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Rechtsstreit zwischen Polen und EUMerkel will Laden zusammenhalten

Im Streit zwischen Warschau und Brüssel gibt sich Angela Merkel versöhnlich. Man dürfe Polen nicht isolieren, warnt die Kanzlerin.

Merkels letzter Auftritt in Brüssel. Herzlicher Handshake mit Ursula von der Leyen Foto: John Thys/Pool/ap

Brüssel taz | Bis zuletzt hatte Kanzlerin Angela Merkel dafür gekämpft, den Streit um den Rechtsstaat in Polen vom EU-Gipfel fernzuhalten. Doch als Merkel am Donnerstag zu ihrem 107. und womöglich letzten Spitzentreffen in Brüssel eintraf, war Polen Thema Nummer eins. Die Niederlande, Luxemburg, Belgien und am Ende auch Frankreich hatten Gipfelchef Charles Michel gezwungen, den Konflikt um das EU-Recht auf die Tagesordnung zu setzen.

Vor dem Abendessen wollte Michel über „jüngste Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Rechtsstaat“ sprechen – eine Chiffre für die brisante Polen-Debatte. Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts, das den Vorrang des EU-Rechts infrage stellt, ließ Michel keine andere Wahl. Ohne diesen Vorrang könne die EU nicht funktionieren, hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag im Europaparlament gewarnt.

Sie stehe selbstverständlich hinter der EU-Kommission, erklärte Merkel am Donnerstagnachmittag bei ihrer Ankunft im Brüsseler Gipfelgebäude. Doch dann wiegelte sie ab: „Wir müssen Wege und Möglichkeiten finden, wieder zusammenzukommen“, sagte die Kanzlerin vor einem kurzfristig anberaumten Vier-Augen-Gespräch mit dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki.

„Eine Kaskade von Rechtsstreitigkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof ist noch keine Lösung des Problems, wie Rechtsstaatlichkeit auch gelebt werden kann“, betonte die Kanzlerin. Letztlich gehe es jedoch um einen politischen Streit über die Zukunft der EU. Man dürfe Polen nicht isolieren, so die versöhnliche Linie aus dem Kanzleramt. Eine Sanktionsdebatte sei das Letzte, was man derzeit brauche.

Merkel will den Laden zusammenhalten – bis zum Schluss. Doch mit ihrer Linie stand sie in Brüssel allein auf weiter Flur. Nur Ungarns Regierungschef Viktor Orbán stellte sich offen auf die Seite Polens. „Der Rechtsstaat steht nicht einmal im EU-Vertrag“, erklärte der nationalistische Politiker, der regelmäßig die EU-Kommission attackiert. Das EU-Recht gelte nur in jenen Bereichen, für die Brüssel auch zuständig ist. Deshalb gebe es auch „keinen Grund“ für Sanktionen.

Macron spricht von „Angriff“

Für Strafmaßnahmen sprach sich dagegen der belgische Premier Alexander De Croo aus. „Wenn man einem Klub angehören will, dann muss man auch die Regeln akzeptieren“, sagte er. Bei der Aussprache der 27 Staats- und Regierungschefs werde er Morawiecki fragen, worauf dieser eigentlich hinauswolle. Im Kern gehe es doch um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz und nicht um einen Kompetenzstreit mit Brüssel.

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist besorgt. Er teilte Morawiecki seine Bedenken schon in einem Gespräch am Flughafen in Brüssel mit, gleich nach dessen Ankunft. Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sei ein „direkter Angriff“ auf das Herz der EU, hieß es in französischen Regierungskreisen. Morawiecki müsse Garantien für die Einhaltung des EU-Rechts geben, wenn sein Land weiter EU-Gelder erhalten wolle.

Schon jetzt hält die EU-Kommission einen Vorschuss aus dem Corona-Aufbaufonds zurück. Insgesamt stehen Polen 36 Milliarden Euro zu, bisher ist noch kein Cent geflossen. Das Europaparlament fordert, auch andere Hilfen aus dem EU-Budget zu streichen und dafür das neue Rechtsstaatsinstrument zu nutzen. Doch Merkel, die den Mechanismus 2020 selbst ausgehandelt hat, sperrt sich. Gelder könne man nur streichen, wenn das EU-Budget gefährdet sei – nicht jedoch, um missliebige Staaten abzustrafen, sagte ein Merkel-Berater. Es wirkte wie ein letzter Versuch, ihr europapolitisches Erbe zu retten.

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12 Kommentare

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  • Natürlich darf man Polen nicht isolieren, aber man darf es Polen auch nicht durchgehen lassen, dass es sich zunehmend selbst isoliert.

  • RS
    Ria Sauter

    Bei dem obigen Bild wird mir übel. zeigt es doch mit voller Aussagekraft die herzlichen Mauscheleien.



    Wir sorgen füreinander-

  • Die Alleingänge von Ländern wie Polen, Estland, Lettland, Litauen und entsprechende Zerwürfnisse der EU sind Teil der Spaltungsstrategie der Transatlantiker, die einen proamerikanischen militärisch gestärkten Keil von Montenegro bis an die Ostsee zwischen die Kernländer der Alt-EU (Deutschland, Frankreich etc.) und Russland treiben wollen.



    Ob das PIS-Regime in Polen wirklich noch mehrheitsfähig ist, wird sich doch sowieso bald zeigen. Es gibt dort auch starke Gegenbewegungen zum jetzigen reaktionären Kurs.



    Ich wäre der Letzte, der Merkel verteildigen würde, aber ihre letzten Initiativen, die leider (siehe z.B. Entspannung gegenüber Russland) von den neuen EU-Hardlinern abgebügelt wurden, entsprachen wenigstens noch dem halbwegs friedlichen Geist der Hoffnungsjahre nach 1990.



    Mir graust es vor der Vorstellung, dass wir demnächst womöglich Kriege unter grüner Regie führen werden, in denen identitätspolitische Standpunkte mit Menschenleben verteidigt werden und das friedliche Europa der letzten Jahrzehnte zerbricht.

  • Däh! Der Schwarze Block!



    Blau-Schwarz - Gescheiterlt! Gelle.

    kurz - Dankeschön fürs Fotto!



    ☕️☕️☕️ - So kann sonnig Tach in der Nachtmütze werden - 😎 -

  • Wann wird der Zeitpunkt kommen, wo eingesehen wird, das eine abwartende Haltung langfristig noch größere Probleme mit sich bringt? Insbesondere bei eskalierenden politischen Spezialfällen wie Putin, PIS-Truppe, Erdogan, Orban usw. die bei Beibehaltung ihrer Richtung im eigenen Land auch noch als stark wahrgenommen werden und Wahlen gewinnen. Ein (wirtschaftlicher) Nachteil wenn man sich schlecht verhält muss greifbarer werden.



    Durch die abwartenden Haltung der Frau Merkel steht die EU schlechter da, als vor 16 Jahren. Brexit, Polen, Ungarn. Daher wird man auch nicht mehr auf sie hören, gut so.

  • 3G
    34936 (Profil gelöscht)

    Ursula von der Leyen war der mit Abstand größte politische Fehler von Angela Merkel in 16 Jahren Amtszeit. Sie hat der Demokratie mit ihr großen Schaden zugefügt,

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Merkel will Laden zusammenhalten"

    Seit 16 Jahren müssen wir uns das anhören. "Wir werden eine gemeinsame Lösung finden".



    Nein, so funktioniert das nicht.



    Wenn die EU der polnischen Regierung nachgibt, dann haben wir auch in Zukunft die größten Probleme, nicht nur mit Polen und Ungarn.

    Die EU hat doch ein Druckmittel, nämlich die Gelder zu sperren. Außerdem ist der allergrößte Teil der polnischen Bevölkerung für die EU. Nur die Spinner von der PIS-Partei drehen durch.



    Druck machen!

  • Das übliche Merkel-Geschwurbel. Hauptsache, nichts Entscheidendes sagen.

  • Gut dass sie bald weg ist! Man muss es leider mal sagen: Merkel war und ist ein Hindernis für die Europäische Integration. Während Polen die Axt an die Grundlagen des EU- Rechts legt, will Merkel Polen "nicht isolieren". Mit reiner Konfliktscheu ist dergleichen nicht zu erklären, Merkel denkt die EU weiterhin als Wirtschaftsclub, bei dem sich jeder, und Deutschland am meisten, die Rosinen rauspickt und eigene Interessen verfolgt. Auch hier geht es Merkel nur um Deutschland, den EU- Handelspartner Polen als Nachbarn, die Probleme mit einer Nicht- EU- Grenze, Fragen von Sicherheit oder auch Migration. Dafür nimmt sie in Kauf, dass die Fundamente der EU wegfaulen und dass andere EU- Länder wie Frankreich, Spanien, Italien den politischen Preis der deutschen Kompromisse bezahlen müssen. Und dass, wo gerade die Pipeline fertig ist, auch so ein antieuropäisches Projekt. Hoffentlich macht es die kommende Regierung besser, hoffentlich machen die Grünen Druck und hoffentlich nutzt Scholz den Druck um selber Druck auszuüben. So lange jedenfalls Deutschland mehr Angst vor einem EU- Austritt Polens hat, als Polen selber, so lange ist die ganze EU erpressbar und so lange macht Polen weiter mit dem Zersetzungskurs.

  • Man darf Polen nicht isolieren, meint Mutti, und so ist es - wir sollten uns da hübsch zurückhalten. Bei den Reizthemen Gas und Kohle hat Deutschland Polen ein ums andere mal desavouiert, profitiert hat davon in erster Linie die stramm deutschfeindliche PiS. Zwar haben wir selbstverständlich wie immer und überall recht, aber der Jan Kowalski von der Straße sieht hier nicht die vorbildliche Nation der Klima- und Flüchtlingsretter, sondern den Kadaver von Wilhelm zwo und anderen Herren mit Schnurrbart aus der Gruft grinsen. Polen ist nicht die PiS und andersrum auch nicht, ganz davon abgesehen leben eine Million Polen, weitestgehend unsichtbar, in Deutschland.

  • Da stellt sich die Frage, ob Merkels Haltung etwas mit den Pushbacks an der polnischen Grenze zu Belarus zu tun hat. Man denke an ihren Deal mit Erdogan.

  • Frau Merkel hat nicht begriffen, dass ihr Credo des Stillstands schon vor 10 Jahren nicht zeitgemäß war. Das Beste was sie getan hat in den letzten Jahren war freiwillig ihren Rücktritt anzutreten, im Gegensatz zu ihrem politischen Ziehvater, der aus dem Amt gejagt werden musste.

    Die EU muss sich grundlegend wandeln, und dafür ist Merkel die Falsche. Scholz scheint mir da biegsamer zu sein, auch wenn er gerne auf Merkel tut. Der Beste ist er leider auch nicht, aber man kriegt wohl das was man verdient hat.