piwik no script img

Rechte Gewalt in Deutschland„Eine bedrohliche Entwicklung“

Mehr rechte Gewalttaten gab es seit 15 Jahren nicht mehr. Der Innenminister ist besorgt, die Justiz greift durch.

Immer gewalttätiger: Rechtsextreme, hier auf einer Kundgebung in Dresden Foto: dpa

BERLIN taz | Erst am Wochenende warfen Unbekannte nachts einen Brandsatz in ein Zwickauer Flüchtlingsheim. 15 Asylbewerber befanden sich da im Haus. Wachschützer konnten das Feuer löschen, es blieben nur Rußspuren. Dennoch: Die Gewalt war wieder da.

22.960 rechtsextreme Straftaten notierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr – so viele wie seit Einrichtung der Statistik vor 15 Jahren nicht. Allein zum Jahr davor bedeutet dies einen Anstieg um 34 Prozent. Rechte Gewalttaten stiegen gar um 44 Prozent.

Die Zahlen präsentierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag bei der Vorstellung der bundesweiten Kriminalitätsstatistik in Berlin. Er sprach von „geradezu explodierten“ Zahlen und einer „bedrohlichen gesellschaftlichen Entwicklung“. „Die gesamte Gesellschaft ist gefordert, dieser zunehmenden Radikalisierung entgegen zu treten.“

Vor allem Flüchtlinge traf die Gewalt. 1.031 Straftaten gegen Asylunterkünfte zählte das BKA im vergangenen Jahr, darunter 94 Brandstiftungen, vier versuchte Tötungs- und acht Sprengstoffdelikte – ein drastischer Anstieg. Zum Vergleich: Im Jahr davor gab es 199 Straftaten und sechs Brandanschläge.

Die Gewalt reißt nicht ab

Und der Hass geht weiter. In diesem Jahr zählten die Behörden erneut mehr als 431 Straftaten gegen Asylunterkünfte, davon 44 Brandstiftungen.

Dahinter steht eine Radikalisierung der rechtsextremen Szene in der jüngsten Flüchtlingsdebatte. In Heidenau randalierten Neonazis stundenlang vor einer Unterkunft, in Köln stach ein Rechter auf die Oberbürgermeisterin Henriette Rekers wegen derer Flüchtlingspolitik ein, in Magdeburg oder Wismar griffen Rechtsextreme Flüchtlinge mit Baseballschlägern an.

Auch bisher nicht auffällige Bürger wurden straffällig, die sich offenbar aufstacheln ließen. Für die Ermittler ein Problem: Die Aufklärungsquote bei Angriffen auf Asylunterkünfte liegt auch deshalb bei gerade mal 26 Prozent.

Justiz setzt Signale

De Maiziére beklagte auch die gestiegene linke Gewalt. 9.605 Straftaten beging die Szene, ein Anstieg um 18 Prozent, bei Gewalttaten um 34 Prozent. Hier stiegen laut dem Minister vor allem die „konfrontativen Gewalttaten gegenüber rechts und gegen Polizeibeamte“.

Im Bereich Rechts reagieren inzwischen Ermittler und Justiz. Bei der rechtsextremen „Oldschool Society“ und nach einer Anschlagsserie in Freital spricht die Bundesanwaltschaft von Rechtsterrorismus. Und rechte Brandstifter erhielten zuletzt hohe Strafen. Fast vier Jahre in Haft müssen zwei Männer aus Meißen, fünf Jahre zwei Täter aus Groß Lüsewitz, bis zu acht Jahre zwei Männer und eine Frau aus Salzhemmendorf. Bei Letzteren fanden die Richter in ihrem Urteil deutliche Worte: Die Tat sei „nichts anderes als ein gemeiner Terrorismus“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • "..die gestiegene linke Gewalt. 9.605 Straftaten.." Das sind die einzigen wesentlichen gestern in den Nachrichten bei mir hängen gebliebenen Zahlen. Dass diesen 22.960 rechtsextreme Straftaten aus 2015 gegenüberstehen muss mir glatt entgangen sein bei dem Eifer, mit dem die unerwünschten und durchaus unerfreulichen Aktivitäten aus der linken Szene lautstark in den Medien begleitet und geahndet werden. Höchste Zeit genauer hinzusehen und dafür zu sorgen, dass den Politikern und deren ausführenden Organen endlich auch die Augen für die strukturelle Gewalt von rechts geöffnet werden.

     

    Aber da ducken sich doch die meisten Medien weg.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Der Innenminister ist besorgt, ...

     

    was sicher wirkungslos bleiben wird.

  • Ach, kommt der eiserne Thomas auch schon drauf, dass 20.000 rechte Straftaten pro Jahr ein bißchen zu viel sind? Hätte er sich mal die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre etwas genauer angeschaut, wäre ihm vielleicht sogar aufgefallen, dass das regelmäßige Fazit "Die größte Bedrohung ist der Islamismus", nun, sagen wir mal... den Zahlen nicht entspricht (um es diplomatisch auszudrücken).

  • War ja klar, wenn von rechter Gewalt die Rede ist, muss sofort darauf hingewiesen das es auch linke Gewalt gibt.

    Mal eine Frage, wieviele links motivierte Tötungsdelikte oder versuchte Tötungsdelikte gab es?

     

    Wieviele "Linke" haben Gebäude angezündet?

     

    Nazis und "besorgte Bürger" fackeln Flüchtlingsunterkünfte ab, aber die Regierung darf nicht vergessen auf die bösen Linken zu zeigen...

    • @derSchreiber:

      WAS?

      Linke Gewalt ist doch wesentlich schlimmer!

      Man sollte alle Parteien links des linken CDU-Flügels verbieten!

    • @derSchreiber:

      Sicher. Der wahre Feind steht immer noch links. Dolchstoß, Sie wissen schon....

       

      ;)

  • Wer sich mit Migranten prügelt ist also automatisch ein "Rechter"? Während jemand der Steine auf Polizisten wirft ein "Linker" ist? Was soll diese verzweifelte Politisierung der Gewalt? Kann es nicht sein, dass es sich in beiden Fällen um abgestumpfte Gewaltverbrecher handelt, die auch ohne ideologische Einbindung gewaltätig geworden wären?

    • @FraMa:

      Nein. Es sind politische Flügel. Wobei ich schon sagen muß, daß der rechte Flügel natürlich eher als intellektuell abgestumpft gelten darf.

  • „Die gesamte Gesellschaft ist gefordert, dieser zunehmenden Radikalisierung entgegen zu treten.“

     

    Wen wundert es, wenn staatliche Institutionen wie der Verfassungsschutz, die Polizei und die Justiz jahrelang auf dem rechten Auge blind sind und in jeder Hausbesetzung gleich die Wiederauferstehung der RAF sehen.

     

    Die Radikalisierung der rechten Szene ist vor allem auch ein Versagen von De Maiziere und seinen Vorgängern meist aus der CDU/CSU.

     

    Und jetzt soll mal wieder die "Gesellschaft" dagegen ankämpfen...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Grisch:

      Eine Art "Aufstand der Anständigen"?

      Sollte es den nicht schon einmal geben?

  • Mit der Refeudalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft, die 1982 von der Gruppe Kohl-Genscher mit der "geistig-moralischen Wende" initiiert und bis 1998 dejure durch die eingschlägigen Gesetzgebung institutionalisiert und legalisiert wurde, ist das Primat der ständisch-korporativen Wirtschaft und Politik wieder aktiviert worden.

     

    Als die "Agenda 2010" mit der gesetzlichen und ideologischen Zerstörung der bis 1998 noch halbwegs rechtsstaatlichen und einigermassen fairen Erwerbsarbeitsmärkte und der quasi-totalitären Sozialgesetzverwaltungsrefom jenes faktische Zwangsarbeitswirtschaftssystem der Neuen Sozialen Marktwirtschaft mit der sogen. Neuen Mitte umgesetzt hatten, wurde von der Gruppe Schröder-Fischer tatsächlich die Gesellschaft von einem konsensual verfassten System in einen konfrontativ-elitären Besitzstands- und Erbbesitzherrschaftsstaat verwandelt.

     

    Dass die etablierten Macht-, Funktions- und Besitzkadereliten und unsere Klientel- und Lobbyinteressenvertretungsparalamentaristen unserer post-demokratischen Parlamente mit dieser real-existierenden Spaltung unsere Gesellschaft den Boden für die neuen "Retter" des rassisch-völkischen sowie nationalistisch-pseudosozialen Stände- und Burschenschaftssektors bereitet haben, mögen diese "Schein-"Elitekader verdrängen. An der Tatsache, dass wir heute schon wieder vor dem Phänomen "Bauern, Bonzen und Bomben" (Agrarindustriekonzerne, Konzernvorstände und Kapitaleigner sowie der industriell-militärische Industriekomplex) stehen, nichts mehr von Demokratie, Sozialstaat und Fairness sehen, sonder nur noch die Frage: "Kleiner Mann, was nun?" auf allen Wänden der Häuser dieses Landes lesen.

    • @Tao Lao:

      Danke! Sie haben es auf den Punkt gebracht.

       

      Das Jobcenter z.Bsp. übt massiv seelische Gewalt gegenüber den unfreiwlligen Arbeitslosen aus!! Das hat auch nichts mehr mit Demokratie zu tun! sondenr ist übelste Herrschaft um sich die eigenen Privilegien zu sichern. Da die Oberschicht sich die eigenen Taschen ständig befüllt, ÖD mit eingeschlossen, muß das Geld ja jemand anderen weg genommen werden.

       

      Wir leben schon lange in einer großen Verarsche und einem kriminellen System!!

      https://www.youtube.com/watch?v=-rSHH47jEpA

    • @Tao Lao:

      also, die "Strukturelle Gewalt:

       

      Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung ergänzte den traditionellen Begriff der Gewalt, der vorsätzlich destruktives Handeln eines Täters oder einer Tätergruppe bezeichnet, um die strukturelle Dimension:

       

      „Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist.“

       

      (…) Eine klassische Formulierung (der strukturellen Gewalt – Anm. von mir) dazu geht dabei wohl auf den im 5. Jahrhundert vor Christus lebenden chinesischen Philosophen Me-Ti zurück. Hier in der Interpretation von Bertolt Brecht aus dem Werk „Me-Ti. Buch der Wendungen“:

       

      „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“

       

      Wenn Herr de Maizière in die Geschichte seiner hugenottischen Vorfahren schaut, die aus Frankreich flohen, vor kirchlich-staatlichem Terror und Mord, nur weil sie Protestanten waren, dann ist er mitten im Thema Gewalt.

       

      Ungeachtet dessen (oder deshalb?) dienten sich die de Maizières den Herrschender jeglicher Couleur an.

       

      Willkommene Flüchtlinge, die zum Dank den Ländern mit zur Blüte verhalfen - aber auch in Kriege zogen, wie sein Onkel Ulrich, dem Führer in den letzten schweren Tagen stets zu Diensten. In anderen letzten Tagen diente Cousin Lothar der untergehenden DDR. Und alsbald sahen wir das jüngste Sproß, behelmt und sorgenvoll am Hindukusch...

      https://de.wikipedia.org/wiki/Strukturelle_Gewalt

      • @Gion :

        & TAO LAO

         

        Sehr gute Beiträge, danke.