Rechte Parteien in Europa: Und sie schwächeln doch

Rechtspopulisten in Europa verbreiten gerne, ihre Parteien seien unaufhaltsam auf dem Weg zur Macht. Doch das reden sie sich nur selbst ein.

Matteo Salvini zieht Grimasse vor Mikrofonen mit italiensicher Schrift

Verlierer: Rechtspopulist Matteo Salvini am Abend der Wahl in der Emilia-Romagna Foto: Flavio Lo Scalzo/reuters

Es ist noch nicht lange her, da ließ Matteo Salvini keine Zweifel in seinen Reden. Vor der EU-Wahl im Mai sagte der Chef der italienischen Lega: „Ab heute bestimmen wir die Politik der nächsten 50 Jahre.“ Die Lega werde „die Geschichte Europas ändern“.

Diese Botschaft war charakteristisch für Europas Rechtspopulisten. Kürzlich verkündete Alexander Gauland, da noch AfD-Chef, schon bald werde „eine geschwächte CDU nur noch eine Option haben: uns!“ Auch Marine Le Pen und viele andere taten so, als habe ein unaufhaltbarer Sog eingesetzt, der sie überall an die Macht bringen würde, die „Altparteien“ könnten dabei nur noch zuschauen.

Das glaubten nicht nur viele ihrer Anhänger, sondern angesichts einer Phase flächendeckender rechter Zugewinne auch ihrer GegnerInnen. In Dresden etwa, vor der Wahl im September, redeten manche schon vom Exil. Und auch KollegInnen aus Osteuropa stellen, nicht zu Unrecht, entsprechende Überlegungen an.

Doch nicht erst seit der unerwarteten Niederlage der Lega bei den Regio­nalwahlen am vergangenen Sonntag zeigt sich: Die zur Schau getragene Gewissheit, der Aufwärtstrend der Populisten sei unumkehrbar, war eher Autosuggestion als selbsterfüllende Prophezeiung. Sie erleiden Stagnation und Rückschläge, genau wie andere Parteien.

Salvini, der Fußabtreter

Die Wahl in der Linken-Hochburg Emilia-Romagna am Sonntag sollte laut Salvini „Wendepunkt“ in der Geschichte Italiens werden – und ihm die Macht zurückbringen. Auch hier glaubten viele Linke: So würde es kommen. Als Ju­niorpartner wurde Salvini 2018 Innenminister und konnte schon bald vor Kraft nicht mehr laufen.

Seine mediale Omnipräsenz ließ die Lega-Umfragewerte vorübergehend auf 39 Prozent steigen. Seinen größeren Koali­tions­partner, die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), behandelte Salvini in dieser Zeit als Fußabtreter. So wollte er Neuwahlen erzwingen und Ministerpräsident werden.

Doch in seiner Machtgier verkalkulierte er sich. Die M5S taten sich mit den ihnen einst verhassten Sozialdemokraten (PD) zusammen. Salvini landete in der Opposition. Eine mächtige Bewegung entstand aus der Zivilgesellschaft: die „Sardinen“.

In den vergangenen zwei Monaten brachten sie Hunderttausende in ganz Italien auf die Straße. Ihr Ziel: den rechten Populismus zurückdrängen. Mit Erfolg: Stefano Bonaccini, der Kandidat der PD, gewann mit 51,4 Prozent deutlich vor Lucia Borgonzoni von der Lega.

Was sie zurückdrängt

Zudem ist nun eine Klage anhängig, weil Salvini als Innenminister selbst italienischen Militärschiffen die Einfahrt in den Hafen verbot, weil sie Flüchtlinge an Bord hatten. M5S und PD hoben im Senat jüngst Salvinis Immunität auf. Nach einer Verurteilung wäre sein passives Wahlrecht futsch – er dürfte für kein Amt mehr kandidieren. Es wäre der finale Sieg der „Sardinen“.

An die Stelle des flächendeckenden Aufwärtstrends ist keineswegs ein entsprechender Abwärtstrend getreten. In manchen europäischen Ländern gewinnen Rechte heute sehr wohl weiter an Boden, etwa in Spanien oder Belgien, in vielen Staaten können sie ihre Position halten.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Doch ihre Behauptung, immer mehr Menschen würden gleichsam automatisch ins rechte Lager überlaufen, ist Propaganda. Korrup­tionsskandale, der Verlust der Themenhoheit, die Leerstelle in der Klimapolitik und zivilgesellschaftliche Gegenmacht können sie an einigen Stellen durchaus zurückdrängen.

Der FPÖ in Österreich wurde keineswegs das Opfer böser Mächte, wie sie selbst behauptet, sondern eigener Gier, Korruption, Unprofessionalität und unfähigen Personals. Das sind Probleme, mit denen viele der – oft schnell wachsenden – rechten Parteien in Europa zu kämpfen haben.

Rechte verlieren Stimmen in Skandinavien

Hätte FPÖ-Chef Strache sich anders verhalten, hätte es kein Ibiza-Video gegeben. 2017 bekam seine Partei bei den Nationalratswahlen über 26 Prozent, bis vor acht Monaten stellte sie den Vizekanzler. Würde heute gewählt, käme sie wohl auf knapp 15 Prozent, Tendenz fallend. Ohne die große Bühne der Regierungsämter schwindet die Popularität, genau wie bei Salvini.

Der Befund ist uneinheitlich. Man könne bei den europäischen Rechtspopulisten heute „weder von einem endlosen Aufwärtstrend noch von einem generellen Abschwung sprechen“, sagt der Mainzer Parteienforscher Kai Arzheimer. Zwar seien die Gründe für das Entstehen eines rechtsradikal-populistischen Potenzials überall ähnlich, etwa die Bildungsexpansion, der Niedergang der Industriearbeiterschaft, Migration oder die Globalisierung, sagt Arzheimer. „Das hat die Parteien der Mitte geschwächt.“

Es sei „eher ungewöhnlich, dass es so lange gedauert hat, bis aus diesem Potenzial hier die Wählerschaft der AfD geworden ist“. Doch welche Stellung die Populisten künftig einnehmen werden, darauf hätten „länder- und parteienspezifische Faktoren starken Einfluss“.

Auch im liberalen Skandinavien hatten die Rechten lange flächendeckend stark zugelegt. Doch bei den letzten „Folketing“-Wahlen kam die Dänische Volkspartei nur noch auf 8,7 Prozent, 12,4 Prozentpunkte weniger als 2015. Zu den Korruptionsvorwürfen kam, dass die Sozialdemokraten sich die Härte gegen Flüchtlinge abgeschaut hatten. Sie gewannen mit rechter Migrationspolitik. Auch hießen viele Dänen das Fehlen einer Klimapolitik nicht gut.

Lettlands KPV-LV hat sich nach dem Wahlerfolg – 14 Prozent in 2018 – über die Frage einer Regierungsbeteiligung selbst zerlegt. Von 16 Abgeordneten sind jetzt noch 10 übrig. Bei den EU-Wahlen im Mai bekam sie 0,9 Prozent. Derzeit gibt es Bestrebungen, die Partei aufzulösen. Allerdings gibt es in Lettland noch zwei weitere rechte Parteien.

Die Fortschrittspartei in Norwegen hatte 2017 rund 15 Prozent der Stimmen bekommen. Als Teil einer allseits ungeliebten Koalition halbierte sich ihre Zustimmungsrate. Die Koalition platzte in der vergangenen Woche, was der FP allerdings wieder steigende Umfragewerte bescherte.

In der Schweiz erodiert die Stärke der SVP. 2016 wollte die Partei per Volksentscheid ein härteres Abschiebungsrecht durchsetzen – nachdem sie das Asylrecht schon zuvor drastisch verschärft hatte. Die SVP hatte dabei nicht nur die konservative Neue Zürcher Zeitung gegen sich, sondern ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, fern von den Parteien, ähnlich den „Sardinen“.

SVP verliert Diskursmacht in Schweiz

Fast 60 Prozent stimmten gegen die Abschiebe-Initiative. Wohl inspiriert von Trumps „America First“ wollte die SVP kurz darauf mit einer „Selbstbestimmungs­initiative – Schweizer Recht statt fremde Richter“ festschreiben, dass die Bundesverfassung künftig im Rang über dem Völkerrecht steht. Dazu sagten 66 Prozent der Schweizerinnen Nein.

Die lange fast totale Diskursmacht der SVP in der Schweiz bekam Risse, die Agenda setzten andere. Bei den als „Klima- und Frauenwahl“ gewerteten Parlamentswahlen im Oktober 2019 verlor sie 12 ihrer bis dahin 65 Sitze.

In den Niederlanden stürzte der Islamhasser Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei PVV ab. 2017 bekam er 13 Prozent der Stimmen. Bei der EU-Wahl 2019 trat Wilders in Italien mit Salvini, Le Pen und Meuthen auf, wollte eine Fraktion mit ihnen bilden. Doch zu Hause wählten ihn nur 3,53 Prozent – die PVV scheiterte damit an der niederländischen Fünfprozenthürde.

Wilders’ Niedergang dürfte weniger auf eine politische Konjunktur zurückzuführen sein als auf ihn selbst. Seine Partei besteht nur aus ihm. Es fehlen eine soziale Basis und frisches Blut. Das rächt sich nun offenbar.

Die AfD stagniert – oder verliert

Die Niederländer wollten neue Gesichter in den Talkshows. An Wilders’ Stelle tritt nun allerdings das genauso rechte, marktliberale Forum für Demokratie mit Thierry Baudet, einer Art Posterboy der Neuen Rechten, der ein junges Publikum besser anzusprechen vermag als der geckenhafte Wilders.

Auch für die AfD geht es nicht nur aufwärts. Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg kam sie auf Ergebnisse zwischen 23,4 und 27,5 Prozent. Viele schockte der Blick auf die Gewinne und Verluste. Teils hatte die Partei ihren Stimm­anteil gegenüber der letzten Landtagswahl 2014 verdoppelt. Doch das verschleierte, dass sie nur in den ersten drei Jahren dieser Zeit – der Phase der hohen Flüchtlingsankünfte – stark zugelegt hatte. Seitdem stagniert sie – oder verliert.

Aufschlussreich ist dafür ein Blick auf die absoluten Zweitstimmen. Denn im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 machten 2019 etwa in Sachsen rund 75.200 Menschen weniger ihr Kreuz bei der AfD. Das war ein Minus von 12 Prozentpunkten gegenüber 2017. Und das, obwohl die Partei im September in Sachsen auf die Machtübernahme gehofft und alles Erdenkliche für den Wahlkampf mobilisiert hatte.

Im Thüringen verlor die AfD gegenüber der Bundestagswahl 2017 ebenfalls rund 12 Prozentpunkte, das waren hier etwa 34.700 Stimmen. In Brandenburg fiel der Verlust mit 3.600 Stimmen geringer aus. Doch der Befund ist derselbe: Der AfD sind in den letzten zwei Jahren Wähler auch wieder weggelaufen.

Hier dürften die mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die Steuer- und Spendenskandale eine Rolle spielen. Zudem leidet die AfD darunter, dass sie ihre Lieblingsthemen Islam und Flüchtlinge nicht mehr so stark in den Medien halten konnte. Gleichzeitig könnte sie mittelfristig in manchen Milieus durchaus auch mit ihrer Anti-Klima-Haltung punkten.

Vor allem in Osteuropa ist die Lage für die liberale Demokratie heute zweifellos desaströs. Und auch in anderen Teilen des Kontinents werden die Populisten gewiss nicht wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken. Aber ausgemacht ist das stetige Wachstum ihrer Machtfülle ebenfalls nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.