Rechtsextremismus in Georgien: Gegen Queerness und die EU
Georgien ist eines der homophobsten Länder Osteuropas. Die Gewalt der Rechten kann tödlich enden. Viele von ihnen wirken nun gegen einen EU-Beitritt.
Vertreter rechtsextremer Gruppen interpretierten diesen Brief als Provokation. Gemeinsam mit anderen organisierte Guram Palawandischwili die Aktion vor dem Gebäude der EU-Vertretung. Er leitet eine Organisation namens Gesellschaft zur Verteidigung von Kinderrechten und fordert schon seit vielen Jahren ein Gesetz zum „Schutz“ von Minderjährigen vor Dingen, die er als „LGBT-Propaganda“ bezeichnet, also vor jeglicher Erwähnung von LGBT*IQ, sei es in Büchern, Filmen oder generell in der Öffentlichkeit. Es soll ein Pendant werden zum Gesetz, das in Russland bereits seit 2013 in Kraft ist.
Bereits 2019 hatte Palawandischwili versucht, die Vorführung eines georgischen Films zu stören, in dem es um eine Liebesbeziehung zweier Männer in einem Tanzensemble geht. Zwei Jahre später organisierte er eine gewalttätige Protestaktion gegen den Marsch der Würde der georgischen queeren Community: Bei der Aktion am 5. Juli 2021 verletzten Rechtsextreme 53 Journalist*innen. Einer von ihnen, Alexander (Lekso) Laschkarawa, ein Kameramann des Fernsehsenders TV Pirveli, musste notoperiert werden, eine Woche später fand seine Mutter ihn tot in seinem Bett.
Noch immer sitzen rund 30 Menschen wegen dieser Gewalttaten in Haft – die Organisatoren sind nicht darunter. Auch der Premierminister von Georgien hatte sich damals zu dem Vorfall geäußert. „Wenn 95 Prozent der Bevölkerung gegen Propagandamärsche sind“, sagt er – und meint damit den Marsch der Würde, nicht den rechtsextremen Gewaltexzess – „müssen wir uns dieser Meinung beugen. Niemals werden in Georgien Minderheiten der Mehrheit ihren Willen diktieren.“
ist 31 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist in Tiflis. Unter anderem ist er für den georgischen Dienst von Radio Freies Europa tätig. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte und digitale Sicherheit. Er hat einen Masterabschluss in Journalistik und Kommunikation. Er war Teilnehmer eines Workshops der taz Panter Stiftung.
90 Prozent der Bevölkerung wollen in die EU
Am 9. Juni 2022 ist Palawandischwili nun also wieder unterwegs. Heißt das, dass er gegen den EU-Beitritt ist? „Ich tue alles dafür, dass Georgien nicht in die Union der Eurosodomiten kommt“, antwortet er. Zehn Minuten später verhaftet ihn die Polizei, weil er eine EU-Flagge zerrissen hat.
Georgien ist eines der homophobsten Länder Osteuropas. Queere Menschen werden regelmäßig überfallen und angegriffen, und der Staat kann oder will sie nicht schützen. Politiker vermeiden es, über ihre Rechte zu sprechen. Deswegen hat der 32-jährige Aktivist Emso Kwarazchelija 2018 in Belgien Asyl beantragt. „Ich wurde bedroht, ich wurde geschlagen. Am Ende war ich erschöpft und habe verstanden, dass ich nicht länger als Aktivist weitermachen kann“, sagt er.
Er musste Georgien verlassen, so wie er schon 2014, nach einem Coming-out, seine Heimatstadt verlassen musste. In der kleinen Schwarzmeerstadt Poti mit 47.000 Einwohner*innen konnte er nicht bleiben. Kwarazchelija möchte nicht an diese Zeit zurückdenken, als er jeden Tag in Gefahr war, als er „nicht einschlafen konnte, wenn ich nicht neben dem Bett eine Axt oder etwas Ähnliches liegen hatte“. Mittlerweile arbeitet Kwarazchelija beim Roten Kreuz. Seine eigene Migrationserfahrung kommt ihm dabei zugute, denn er hilft jetzt geflüchteten Ukrainer*innen bei der Integration.
Kwarazchelija möchte nicht mehr zurück, aber er verfolgt die Ereignisse in seiner Heimat genau. Er sagt, dass die explizite Homophobie in Georgien eine Form des Konformismus sei. „Meine Eltern waren nicht dagegen, dass ich schwul bin. Sie wollten nur nicht, dass sonst irgendjemand davon erfährt“, sagt er. Konformismus kann leicht für politische Ziele missbraucht werden, das beweisen die rechtsradikalen Gruppen.
„Tatsächlich ist es den meisten von ihnen egal, mit wem wir ins Bett gehen“, sagt Kwarazchelija, „ihre Hauptaufgabe besteht darin, zu verhindern, dass Georgien den Status als EU-Kandidat bekommt.“ Georgien hat einen Antrag auf Aufnahme in die EU gestellt, zusammen mit der Ukraine und Moldau, und wartet jetzt auf die Entscheidung der Europäischen Kommission. Laut Meinungsumfragen unterstützen fast 90 Prozent der Bevölkerung konsequent die Perspektive der europäischen Integration ihres Landes.
Die Community trifft sich in Clubs
Ihre Gegner jedoch sind äußerst aktiv. „Diese Leute verbreiten russische Propaganda und versuchen, die EU in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren. Sie wissen, dass viele Menschen in Georgien Queere hassen, und versuchen damit zu manipulieren“, sagt Kwarazchelija. Er wartet ungeduldig darauf, dass Georgien den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhält.
Denn die Annäherung an Europa schützt Zehntausende Menschen, die heute noch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität verfolgt werden. Alle Veranstaltungen der Tifliser Pride-Week, die am 28. Juni begonnen hat, finden hinter verschlossenen Türen statt: keine öffentliche Parade, keine Demo, keine Straßenparty, wie man sie in anderen Ländern Europas im Pride-Month gewöhnt ist.
Die Community trifft sich in Clubs. Vor den Türen stehen nicht nur die Rechten, sondern auch die Polizei – als Schutz vor extremistischen Überfällen. Schon im Vorfeld hatten die Anführer der rechtsradikalen Gruppen bekannt gegeben, dass sie die Versammlungen von queeren Menschen und ihren Unterstützer*innen behindern wollen. Die NGO Tbilisi Pride schreibt dazu in einer Erklärung vom 31. Mai: „In diesem Jahr haben wir keine Möglichkeit, den Marsch der Würde durchzuführen. Wir sind die einzige Gruppe, die praktisch des Versammlungs- und Demonstrationsrechts beraubt wurde.“
Marijam Dschikija von der lokalen NGO Democracy hat in den letzten zwei Jahren mehr als 30 Aktionen von ultrarechten Gruppen beobachtet: ihre Motivation, ihre Kampfmethoden. Sie sind vor allem gegen Homosexuelle, gegen ethnische und religiöse Minderheiten und gegen Covid-Impfungen. Es sind unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Agenden, aber alle haben eines gemeinsam: Sie sind gegen eine Annäherung Georgiens an die EU, da diese das „Verschwinden der georgischen Identität“ zur Folge hätte.
Beleidigungen selbst vor Gericht
In den letzten elf Monaten hat Dschikija viele der Prozesse begleitet, die sich mit den Gewalttaten gegen Journalist*innen vom 5. Juni 2021 befassen. Oft hörte sie ähnliche Aussagen. Die Beschuldigten würden sich selbst als politische Gefangene bezeichnen, ein Ausdruck, der im Georgischen, wörtlich übersetzt, anders lautet: Gefangene des Gewissen. „Sie sagen, dass sie ihre orthodoxe Religion gegen Schwule und den Westen verteidigen müssen“, erklärt sie.
Häufig würden die mutmaßlichen Täter während des Prozesses die Opfer beleidigen und homophobe Bemerkungen machen. Die Richter ließen dies leider oft unbeachtet. Dschikija berichtet, dass von den 27 Angeklagten bisher nur zwei gesagt hätten, ihre Taten zu bereuen. „Zwei 18-, 19-jährige Jungs. Sie sagten, sie hätten einen spontanen Fehler gemacht und es sei schlecht, andere Menschen zu schlagen“, erinnert sie sich. Das härteste Urteil, bei dem sie im Gericht zugegen war, lautete auf anderthalb Jahre Haft.
Laut einer Studie der georgischen NGO Women’s Initiative Supporting Group finden 53 Prozent der georgischen Bevölkerung, dass queere Menschen nicht das Recht haben, Protestaktionen zu veranstalten. Die NGO bezeichnet das als Fortschritt. 2016 waren noch 78 Prozent aller Befragten dieser Meinung gewesen.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
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