeld II in einem ersten Schritt um 30 Prozent gekürzt werden.
Weigert sich der Leistungsempfänger ein zweites Mal, ist eine Kürzung um 60 Prozent vorgesehen. Danach verliert er den Anspruch ganz. Für unter 25-Jährige werden schon beim ersten Verstoß gegen ihre Pflichten für drei Monate nur noch die Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen, im Wiederholungsfall auch das nicht mehr.
Am häufigsten verhängen Jobcenter aber Sanktionen wegen versäumter Termine. 2013 betraf das fast drei Viertel der insgesamt gut eine Million Fälle. Die Linkspartei nutzte die hohe Zahl der erfolgreichen Klagen, um einmal mehr zu fordern, sämtliche Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher abzuschaffen. „Ein Grundrecht kann man nicht kürzen“, erklärte deren Vorsitzende Katja Kipping kategorisch. Ähnlich äußerte sich der Sozialverband Deutschland.
Gemeindebund-Geschäftsführer Gerd Landsberg findet dagegen, das Motto „Fördern und Fordern“ habe sich grundsätzlich bewährt. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe will ihre Ergebnisse im Herbst vorlegen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart