Rechte Tendenzen bei der Feuerwehr?: Innenminister diskreditiert Abfrage
Die Feuerwehr in Schleswig-Holstein fragte rechte Einstellungen ab. Das gefiel dem Innenminister nicht. Nun ist alles abgesagt.
Weil die Feuerwehr Schleswig-Holstein mit diesen Fragen rechtsextremistische Einstellungen in den eigenen Reihen abfragte, hat sie viel Kritik geerntet – unter anderem vom Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU).
Holger Bauer, Sprecher des Landesfeuerwehrverbands, versteht die Aufregung nicht: „Als guter Demokrat kann ich diese Fragen ruhigen Gewissens beantworten“, sagt er. Der Fragebogen sei weder neu noch von ihnen erstellt. „Solche Fragen werden sogar von Schülern beantwortet, warum sollte das ein Feuerwehrmann nicht dürfen?“
Die Landesfeuerwehr Schleswig-Holstein wollte herausfinden, wie die Befindlichkeit ihrer Feuerwehrleute ist. Dafür kreierten sie zusammen mit der Hochschulprofessorin Melanie Groß einen Online-Fragebogen, der anonymisiert die Situation auf den Wachen, persönliche Angaben und in einem dritten Teil eben auch politische Einstellungsmuster abfragte. Für das Projekt erhielt die Landesfeuerwehr 21.500 Euro staatliches Fördergeld über das Programm Zusammenhalt durch Teilhabe.
Der Fragebogen ist ein gängiges und wissenschaftlich anerkanntes Instrument, das standardisiert bei Befragungen in verschiedenen Ländern – wie etwa den sogenannten Mitte-Studien – zum Einsatz kommt. Die werden seit 2002 durchgeführt und zählen zu den renommiertesten Sozialstudien Deutschlands, die unter anderem den weit verbreiteten Rassismus in der deutschen Bevölkerung belegt – auch in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft.
Lasse Petersdotter, Grüne
Einige Feuerwehrleute und die Kieler Nachrichten befanden wohl aber die Fragen nach der politischen Einstellung als „Gesinnungstest“ – man fühle sich „stigmatisiert“, „ehrverletzt“ und „beleidigt“, außerdem in die rechte Ecke gedrängt. Mindestens vier von insgesamt 15 Kreiswehrführern (sic!) weigerten sich demzufolge, an der Befragung teilzunehmen.
Die Kieler Nachrichten brachten kurzerhand sogar Innenminister Grote in Stellung, dieser habe großes Verständnis dafür, dass viele Formulierungen der Fragen als „Zumutung“ empfunden werden – „Ich empfinde es genauso“, sagte Grote auch der taz. Er habe den Landesfeuerwehrverband gebeten, den dritten Block der Umfrage kurzfristig zurückzuziehen.
Auch wenn Grote dem Feuerwehrverband als eigenständigem Verein nichts zu sagen hat, hat dieser die Fragen zu den politischen Einstellungen nach dem Druck von oben zurückgezogen, wie Verbandssprecher Bauer bestätigt.
Die Kritik an dem Forschungsprojekt ist aus Sicht des Feuerwehrverbandes jedoch weiter unverständlich, zumal die Umfrage allen Kreis- und Stadtwehrführern im April vorgestellt worden sei und alle Angaben freiwillig waren. Hinzu komme, dass der Großteil der Feuerwehrleute die Fragen gar nicht gestört habe. „Bislang haben rund 1.700 Teilnehmer die Umfrage abgeschlossen, 70 Prozent haben alles ausgefüllt“, sagt Bauer.
Ähnliche Befragungen an Schulen
Blöd auch, dass das Innenministerium gemeinsam mit der Uni Kiel selbst jedes Jahr ähnliche Befragungen mit Schleswig-Holsteins Schüler*innen durchführt. Auch in diesen Analysen sollen Aussagen auf einer Zustimmungsskala bewertet werden, anhand von Thesen wie „Die Weißen sind zurecht führend in der Welt“, „Deutschland braucht wieder einen Führer, der zum Wohle aller mit starker Hand regiert“ und „Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihrer Verfolgung in Deutschland mitschuldig“.
Melanie Groß, Professorin an der Fachhochschule Kiel, hat die Untersuchung als Projekt der Feuerwehr durchgeführt. „Sicher wäre es hilfreich gewesen, wenn man abgewartet hätte, was die über 1.000 ausgefüllten Fragebögen ergeben hätten“, sagt sie. In qualitativen Befragungen habe sie festgestellt, dass den meisten Feuerwehrleuten Vielfalt sehr wichtig sei. Nun sei es darum gegangen, den Befund quantitativ abzusichern.
Unbeantwortete Fragen
Dabei sollte nicht nur die Anschlussfähigkeit rechtsextremer Positionen überprüft werden, sondern auch, inwiefern „vielleicht ja auch gerade die Verpflichtung der Feuerwehren auf Gemeinschaft, Hilfe und Vielfalt sehr gut gerüstet sind gegen einen gesellschaftlichen Rechtsruck“, sagt Groß. Dass die Fragen nun unbeantwortet bleiben „ist schade, weil es ein wirklich tolles Projekt war. Die Feuerwehr hat von sich aus gesellschaftliche Verantwortung übernommen, indem sie sich mit den eigenen Strukturen beschäftigt hat.“
Lasse Petersdotter, Sprecher für Rechtsextremismus des grünen Koalitionspartners in der Jamaika-Koalition, geht sogar noch weiter. „Grote grätscht mit einer holzschnittartigen Kritik in ein sinnvolles Projekt“, sagt er. Der Abbruch der Umfrage sei ein Fehler gewesen. Dass die Feuerwehr angesichts des Rechtsrucks in den eigenen Reihen nach Problemen schauen wollte, sei vorbildlich – „viel zu häufig finden solche Maßnahmen erst statt, wenn es öffentliche rechtsextreme Vorfälle gab“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen