Rechtspopulismus und Einwanderung: Asyl nur für Christen?
Überall in Europa machen Populisten Stimmung gegen Muslime und wollen ihnen Grundrechte verweigern. Oft übernehmen Regierungen die Parolen.
Mit der Ankündigung, ausschließlich christliche Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, machte die Slowakei in diesen Tagen auf sich aufmerksam. Es gebe bei ihnen gar keine Moscheen, wie sollten sich Muslime da wohlfühlen? Mit diesem Argument begründete ein Sprecher des Innenministeriums in Bratislava gegenüber der BBC die Haltung seines Landes.
Das war kein Ausrutscher, denn auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico und sein Innenminister Robert Kaliňák – beides Sozialdemokraten – hatten zuvor schon den Standpunkt vertreten, lediglich christliche Familien aus Syrien aufnehmen zu wollen. Nach einem Rüffel aus Brüssel ruderte die Regierung in Bratislava aber zurück und wollte es doch nicht so diskriminierend gemeint haben.
Dabei steht die Slowakei mit ihrer Haltung nicht allein. Auch andere osteuropäische Länder haben in den letzten Monaten klar gemacht, dass ihnen muslimische Flüchtlinge nicht recht sind. Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz kündigte im Juni 2015 an, langfristig 150 christliche Familien aus Syrien aufnehmen, aber sonst keine anderen Verpflichtungen übernehmen zu wollen. Tschechiens umstrittener Präsident Miloš Zeman ließ verlauten, er wolle lieber Flüchtlinge aus der Ukraine als solche aus Afrika und dem Nahen Osten aufnehmen.
Er hält, wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, Muslime für nicht integrierbar und für ein Sicherheitsrisiko und suggeriert, mit Flüchtlingen aus dem Irak, Afghanistan und Syrien steige die Gefahr eines Terroranschlags. Als die Staats- und Regierungschefs der EU jüngst über eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa verhandelten, waren sich die Regierungen insbesondere Osteuropas deshalb in einem Punkt völlig einig: möglichst keine Flüchtlinge aufnehmen, und bloß keine muslimischen!
Lieber Christen, vor allem keine Muslime
Das ist symptomatisch für eine Stimmung, die in ganz Europa verbreitet ist. Auch Pegida ging in Dresden ja nicht nur wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen auf die Straße, sondern, wie es die Bewegung schon im Namen mitteilte, gegen eine angebliche „Islamisierung des Abendlandes“. Zwei Ziele haben alle rechtspopulistischen Parteien – vom Front National und der Lega Nord über die dänische Volkspartei bis zur AfD und den Wahren Finnen – und rechte Bewegungen wie Pegida oder die English Defence League gemein.
Erstens, die Einwanderung insgesamt radikal zu begrenzen, vor allem die von Muslimen. Und zweitens, die Muslime in Europa möglichst unsichtbar zu machen und Kopftücher, Moscheen und alles allzu Fremde aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen. Dahinter steckt die Sehnsucht, alles möge so übersichtlich und kulturell homogen bleiben, wie es in der nostalgisch verklärten Erinnerung einmal war.
Wir könnten uns anstrengen und was Großes werden. Wir könnten aber auch liegen bleiben. Zum achten Monat in diesem 15. Jahr des neuen Jahrtausends eine 08/15-Ausgabe, in der taz.am wochenende vom 22./23. August 2015. Mit viel Liebe zum Mittelmaß. Wir treffen eine Frau, die „Erika Mustermann“ heißt. Wir reden mit einem Statistiker über Durchschnitt. Und lernen, warum genormte Dinge wie Plastikbecher uns im Alltag helfen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Rechtspopulisten fordern in ihren Ländern deshalb ein strikteres Einwanderungs- und Asylrecht, das zwischen erwünschten und nicht erwünschten Einwanderern unterscheidet, die Rückkehr zu nationalen Grenzkontrollen und die Rückerlangung nationalstaatlicher Souveränität von Brüssel. Mit ihren Bestrebungen, Kopftücher und Ganzkörperschleier (von ihnen „Burka“ genannt) zu verbieten, Moscheebauten zu verhindern, die Heiratsmigration insbesondere aus muslimischen Ländern zu erschweren und einen EU-Beitritt der Türkei unmöglich zu machen, haben Rechtspopulisten in ganz Westeuropa in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge erzielt – nicht zuletzt, weil mehrere europäische Regierungen ihre Forderungen ganz einfach übernommen haben, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Da die Rechtspopulisten nicht bereit sind, Muslimen gleiche Rechte zu gewähren, ist es nur konsequent, dass sie ihnen am liebsten auch das Asylrecht vorenthalten würden. Angesichts steigender Flüchtlingszahlen haben Europas Rechtspopulisten, von Österreichs FPÖ und der Schweizer Volkspartei (SVP) bis zu den Wahren Finnen, eine neue Lieblingsidee entwickelt und fordern nun, Asyl bevorzugt Christen zu gewähren. Auch in Deutschland findet diese Forderung Anklang, und das nicht nur bei der AfD: Diesen Gedanken hat auch schon der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich in seiner Amtszeit als Bundesinnenminister vor zwei Jahren ins Gespräch gebracht, und erst jüngst hat sich Niedersachsens Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) dafür stark gemacht.
Islam-Paranoia im Mainstream
Schützenhilfe erhalten die rechten Populisten von Demagogen, die ihnen pseudo-rationale Argumente für ihre Ablehnung von Muslimen liefern. Der Chefredakteur der rechten Schweizer Weltwoche, Roger Köppel, etwa fordert, reiche muslimische Länder wie Saudi-Arabien, Oman oder Kuwait sollten mehr Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, dann müssten sie nicht nach Europa kommen. Ähnlich argumentierten Focus-Chefredakteur Wolfram Weimer und Henryk M. Broder in der Welt. Das sei doch deren „moralische Pflicht“, erklärten Weimer wie Köppel in Kommentaren unisono.
Dass muslimische Länder wie die Türkei, der Libanon, Jordanien und Ägypten die Hauptlast des Krieges in ihrem Nachbarland tragen, unterschlagen sie gerne. Köppel fordert, das Mittelmeer konsequent „abzuriegeln“, um Europa vor den „muslimischen Massen“ zu schützen. Bei seinem letzten Auftritt bei Günther Jauch suggerierte er zudem, unter die Flüchtlinge aus Syrien könnten sich auch IS-Terroristen mischen, wer weiß? Und der Verschwörungstheoretiker Udo Ulfkotte, dessen Bestseller wie aktuell „Mekka Deutschland“ erschreckend hohe Auflagen erzielen, wittert hinter der Tatsache, dass die Mehrheit der Flüchtlinge aus muslimischen Ländern stammt, einen teuflischen Plan zur Islamisierung Europas.
Aber die Islam-Paranoia beschränkt sich bekanntlich nicht auf den rechten Rand. Jahrelang haben Mainstream-Medien und prominente Publizisten wie Alice Schwarzer oder Heinz Buschkowsky die Furcht vor Muslimen geschürt und vor einer islamischen Landnahme und einer Unterwanderung durch Muslime gewarnt. Man darf sich nicht wundern, dass solche Angstpropaganda Wirkung zeigt. Hinzu kommen fundamentalistische Kreise in den christlichen Kirchen, die von einer angeblichen besonderen „Christenverfolgung“ in muslimischen Ländern sprechen und für eine bevorzugte Aufnahme von Christen aus dem Nahen Osten in Europa werben. Dass auch andere Minderheiten bedroht sind und die allermeisten Opfer des islamistischen Terrors selbst Muslime sind, ignorieren sie bei ihrem Einsatz für ihre Glaubensbrüder.
„Anhaltender Druck von rechts“
Eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung kam kürzlich zu dem Schluss, dass die Parolen rechtspopulistischer Parteien auf die Linie wichtiger Länder innerhalb der EU abgefärbt haben. „Die populistischen EU-Gegner setzen die regierenden Parteien im eigenen Land verstärkt unter Zugzwang“, heißt es da. Ton und Inhalt in der Einwanderungs- und Grenzpolitik hätten sich verschärft. „Ohne den anhaltenden Druck von rechts wäre das nicht passiert.“
Denn Rechtspopulisten sitzen in vielen Ländern Skandinaviens inzwischen an den Schalthebeln der Macht und haben auch anderswo an Einfluss gewonnen, sie prägen in Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich den Diskurs um Einwanderung und Asyl. Und der Trend hält an: Vor den Regionalwahlen in der Steiermark im Juni 2015 hatte die FPÖ mit dem Slogan „Mehr Wohnungen statt mehr Moscheen“ geworben – und ihren Stimmenanteil fast verdreifacht.
Es ist deshalb kein Zufall, dass Schweden und Deutschland, wo rechtspopulistische Parteien am schwächsten sind, in Europa zu den Ländern gehören, die am meisten Flüchtlinge aufnehmen, wie der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres konstatierte. Aber auch hier setzen Regierungsparteien auf populistische Forderungen, wie man am Vorschlag des Innenministers Thomas de Maizière sieht, Asylbewerbern das Taschengeld zu kürzen. Oder an der CSU, von der man sich fragen kann, ob sie nicht längst eine rechtspopulistische Partei ist, so, wie ihr Parteichef Horst Seehofer gelegentlich gegen „Einwanderung aus fremden Kulturkreisen“ tönt.
Vorbehalte gegen Muslime sind dort besonders ausgeprägt, wo besonders wenig Muslime leben – also nicht in den Metropolen und urbanen Zentren, sondern in Ostdeutschland und in den ländlichen Regionen Europas, aus denen die rechtspopulistischen Parteien Westeuropas die meisten Wähler beziehen. Und, wie man sieht, in Osteuropa. Dort nimmt man sich ein Beispiel an den Debatten in Westeuropa. Noch bevor dort die ersten muslimischen Flüchtlinge eintreffen, wird in Lettland und Estland jetzt über ein „Burka“-Verbot diskutiert. Man hat ja sonst keine Probleme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin