Rechte in Frankreich im Aufwind: Gefährliche Gleichgültigkeit

Im April stehen in Frankreich Präsidentschaftswahlen an. Das Land könnte weit nach rechts kippen.

Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen.

Kandidatin der ganz rechten Rechten: Marine Le Pen Foto: Sarah Meyssonnier/reuters

Wer sich das gut zwei Minuten dauernde Video des Radiosenders France Inter mit Marine Le Pen anschaut, sieht eine entspannte Frau. Die 53-Jährige lacht darin viel, streicht sich durch die Haare und versucht sich möglichst sympathisch zu geben. Sie schildert Banalitäten wie ihren vollen Terminkalender, der ihr kaum Zeit zum Haarewaschen lasse. Vor dem rosa Hintergrund wirkt die Chefin des Rassemblement National fast schon wie die nette Frau von nebenan.

Und genau das ist ihre Strategie für die Präsidentschaftswahlen im April. Hinter einem lächelnden Gesicht verkauft sie eine neue Persönlichkeit. Nicht mehr die polternde Rechtsextremistin, sondern die gemäßigte Politikerin, die Frankreich verändern will. Doch wie bei allen Produkten, die ihre Verpackung ändern, gilt: Der Inhalt bleibt derselbe. Marine Le Pen will nach ihrer Wahl die Einwanderung stoppen und das Kopftuch verbieten. Im­mi­gran­t:in­nen will sie zu Bür­ge­r:in­nen zweiter Klasse machen.

Frankreich soll mit ihr als Präsidentin die EU nicht mehr verlassen, sondern von innen heraus zersprengen. Ihr „Europa der Nationen“ bedeutet die Rückkehr zu einem Nationalismus, den der Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg hinter sich ließ. Auch wenn Marine Le Pen derzeit viel lächelt und mit sanfter Stimme spricht: Sie ist ein gefährlicher Wolf, der nur Kreide gefressen hat. Ähnlich wie Rotkäppchen im Märchen gehen die Französinnen und Franzosen derzeit der säuselnden Le Pen auf den Leim.

Sie haben kaum noch Angst vor der Bedrohung, die von der Rechtsextremistin für die Gesellschaft ausgeht. Nur noch jeder Zweite sieht in ihr eine Gefahr für die Demokratie. Erschreckend wenig, wenn man bedenkt, dass in den 1990er Jahren noch über 70 Prozent ihrer Landsleute die Partei Le Pens als gefährlich wahrnahmen. 2002, als ihr Vater, der verurteilte Antisemit und Rassist Jean-Marie Le Pen, überraschend in die Stichwahl um das Präsidentenamt kam, gingen mehr als eine Million Menschen auf die Straße.

18 Prozent für La Pen Senior

Knapp 18 Prozent bekam Le Pen Senior damals in der zweiten Runde gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac. 20 Jahre später sehen Umfragen Le Pens Tochter bei rund 45 Prozent gegen Präsident Emmanuel Macron. Und wer protestiert heute gegen diese Entwicklung? Niemand. Das Land ist weit nach rechts gerückt. Am rechten Rand hat Le Pen sogar noch Konkurrenz bekommen. Der rechtsextreme Kandidat Éric Zemmour hetzt täglich gegen Musliminnen und Muslime.

Die rassistische Theorie vom „großen Bevölkerungsaustausch“ verbreitet er so ungeniert, als handele es sich um eine Wettervorhersage. „Zemmour ist der größte Sprengmeister der Nation“, warnt der Rechtsextremismusexperte Nicolas Lebourg. Doch auch wenn der 63-Jährige mehrfach wegen Anstachelung zum Rassenhass verurteilt wurde, sehen nur schlappe 62 Prozent seiner Landsleute eine Gefahr für die Demokratie in ihm. Nur weil Zemmour eine radikale Wählerschaft anzieht, macht das Le Pen noch nicht zu einer moderateren Politikerin.

Sie verpackt ihre Botschaften nur geschickter, weil sie es im dritten Anlauf endlich ins Präsidentenamt schaffen will. In Umfragen liegt sie stabil auf dem zweiten Platz hinter Macron. Zusammen mit Zemmour würde sie sogar auf rund ein Drittel der Stimmen kommen. Den Wahlkampf haben die beiden schon jetzt komplett vergiftet. Ihr einwanderungsfeindlicher Diskurs ist salonfähig geworden. Sogar die konservativen Républicains überboten sich vor den Vorwahlen im Dezember mit Vorschlägen, wie die Immigration zu stoppen sei.

Wer den Kan­di­da­t:in­nen zuhörte, wähnte sich auf einer Veranstaltung von Le Pens Rassemblement National. Nun könnte man meinen, dass sich eine gewaltige Opposition zusammenschließt, um diesem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Mehr als 80 Prozent der Linkswählerinnen und -wähler wünschen sich einen solchen Zusammenschluss. Doch Fehlanzeige. Die Parteien des linken Spektrums wirken wie Käfer, die auf dem Rücken liegen und wild strampeln, ohne auf die Beine zu kommen.

Gegen Le Pen zählt jede Stimme

Mit einem halben Dutzend Kan­di­da­t:in­nen gehen Sozialisten, Grüne, Linkspartei, Kommunisten und wie sie sonst noch heißen in die erste Runde der Präsidentschaftswahlen. Ohne echtes Programm, ohne wirkliche Alternativen. Auch nach einer internen Abstimmung ihrer An­hän­ge­r:in­nen sind sie weiter kopf- und orientierungslos. Die Egos der einzelnen Kan­di­da­t:in­nen zählen mehr als der gemeinsame Kampf gegen rechts. Und die Wäh­le­r:in­nen dieser Parteien scheinen die Wahlen schon abgeschrieben zu haben.

Sie dürften in der Stichwahl am 24. April mehrheitlich zu Hause bleiben. 2017 stimmten sie für Macron, um Le Pen zu verhindern. Doch viele von ihnen kündigen ganz offen an, das kein zweites Mal zu tun. Sie sind enttäuscht von dem Präsidenten, der früher mal Sozialist war und nun als Liberalkonservativer angesehen wird.Es stimmt: Die vergangenen fünf Jahre lieferten einer linken Wählerschaft viel Stoff, um Macron zu kritisieren. Er beschnitt die Arbeitnehmerrechte, enttäuschte beim Klimaschutz und bewirkte trotz großer Versprechen nichts in den Problemvorstädten.

Doch im Gegensatz zu seinen Geg­ne­r:in­nen vom rechten Rand stellt der Staatschef den Rechtsstaat nicht infrage. Er ist keine Gefahr für Europa und die Demokratie. Wer meint, mit seiner Stimmenthaltung Macron zu bestrafen, irrt sich gewaltig. Wer zu Hause bleibt, bestraft nämlich ganz Frankreich. In ihrer gefährlichen Gleichgültigkeit ermöglichen die Nicht­wäh­le­r:in­nen einen Wahlsieg von Marine Le Pen. Sie nehmen billigend in Kauf, dass ihr Land – das Land der Menschenrechte, das Land der Einwanderung, das Land der Aufklärung – von Nationalisten regiert wird.

Sie akzeptieren die Zerstörung Europas. Gegen Le Pen zählt jede Stimme. Deshalb der Appell an alle Französinnen und Franzosen: Geht wählen! Allez voter!

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fing nach dem Studium der Journalistik und Politikwissenschaft beim deutschen Dienst der Nachrichtenagentur AFP an. Sie leitete die Auslandsredaktion in Berlin und war Korrespondentin in Paris. Seit 2014 berichtet sie aus Frankreich für mehrere deutsch­sprachige Zeitungen, unter anderem für die taz.

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