Rechtspopulismus in den Niederlanden: Geert will das
Geert Wilders hat seine Partei PVV zum Wahlsieg geführt. Das Land hatte er schon vorher nachhaltig verändert.
Er selbst konnte es kaum glauben. So überraschend war am vergangenen Mittwoch Geert Wilders’ Triumph bei der Parlamentswahl in den Niederlanden. Mit 37 gewonnenen Sitzen ist seine rechtspopulistische Partei PVV die stärkste Fraktion im neuen Parlament. Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, muss man einige Zeit zurückblicken.
Etwas mehr als acht Monate vor seinem großen Erfolg steht Geert Wilders in Den Haag auf einer Bühne. Vor ihm im grellen Licht eines windigen Frühlingstags wogt ein blau-weiß-rotes Meer. Die umgedrehte niederländische Flagge ist das Symbol einer Protestbewegung, die eine halbe Generation nach Wilders kam.
An diesem Samstag, kurz vor den Provinzialwahlen, trifft sich alles, was dort Rang und Namen hat, im Zuiderpark von Den Haag. Eine Kundgebung wie eine geballte Faust, drohend erhoben gegen die „Elite“ und die bürgerliche Mitte-rechts-Koalition. Das Motto: „Wählt sie ab!“
Die Atmosphäre gleicht einem Festival, und wie sich das gehört, werden die Stars als Letzte auftreten. Mark van den Oever, der rabiate Frontmann der Farmers Defence Force, und Thierry Baudet, Chef der antiglobalistischen, Alt-Right-affinen Partei Forum voor Democratie (FvD), ein Putin-Bewunderer und Verschwörungsgläubiger. Wilders dagegen ist der große Name, der ein wenig zu einer anderen Zeit gehört, aber noch aktiv ist und den man auf dieser Bühne haben muss.
Dass er sein Handwerk noch beherrscht, stellt er sogleich unter Beweis. Er ruft auf zum „demokratischen Widerstand“ gegen eine „Tyrannei“ von Premier Mark Rutte und Finanzministerin Sigrid Kaag, beschimpft deren Partei als „linksliberale Zerstörer“ und hetzt gegen „Asylbewerber, die sich jeden Tag vollfressen, während unsere Alten im Heim 100 Gramm Fleisch und 150 Gramm Gemüse täglich bekommen“. Am Schluss seines Auftritts kündigt Wilders an: „Heute verabreden wir, dass wir uns die Niederlande zurückholen.“
Wilders' Rhetorik hat die Niederlande geprägt
Niemand, auch nicht die profundesten Expert*innen des äußerst lebhaften Biotops rechter, identitärer niederländischer Bewegungen, kann sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass Wilders, damals 59, heute 60 Jahre alt, im kommenden Herbst mit seiner PVV einen Erdrutschsieg bei den Parlamentswahlen landen wird. Einen solchen Erdrutschsieg holt nämlich nur Tage später die konservative BoerBurgerBeweging (BBB), die das politische Establishment bei den Provinzwahlen in die Seile schickt.
Von Wilders und seiner „Freiheitspartei“ redet in diesen Wochen kaum jemand. Unbestritten aber hat das rechte Branchentreffen in Den Haag gezeigt, dass das jahrelange Schmuddelkind der niederländischen Politik eine ganze Generation nachkommender Akteur*innen geprägt hat.
Seine Agenda gegen „die Elite“, „Den Haag“ oder „Brüssel“; die aggressive, beleidigende Rhetorik; die Verknüpfung einer harten, abweisenden Seite gegen Asylbewerber*innen, Migrant*innen, vor allem muslimische, mit einer, die sich zu kümmern vorgibt, um Alte, Arme, Vernachlässigte.
„Mehr Hände am Bett und mehr Blau auf der Straße“ – sprich: mehr Pflegepersonal und mehr Polizei – das stand schon 2006 im Wahlprogramm der damals neu gegründeten PVV.
Wilders war ein Wegbereiter für andere rechte Akteur*innen
Sein Motto aus den ersten Jahren, er betreibe „Politik für Henk und Ingrid, nicht für Ali und Fatima“, steht im Widerspruch dazu, dass Wilders heute sagt, er wolle der Premier aller Niederländer*innen sein, ungeachtet ihres Hintergrunds. Ob er es hinter sich gelassen hat, wird sich zeigen. In jedem Fall aber ist dieses Bekenntnis Grundstein einer Politik, die auf Ethnizität basiert und dies nicht als Skandal skandalös empfindet, sondern als selbstverständlich.
Es ist keine Übertreibung, Wilders als inhaltlichen und rhetorischen Wegbereiter und Quartiermacher einer ganzen Reihe rechtspopulistischer Akteure zu bezeichnen: Parteien wie FvD, JA21, Belang van Nederland (BVNL), die – hierzulande recht übersichtlichen – Gelbwesten, Teile der Bäuer*innenbewegung und Covid-Proteste, Medien wie der Sender Ongehoord Nederland (ON), der Websites Geen Stijl oder De Dagelijkse Standaard, letztlich auch das etablierte Boulevardblatt Telegraaf. Sein Aufruf zum „Widerstand“, den er ab der Flüchtlingskrise von 2015 durchs Land posaunte, hat vielfach Gehör gefunden.
Geert Wilders, Rechtspopulist und Wahlsieger
Pim Fortuyn, der ermordete Urvater des niederländischen Rechtspopulismus, führte kurz nach der Jahrtausendwende entsprechendes Gedankengut erstmals erfolgreich und in großem Stil in den Diskurs ein und sprach damit, wie es oft hieß, aus, was viele dachten, aber vermeintlich nicht zu sagen wagten.
Der Erfolg der PVV hingegen sorgte dafür, dass diese einmal ausgesprochenen Töne widerhallten in einem permanenten Resonanzraum, der sich stetig vergößerte. 2006 zog sie erstmals mit 9 Abgeordneten ins Parlament ein. Sie gewann damit den Wettstreit mehrerer konkurrierender neuer Rechtsparteien um die Nachfolge der Lijst Pim Fortuyn (LPF). 2010 wurde sie mit 24 Sitzen drittstärkste Partei.
Mehrere Klagen wegen Aufruf zur Diskriminierung
Geert Wilders, Gründer, Galionsfigur und einziges Mitglied der PVV, die damit nicht über eine konventionelle Parteistruktur verfügt, ist in den Anfangsjahren derjenige, der die Grenzen des Sag- und Machbaren auslotet. Sein Anti-Islam-Film „Fitna“ hält das ganze Land in Atem, er will den Koran verbieten, seine Äußerungen über den Propheten Mohammed führen zu Anklagen wegen Säens von Hass und Aufruf zur Diskriminierung, doch das Gericht spricht ihn frei.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
In einem zweiten Prozess wird er wegen Gruppenbeleidigung verurteilt, nachdem er seinen Anhang skandieren ließ, sie wollten „weniger Marokkaner“. Es ist eines von mehreren Beispielen, die Wilders’ Aussage, sein Vorgehen richte sich rein gegen den Islam als politische Ideologie und nicht gegen Muslime, widerlegen.
Von völkischer Blut-und-Boden-Rhetorik trennt Wilders tatsächlich einiges – auf der Nazi-Site stormfront.org wurde er wegen seiner dezidierten proisraelischen Standpunkte einst als „Judenknecht“ bezeichnet – doch im Rahmen des identitären Nationalismus der PVV wird die Grenze zum Rassismus häufiger überschritten.
Die Niederlande sind längst verändert
In diesem Prozess freilich geschieht etwas Essenzielles für die Wahrnehmung der Partei und den Diskurs über Identität und Nation, Zuwanderung und Integration. Während Wilders mit seiner lautstarken Rhetorik gewohnheitsmäßig auf und jenseits der Grenzen des sozial Akzeptablen herumturnt, verlagern sich diese immer mehr. Heute sind rechtsextreme Parolen wie „Voll ist voll“ oder „Eigenes Volk geht vor“, die um die Jahrtausendwende noch skandalträchtig waren, in den Niederlanden salonfähig.
Dass die PVV einen „totalen Asyl-Stopp“ fordert, holt niemand mehr hinterm Ofen hervor. Wieso auch, wenn selbst der integre Sozialkonservative Pieter Omtzigt eine Obergrenze des Migrationssaldos propagiert und das wie eine volkswirtschaftliche Größe diskutiert? Acht von zehn Teilnehmenden einer Umfrage gaben kurz vor der Wahl an, sie wollten weniger Asylbewerber*innen im Land. Diese als „Glückssucher*innen“ zu bezeichnen ist vollkommen alltagskompatibel.
Dass sich all dies auch an den Wahlurnen immer mehr niederschlägt, haben die letzten Jahre gezeigt. Das rechtsextreme Forum voor Democratie gewann die Provinzwahlen 2019, vier Jahre später folgte die bürgerlich-konservative BBB. Beides bezeugte, dass die vermeintlichen Eliten in Den Haag nicht nur diskursiv, sondern auch elektoral abgewirtschaftet haben.
Am 22. November dann machte die PVV die Ansage ihres Chefs vom März wahr: Sie holte sich „die Niederlande zurück“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt