Rechte Parteien in Meck-Pomm: Eine Stadt wählt Frust
Wenn in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wird, will die AfD stärkste Kraft werden und die NPD wieder in den Landtag einziehen. Was ist da los?
Auf der anderen Seite des Markts greift wenig später Udo Pastörs zum Mikrofon, der NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag. Eine „Verbrecherclique“ regiere das Land, die das deutsche Volk austauschen wolle. Dann schlurft ein Mann in beiger Jacke zum Mikro, die Hose viel zu kurz, die Füße in Sneakers. Es ist Michael Andrejewski, die NPD-Lokalgröße.
„Hier schimmelt die ganze Südstadt weg, aber denen wirft man alles hinterher.“ Die, das sind die Flüchtlinge. „Sogenannte Flüchtlinge“, sagt Andrejewski. Wenn der 57-Jährige spricht, verzieht er keine Miene, lässt die Schultern hängen. Die „tollsten Kurse“ gebe es für Flüchtlinge. „Unsere Arbeitslosen kriegen gar nichts.“ Die gut 15 Parteianhänger, die sich am Marktbrunnen niedergelassen haben, nicken. Die Gegenprotestler pfeifen. Galander verschwindet durch die schwere Holztür im Rathaus.
Von morgens bis abends tourt die NPD derzeit durch Dörfer und Kleinstädte in Mecklenburg-Vorpommern, mehr als 65 will sie bis zum nächsten Sonntag insgesamt ansteuern. Für die Neonazi-Partei geht es dann um alles: Wenn in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wird, steht für die NPD nicht nur der dritte Wiedereinzug in den Schweriner Landtag auf dem Spiel, in das letzte Landesparlament, in dem die Rechtsextremen überhaupt noch vertreten sind.
Fliegt sie raus, versiegt die letzte größere Finanzquelle der mehr als klammen Partei. NPD-Fraktionschef Pastörs rief denn auch den „größten Wahlkampf aller Zeiten“ aus. Die Rechtsextremen plakatieren an jedem zweiten Laternenmast im Land, veranstalten Kinderfeste, fahren mit Lautsprecherwagen durch Dörfer.
Hartz-IV-Beratung in der NPD-Zentrale
Anklam, das an diesem Nachmittag Mitte August auf dem Tourplan steht, galt lange als Heimspiel für die Rechtsextremen. Gut 12.000 Einwohner gibt es hier, zwei mächtige Kirchen überragen die Altstadt, 15 Kilometer weiter ist man an der Ostsee. Anklam, das heißt aber auch: 14 Prozent Arbeitslosenquote, viel Wegzug, viel Leerstand. Und: eine seit Jahren festgesetzte NPD.
In Anklam hat die Partei ihre Landeszentrale. Hier holte sie bei der Stadtvertreterwahl vor zwei Jahren 9,3 Prozent – fast genauso viel wie die SPD. Hier ist der NPD-Mann Michael Andrejewksi seit Jahren eine stadtbekannte Größe. Nur: Plötzlich gibt es für die Neonazis Konkurrenz. Von der AfD.
Wer hat Angst vor Mecklenburg-Vorpommern? Bei der Landtagswahl will die AfD stärkste Kraft werden. Rückt das Land weiter nach rechts? Eine Sonderausgabe zu Stimmung, Sorgen und Sehnsucht im Nordosten lesen sie in der taz.am wochenende vom 27./28. August. Außerdem: Überforderte Rettungsdienste, Polizei im Dauereinsatz – unterwegs in Uganda auf dem gefährlichsten Highway der Welt. Und: Gottestdienst am Autoscooter, Seelsorge am Popcornstand. Ein Gespräch mit der Pfarrerin einer SchaustellerInnen-Gemeinde. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Rechtspopulisten wollen stärkste Kraft in Mecklenburg-Vorpommern werden – und das, obwohl die Partei in der Fläche kaum verankert ist und ihr Redner wie Björn Höcke aus Thüringen oder Alexander Gauland aus Brandenburg fehlen. Man könne „Geschichte schreiben“, frohlockt die AfD-Führung bereits. Von einem zweiten 1989 ist die Rede, von einer zweiten Wende.
Ausgeschlossen ist es nicht, dass beiden Parteien ihr Vorhaben gelingt. Die NPD liegt laut Umfragen zwar nur bei 3 bis 4, die AfD bei 19 Prozent – und damit einige Prozentpunkte hinter SPD und CDU. Doch die beiden rechten Parteien schneiden bei Wahlen meist besser ab als in Umfragen. Am Ende könnten Rechtspopulisten wie Rechtsextreme ins Parlament einziehen und ein Viertel aller Mandate erhalten – ein Novum. Was ist da los in Mecklenburg-Vorpommern?
Ein Schwarzwälder NPDler in Anklam
Wer Erklärungen sucht, kann nach Anklam schauen. Eine heißt Michael Andrejewski. Seit 13 Jahren wohnt der NPD-Mann in der Stadt, in einem Plattenbau, anfangs noch als Arbeitsloser. Das Bundesland kennt er gut: Schon 1992 stand er in Rostock-Lichtenhagen und verteilte bei den Anti-Asyl-Pogromen Flugblätter. Der gebürtige Schwarzwälder, der lange in Hamburg gewohnt hat, zog bewusst nach Anklam. „Weil hier die Wahlergebnisse gut waren.“ Anders als im Westen sahen Andrejewski und seine Kameraden hier für die NPD noch Potenzial. Die Strategie ging auf.
Andrejewski ist Jurist, in Anklam war er im Förderverein für die örtliche Nikolaikirche. Seit Jahren bietet er kostenlose Hartz-IV-Beratung an. Immer montags, in der NPD-Zentrale, einem früheren Einkaufsmarkt nahe dem Bahnhof.
Seit zwölf Jahren sitzt Andrejewski in der Stadtvertretung, genauso lange im Kreistag. Seit 2006 ist er auch Landtagsabgeordneter. „Andrejewski spielt hier den Kümmerer“, sagt Bürgermeister Galander. Als Stimme der kleinen Leute. „Der ist hier akzeptiert.“ In der Stadtvertretung heißt es, juristisch kenne sich Andrejewski aus, da könne man wenig sagen.
Nun aber ist in Anklam auch AfD-Mann Matthias Manthei unterwegs. Manthei, 44 Jahre, zwei kleine Kinder, ist Familienrichter in Greifswald. Manthei ist hier aufgewachsen, er hat Fußball bei Lok Anklam gespielt. Sein Vater war Tierarzt, ein CDU-Mann, allen in der Stadt bekannt.
Die Umfragewerte der AfD steigen
Ein Mittwochnachmittag Mitte Juli, Manthei sitzt in der Schloßschänke in Karlsburg, 17 Kilometer von Anklam entfernt. Eine Wirtschaft, wie es viele im Land gibt, auf dem Sims an der Wand steht eine Kaffeekannensammlung. Für den Abend hat Manthei hierher zum Vortrag eingeladen. Jetzt erzählt er, wie er 1989, kurz vor der Wende, als 17-Jähriger montags mit der Kerze durch Anklam lief. Wie er die örtliche Junge Union mit aufbaute, zum Studium nach Münster ging und später zurückkehrte. Lange hat sich Manthei in der CDU engagiert, nun ist er Direktkandidat der AfD in Anklam.
Die CDU sei erstarrt, sagt er. So wie die anderen Parteien auch. „Alle sind gleich. Einwanderung, Kernkraft, Wirtschaftspolitik – da gibt es keine Unterschiede mehr.“ Im Herbst 2013 trat er in die AfD ein, ein halbes Jahr später war er Ko-Chef des Landesverbands. Der Landtagseinzug ist ihm sicher: Manthei ist Zweiter auf der Liste.
Aber er will mehr. Vor zwei Jahren, bei der Europawahl, holte die AfD im Landkreis ihre höchsten Ergebnisse. Bis zu 16 Prozent in einigen Dörfern, in Anklam selbst 7,7 Prozent. Seitdem klettern die Umfragewerte für die AfD immer höher. So hoch, dass Matthias Manthei in Anklam das Direktmandat bekommen könnte, das ein CDU-Mann seit 14 Jahren hält.
„Klare Begriffe im Asylrecht“ heißt der Vortrag, den Manthei am Abend hält. 18 Leute sind gekommen, darunter Leif-Erik Holm, der Spitzenkandidat der AfD, ein früherer Radiomoderator. Als die AfD jüngst im benachbarten Greifswald ihren Mitbegründer Konrad Adam, einen ehemaligen FAZ-Journalisten, zum Vortrag lud, saßen fast 100 Leute im Saal.
Manthei trägt dunklen Anzug und dunkle Krawatte, das kurze Haar ist akkurat gescheitelt. Der promovierte Jurist spricht von der Genfer Flüchtlingskonvention, von Kontingentflüchtlingen, von subsidiärem Schutz und klickt sich dabei durch eine schlichte Powerpoint-Präsentation. Über weite Strecken klingt es wie eine Univorlesung.
Selbst der Bürgermeister fühlt sich abgehängt
Doch Manthei weiß auch, welche Knöpfe er drücken muss, um seine Zuhörer zu bedienen. Die Dublin-Regelung auszusetzen, nach der Flüchtlinge dorthin abgeschoben werden, wo sie zuerst Europa betreten haben, das gehe gar nicht, sagt er. „Das ist wie wenn ein Ladendieb sagt, ich setze das Strafgesetzbuch außer Kraft.“ Immer wieder ruft Manthei das Bild von weiter steigenden Flüchtlingszahlen auf – obwohl die Balkanroute geschlossen ist und weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen. „Es wird dieses Jahr einen neuen Höchststand geben, lassen Sie sich nichts erzählen.“ Oder: „Wir wissen nicht, wie viele Lkws mit Menschen über die Grenze kommen, während wir hier zusammensitzen.“ Es sind kalkulierte Sätze, die Manthei einstreut. Sätze, für die er Applaus bekommt.
Michael Galander, Anklams Bürgermeister, weiß um diesen Applaus. Er sitzt in seinem Büro, erster Stock im Rathaus, Blick auf den Marktplatz. Auf dem Schreibtisch des 50-Jährigen steht ein Schild: „Jammern und meckern verboten“. An der Wand hängt zwischen Vereinswimpeln auch ein „Kein Ort für Nazis“-Plakat. Seit Jahren kämpft der Parteilose gegen die NPD in der Stadt. „Unsere Region ist die Hochburg, da müssen wir uns nichts vormachen“, sagt Galander. Und nun kommt auch noch die AfD. „Hier in Vorpommern bekommen die bestimmt nochmal 3 bis 4 Prozent mehr als sonst.“
Warum gerade hier? Galander lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Hier ist eine Menge im Pulverfass, wo wir den Deckel nicht draufkriegen.“
Bis heute ist in Anklam die Arbeitslosenquote doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, viele leben dauerhaft von Hartz IV. Reihenweise haben nach der Wende Betriebe dichtgemacht. Gut ein Viertel seiner Bewohner hat Anklam seitdem verloren. Und während andere Regionen im Land sich vor allem mithilfe von Tourismus langsam von dem Wendeknick erholen, geht diese Entwicklung hier noch sehr langsam.
Auch wenn Galander sich mit fast allen Mitteln abmüht. Zwei Jahre war er wegen Untreue-Vorwürfen suspendiert. Bei einem Projekt soll er eine Anklamer Baufirma bevorzugt haben, obwohl ein um mehrere zehntausend Euro günstigeres Angebot vorlag. Hauptsache es geht voran, ist sein Motto.
Ein großes Problem sei, sagt Galander, der „Reformwahn“ in jüngerer Zeit. 2011 verlor Anklam seinen Status als Kreisstadt. Etliche Verwaltungsjobs wanderten mit ab. Die Polizeidirektion wurde aufgelöst, das Amtsgericht ist nur noch eine Zweigstelle. „Da fühlt man sich irgendwann abgehängt“, sagt Galander. „Auch als Kommunalpolitiker.“
Frust in Anklam
Es ist nicht nur Galander, der das so sieht. Die Fraktionschefin der Linken sagt: „Die Leute hier haben die Faxen dicke. Und in Schwerin wird alles weggelächelt. Die Entfernung der Politik von den Menschen wird immer größer.“
Es herrscht Frust in Anklam. Frust, den die Rechtsaußen nur einsammeln müssen.
Dabei wurde in den vergangenen Jahren vieles besser. Die Arbeitslosenquote ist gesunken, die Wirtschaft hat sich in Anklam stabilisiert, die Altstadt wird durchsaniert. Dann aber, sagt Bürgermeister Galander, kamen die Flüchtlinge. „Das hat die Unzufriedenheit wieder hochgespült.“ Und das, obwohl Anklam die Unterbringung „fast nebenbei abgewickelt“ habe.
Gerade mal 319 Asylsuchende kamen im vergangenen Jahr in die Stadt. „Anklam für alle“, ein Helferbündnis, gründete sich, der Landkreis entwarf ein Integrationskonzept. Viele der Geflüchteten wurden in leeren Wohnungen untergebracht. „Wir profitieren auch“, sagt Galander.
Und trotzdem setzen NPD und AfD in ihren Wahlkämpfen voll auf das Thema. „Asylchaos beenden“, plakatieren die Rechtspopulisten in der Stadt. Die Bürger könnten nicht nachvollziehen, warum sie noch immer über Plattenstraßen aus DDR-Zeiten fahren müssten, aber Geld für Einwanderung da sei, sagt AfD-Mann Manthei.
Die NPD rief schon seit vergangenem Herbst zu Anti-Asyl-Märschen durch die Anklamer Plattenbausiedlungen. Einmal kamen 350 Leute, einige trugen Fackeln. „Bürger dieser Stadt haben Asylanten satt“, stand auf einem Banner.
Die NPD gibt sich radikaler
Es ist die Strategie der rechten Parteien: die Verunsicherung anheizen – um dann von ihr zu profitieren. Die NPD verkündete, ein Flüchtling dürfe sich Wohnzimmerschränke für 700 Euro kaufen. Ein Missverständnis, das das Jobcenter längst korrigiert hat. Dann hieß es, der Arbeitslosenverband müsse sein Haus für Flüchtlinge räumen. Gerüchte, die schnell die Runde machen, egal ob sie wahr sind.
Um sich von der AfD abzusetzen, gibt sich die NPD im Wahlkampf noch mal radikaler. Beim Thema Flüchtlinge spricht NPD-Fraktionschef Pastörs inzwischen von einer „Überfremdungsorgie“. Den „Volksverräterparteien“ gehöre der Prozess gemacht, die Deutschen müssten „Gegenwehr organisieren“. Rücksicht auf das NPD-Verbotsverfahren? Nicht jetzt.
Auch Michael Andrejewski legte seine Zurückhaltung ab. Im Juni trat er im Kreistag in Pasewalk ans Rednerpult. Das Zusammenleben von Einheimischen und „sogenannten Asylbewerbern“ funktioniere nur „im Traumland“, sagte er. Er verwies auf eine Schlägerei bei der Essenausgabe der Tafel und forderte eine Trennung der Ausgabetage. „Deutsche sollten den Vorrang haben.“ Alle, außer der NPD, stimmten gegen den Antrag. Nur eine Enthaltung gab es: von der AfD.
Das war kein Einzelfall. Als Matthias Manthei vor zwei Jahren in den Kreistag einzog, forderte die NPD, ein Flüchtling aus Mali sollte kein Kirchenasyl erhalten. Manthei und seine AfD-Leute stimmten dem NPD-Antrag zu. Ein Eklat. Bis dahin war es Absprache aller Parteien, keine Initiative der Neonazis zu unterstützen. Manthei hält davon gar nichts: Ob eine Partei mitspielen dürfe oder nicht, könne schließlich nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. „Natürlich“ würde er wieder mit der NPD stimmen, sagt er. „Wenn es ein guter Antrag ist.“
Die AfD verneint stets, Kontakte zur NPD zu haben. Doch auf einer AfD-Demonstration im Oktober marschierte unter anderem ein NPD-Landtagsabgeordneter ganz vorne mit. Auf einem Foto ist zu sehen, wie er in der ersten Reihe ein Transparent trägt, auf dem „Wir sind das Volk“ steht.
Wenn Ausgrenzen nicht mehr hilft
Wie umgehen mit den Rechtsaußen-Parteien? In Anklam haben sie darauf bis heute keine Antwort gefunden. Bekannte NPD-Sympathisanten gehören in der Stadt dazu. Einer betreibt eine Gaststätte nahe dem Marktplatz, eine andere einen großen Pflegedienst, ein dritter einen Rechtsrockversand in der Altstadt.
Bei der AfD gibt es noch weniger Berührungsängste. Spitzenmann Matthias Manthei gilt in Anklam als korrekt und seriös, er prägt das Bild der Partei. „Die Leute sagen: Manthei ist Richter, der wird schon recht haben“, sagt der SPD-Fraktionschef.
Auch Bürgermeister Galander ringt mit sich. Was die NPD angeht, ist seine Haltung klar. „Das sind Hardliner-Nazis. Mit denen muss ich nicht diskutieren. Denen muss ich auch nicht ‚Guten Tag‘ sagen.“ Aber die AfD? Er sehe in deren Programm „einiges Demokratiefeindliches“, aber am Ende hänge es von den Leuten vor Ort ab. „Wenn die irgendwann in der Stadtvertretung sitzen und kluge Ideen haben, würde ich nicht ausschließen, dass man da zusammenarbeiten kann.“
Kürzlich erst ging Galander einen anderen Weg: Er untersagte den Auftritt von AfD-Bundeschefin Frauke Petry im städtischen Volkshaus. Eine Frage der Gefahrenabwehr, sagt Galander. Der Auftritt könne zu Gewalt führen.
Das ist die offizielle Version. Die andere ist: Galander wollte ein Zeichen setzen. Am Ende unterlag er vor Gericht.
Ein Montagabend im Juli, Konferenzsaal der Anklamer Sparkasse. Der örtliche „Demokratieladen“ lädt zu einer Diskussion über die AfD: „Wenn Ausgrenzen nicht mehr hilft.“ 25 Leute sind gekommen, es sind die Engagierten, viele von ihnen Kommunalpolitiker. Einer sitzt im hellen Anzug in der letzten Reihe, die Beine übereinandergeschlagen: Gunter Jess, AfD, er arbeitet in der Verwaltung der Uniklinik Greifswald.
Wer die NPD gewöhnt ist, unterschätzt die AfD
Es dauert nicht lange, da kommt die Rede auf die Petry-Ausladung. „Wir sind eine Demokratie“, sagt ein Zuhörer. „Ich halte das für grenzwertig.“ Dann meldet sich ein Abgeordneter von der CDU. Galander habe Anklam keinen Gefallen getan. „Ich würde mich freuen, wenn Manthei gewinnt.“
AfD-Mann Jess muss nur zuhören, zwischendrin grinst er breit. Über politische Inhalte muss er an diesem Abend nicht diskutieren.
Es läuft für die AfD, fast von selbst. Wer sich an die Parolen der Neonazis gewöhnt hat, findet die AfD gar nicht mehr so schlimm. Und die Partei bekommt auch direkte Schützenhilfe von der NPD. Die Neonazis verzichten diesmal landesweit auf Direktkandidaten. Dadurch hoffen sie mehr Zweitstimmen zu bekommen, die wichtig für den Einzug in den Landtag sind. In Anklam könnte Matthias Manthei deswegen nun die früheren Stimmen für Andrejewski einsammeln, beim letzten Mal über 10 Prozent.
Dreimal hat der CDU-Kandidat Bernd Schubert in Anklam das Direktmandat gewonnen. Noch gibt sich der 61-Jährige siegesgewiss. Man solle doch nur schauen, was er erreicht habe, sagt er: die Expansion der Pflanzenextraktfabrik, der Umbau der Schwimmhalle, gerade erst die Ansiedlung eines großen Reifenherstellers. In den letzten Jahren sei viel Geld nach Anklam geflossen.
Die Frage ist nur: Kommen solche Bilanzen bei den Leuten noch an? Oder geht es am 4. September nur noch um einen Denkzettel für „die da oben“? Das ist die Sorge vieler Politiker weit über Anklam hinaus. Schon jetzt ist die SPD landesweit in Umfragen abgestürzt, die CDU steht im Fokus wegen Merkels Flüchtlingspolitik. Die Grenzen, was politisch im Großen oder im Kleinen entschieden wird, verschwimmen.
Ein AfD-Sieg in Anklam, er würde eine Entwicklung fortschreiben, die sich bereits seit Jahren in der Stadt vollzieht: eine Abwendung von den etablierten Parteien. Die SPD hat hier gerade noch zwei Abgeordnete, der Linkspartei fehlen die jungen Leute, die Grünen gibt es in Anklam erst gar nicht. Als vor zwei Jahren hier gewählt wurde, beteiligten sich gerade mal 40 Prozent der Wahlberechtigten.
Auch hinter Bürgermeister Michael Galander steht keine Partei, sondern die IfA, die „Initiativen für Anklam“, eine Vereinigung von Unternehmern. Man habe sich explizit nicht als Partei gegründet, betont Galander. „Weil die keine Ideen mehr für die Stadt entwickeln konnten.“ Im Gegensatz zu den Pateien redeten die IfA nicht nur, sondern täten was, sagt er.
Selbst Galander, der mit der Trillerpfeife auf dem Marktplatz gegen die NPD pfeift, ist also Resultat des Misstrauens. „Wir gehören nicht zu den Etablierten, weiterhin nicht“, sagt er. Die Frage ist, wer hier in Anklam, im Sommer 2016, wirklich die Etablierten sind.
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