Rechtsextreme in Spanien: Gender soll nicht Schule machen
Die andalusische Regierung arbeitet mit der rechtsextremen Vox-Partei zusammen. Die will gegen die „Genderideologie“ an Schulen vorgehen.
So sieht es die Vereinbarung der neuen andalusischen Regierungskoalition mit der rechtsextremen Partei Vox vor. Das Pikante: Die rechts-konservative Minderheitsregierung aus Partido Popular (PP) und Ciudadanos benötigt für ihre Vorhaben die Stimmen der Ultrarechten, deshalb paktiert sie mit Vox. Die erhielt mit ihrer Antimigrationspolitik bei der Regionalwahl im Dezember auf Anhieb zwölf der 109 Parlamentssitze.
Das rechte Dreierbündnis löste die Sozialisten nach 37 Jahren an der andalusischen Regierung ab. Vox nutzt die Gunst der Stunde, um auf die PP Druck auszuüben, damit diese Programme umsetzt, an die sie sich – trotz ideologischer Nähe – in anderen Regionen bisher nicht herangetraut hatte. Wie zum Beispiel das Vorgehen gegen „Genderideologie“ an Schulen.
Vox, die bislang nur in Andalusien den Sprung ins Regionalparlament geschafft hat, stellt den Eltern auf ihrer Website einen Vordruck zur Verfügung, den sie ausfüllen und bei der Schulleitung einreichen können. Darauf steht: „In Anbetracht der Möglichkeit, dass mein Sohn/meine Tochter gegen meinen Willen und gegenmeine Prinzipien und moralischen Werte durch Inhalte des Lehrplans mit Hilfe der Genderideologie sowie eine bestimmte sexuelle Aufklärung indoktriniert wird, […] richte ich mich an Sie mit dem Antrag, dass Ihre Einrichtung vor sämtlichen Gesprächen, Workshops oder Aktivitäten, die gesellschaftlich kontroverse Themen oder die Sexualität betreffen, unsere AUSDRÜCKLICHE ZUSTIMMUNG einholt.“ Für den Fall, dass sich Direktoren und Lehrer dem elterlichen Wunsch widersetzen, bietet Vox Rechtsbeistand an.
Gegen gleichgeschlechtliche Adoption
Wie oft Eltern diesen bisher in Anspruch genommen oder die Pin-Vorlage heruntergeladen haben, ließ Vox auf taz-Anfrage bis Redaktionsschluss offen. Auch Gewerkschaften und Elternverbände schweigen sich bisher über das Thema Pin aus. Sie wollen Vox und ihre Politik nicht noch weiter in die öffentliche Debatte bringen. Anders die Presse. Für die größte Tageszeitung Spaniens, El País, ist die Vox-Initiative „extravagant“, und El Mundo vergleicht die Initiatoren mit „Kreuzrittern“.
Die Nachrichtenwebsite Diario 16 widmet dem Thema eine kritische Meinungskolumne: „Sie fördern Obskurantismus und Hass, sie repräsentieren den Faschismus in seiner reinsten Form: Sie fordern die Freiheit, um die Freiheit zu verbieten, sie fordern Objektivität, um ihre Subjektivität aufzudrücken, sie fordern Respekt, um andere zu beleidigen, sie fordern die Wissenschaft, um Wissen zu verweigern […], sie sprechen über die Familie, um die Liebe zwischen Menschen zu regulieren, sie sprechen über Frauen, und meinen Unterwerfung …“, heißt es in dem Text von Francisco Silvera, Kolumnist, Doktor der Philosophie und Gymnasiallehrer.
Der Eltern-Pin geht auf Initiativen ultrakatholischer Vereinigungen zurück. Alles begann, als die Regierung des Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero in den 2000er Jahren Staatsbürgerkunde als Fach an den Oberschulen einführte. Dort wurden die Werte der Verfassung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden sowie gegenüber sexuellen Minderheiten gelehrt. An vielen Schulen wurden Betroffene aus LGTBI-Gruppen oder Frauenrechtlerinnen zum Unterricht eingeladen. Immer wieder weigerten sich Eltern, ihre Sprösslingen zu diesen Unterrichtseinheiten zu schicken.
Es waren die Jahre, als Spanien mit einem Gleichstellungsgesetz, Maßnahmen gegen häusliche Gewalt oder der Einführung der Homoehe riesige Schritte in Richtung Gleichberechtigung machte. Die konservative Opposition nutze vor allem das umstrittene Thema Homoehe für die Opposition gegen Zapatero. Die PP mobilisierte mit Hilfe der katholischen Kirche Hunderttausende gegen das Recht gleichgeschlechtlicher Paare zu heiraten und Kinder zu adoptieren.
„Schlacht um die Kultur“
Mit Erfolg: Eltern aus dem Umfeld der ultrakatholischen Vereinigungen klagten gegen die Staatsbürgerkunde, brachten sie aber nicht zu Fall. Nach dem Regierungswechsel 2011 wurde das Fach von der PP-Regierung unter Mariano Rajoy wieder abgeschafft. Stattdessen wurde Religion wieder zum versetzungsrelevanten Fach.
2014 veröffentlichte die Vereinigung Fachkräfte für Ethik erstmals den Vordruck, der mittlerweile als „Eltern-Pin“ bekannt ist. Die Initiatoren der „Schlacht um die Kultur“, wie die ultrakatholische Onlinezeitung actuall.com die Pin-Kampagne nennt, stützen sich auf den Artikel 27.3 der spanischen Verfassung. Dieser garantiert den Eltern das Recht, dass „ihre Kinder die religiöse und moralische Ausbildung erhalten, die ihren eigenen Überzeugungen entspricht“. Die Kinder selbst müssen nicht gefragt werden, solange sie nicht volljährig sind.
Genau dieses Recht der Eltern, über die Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, sei – so der actuall-Kolumnist Jaime Urcelay – in Gefahr. „Seit einiger Zeit verfolgt die ‚kulturelle Linke‘ eine indirekte Strategie, die die Freiheit der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, praktisch unmöglich macht“, schreibt der Jurist. Der verheiratete „Vater von fünf Kindern“ gehörte damals zu den entschiedensten Gegnern von Zapateros Staatsbürgerkunde. Der PP, die Urcelay „rechte Verwalterin“ nennt, wirft er „Passivität und manchmal Komplizenschaft“ mit der linken Hegemonie vor.
Vox und die ultrakatholischen Vereinigungen fühlen sich von der „Genderideologie“ und die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten bedroht. „Der radikale Feminismus, der sich in Genderideologie umgewandelt hat, machte aus der Frau sein wichtigstes Ziel, um die Familie zu zerstören“, schreibt Urcelays Mitstreiterin aus den Jahren unter Zapateros Regierung und Gründerin der Vereinigung Fachkräfte für Ethik, Leonor Tamayo. Eine Frau, die sich in ihrem Autorenprofil stolz als „Ehefrau von Paco und Mutter von zehn Kindern“ präsentiert.
Rechter Dreierpakt
Das Ziel der „Genderideologie“ gehe „über die Vernichtung der biologischen Familie hinaus“, so die ehemalige Gymnasiallehrerin Alicia Rubio, die heute im Vox-Vorstand sitzt. „Das Ziel sind unsere Kinder, es sind ihre Kinder“, erklärt Rubio, die mit dem Buch „Als sie uns verboten, Frauen zu sein … und sie euch verfolgten, weil ihr Männer seid“ so etwas wie die antifeministische Bibel der Ultrakatholiken geschrieben hat. Sie erklärt darin die Gefahren und den Zusammenhang „zwischen Feminismus, Abtreibung, Lobby LGTBI, Sterbehilfe, Indoktrination in den Klassenzimmern, Leihmüttern, etc., etc.“. Sie spricht von „falschen Rechten, die Millionen Euro benötigen, um Pseudodiskriminierungen zu beseitigen“.
Auch damit will Vox aufräumen. In Andalusien sollen „alle überflüssigen Organismen“ abgeschafft werden. Gemeint sind damit unter anderem Einrichtungen, die sich um Gleichberechtigung der Frau und die LGTBI-Rechte kümmern. Stattdessen wird künftig „Familienpolitik mit dem Ziel der Erhöhung der Geburtenrate“ betrieben.
Als letzten Angriff auf die verhasste Genderideologie verlangt Vox von der neuen Rechtsregierung die Liste aller Mitarbeiter der Hilfsprogramme für misshandelte Frauen. Die Begründung: „Die Richter fällen Urteile, von denen die Zukunft unserer Kinder abhängt, auf der Grundlage von Gutachten, die von hoch ideologisierten Fachkräften erstellt wurden.“ Noch weigert sich die andalusische Regierung.
Vox wird bei den vorgezogenen Neuwahlen am 28. April wohl auch ins nationale Parlament – als auch Ende Mai in viele der Regionalparlamente – einziehen. Der rechte Dreierpakt könnte dann vielerorts nach der Regierung greifen. Der Eltern-Pin und die „Schlacht um die Kultur“ droht zum Normalzustand zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland