Rechte Drohschreibenserie: War der „NSU 2.0“ wirklich allein?

Im Prozess zu der rechten Drohserie gilt Alexander M. als Einzeltäter. Doch es gibt Hinweise, dass er mit einem anderen Drohschreiber kooperierte.

Aufgeschürfte Hände in Handschellen

Alexander M. sitzt in Handschellen vor Gericht in Frankfurt. Handelte er wirklich allein? Foto: Boris Roessler/dpa

BERLIN taz | Die E-Mail erreichte den Rostocker Anwalt Thomas Penneke am 23. Mai 2020. Er schreibe ihm wegen dessen Mandanten André M., erklärte der Absender. „Denn ich kenne Ihren Mandanten seit vielen Jahren persönlich sehr gut.“ Schon als dieser minderjährig gewesen sei, habe er ihn in einem Chatforum kennengelernt, später habe man auch telefoniert. Und der Verfasser nennt auch den Namen des Forums und damalige Nutzernamen. André M. könne „Ihnen von mir berichten“, wird Penneke informiert.

Es ist eine bemerkenswerte Nachricht. Denn sie stammt laut Ermittlern von Alexander M., der derzeit vor dem Landgericht Frankfurt am Main angeklagt ist als Verantwortlicher für die rechtsextreme NSU-2.0-Drohserie. Der 54-Jährige war an besagtem 23. Mai 2020 aber noch längst nicht von der Polizei identifiziert – erst ein Jahr später wurde er verhaftet. Und sein vermeintlich guter Bekannter André M. war damals Beschuldigter für eine andere Drohserie: die der selbsternannten „Nationalsozialistischen Offensive“.

Vor zwei Wochen nun begann der Prozess gegen Alexander M. vor dem Landgericht in Frankfurt. Laut Anklage ist er alleiniger Verfasser der Drohschreiben. In 116 Schreiben soll er Engagierte gegen Rassismus wie die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız oder die Kabarettistin İdil Baydar fast drei Jahre lang beschimpft und mit dem Tod bedroht haben, immer wieder mit Nennung privater Daten. Aber handelte Alexander M. wirklich allein?

Kooperierten mehrere Rechtsextreme?

Bis heute halten es einige Bedrohte für nicht ausgeräumt, dass auch Polizisten an der Drohserie beteiligt waren. Denn in den Fällen von Başay-Yıldız und Baydar sowie der ebenso bedrohten Linken-Chefin Janine Wissler erfolgten kurz vorher Abrufe ihrer Daten auf Polizeirevieren, für die sich kein dienstlicher Grund fand. Mit der E-Mail an Rechtsanwalt Penneke, die Ermittler aufspürten, stellt sich nun aber auch die Frage, ob Alexander M. nicht auch mit anderen Rechtsextremen kooperierte. Zum Beispiel mit André M.

Tatsächlich behauptete Alexander M. zu Prozessbeginn, nicht er, sondern eine Chatgruppe im Darknet, zu der auch Polizisten gehörten, hätte die Drohschreiben verschickt. Namen nannte er nicht. Im Darknet unterwegs war tatsächlich auch besagter André M. Im April 2019 war der 34-Jährige festgenommen worden. Zuvor soll er in nur wenigen Monaten, von November 2018 bis März 2019, als Nationalsozialistische Offensive (NSO) gut hundert Nachrichten verschickt haben, auch hier mit derben Beschimpfungen und Morddrohungen. Im Dezember 2020 wurde er dafür vom Berliner Landgericht zu vier Jahren Haft verurteilt.

Als im April 2020 der Prozess gegen André M. begann, erhielt das Gericht eine Bomben­drohung vom NSU 2.0

All dies erfolgte parallel zur seit August 2018 laufenden Drohserie des NSU 2.0. Und in der tauchte mit der Festnahme von André M. im April 2019 plötzlich auch dessen Name auf. Bereits drei Tage nach der Verhaftung erhielt das LKA Berlin vom NSU 2.0 ein Schrei­ben, in dem behauptet wurde, die Polizei habe mit André M. „den Falschen“ festgenommen – inklusive Nennung seines Geburtsdatums und seiner Adresse, beides damals öffentlich nicht bekannt. Kurz darauf folgte eine E-Mail mit dem Hinweis, dass M. herzkrank und schon vor Jahren in einer JVA „terrorisiert“ worden sei. Später wurden auch seine Gefangenennummer und das Aktenzeichen seines Verfahrens benannt, auch das nicht öffentlich bekannt.

In weiteren Drohschreiben forderte der NSU 2.0 dann die Freilassung von André M. Er sei unschuldig, die Mails des NSO hätten vielmehr „wir geschrieben“. In anderen Schreiben wurde als Absendername André M. angeführt oder ein „Kommando André M.“. Und als im April 2020 der Prozess gegen Andre M. vor dem Berliner Landgericht begann, ging dort eine Bombendrohung des NSU 2.0 ein. Die Presse solle „in ihrem eigenen Blut ersaufen“, hieß es darin. Die Polizei ließ das Gebäude durchsuchen, Sprengsätze fand sie nicht. Aber Ermittler entdeckten später auf dem PC von Alexander M. einen verschlüsselten Ordner, der den Namen von André M. trug – knacken konnten sie ihn nicht.

„Vereinigung aus mehreren kleinen Gruppen“

Und schon in den NSO-Drohschreiben, für die André M. verurteilt wurde, hieß es, man sei eine „rechtsterroristische Vereinigung aus mehreren kleinen Gruppen“ – „darunter die Nationalsozialistische Offensive, NSU 2.0 und Wehrmacht“. Die Rede war auch dort schon von einer „Liste“, die der NSU 2.0 ins Darknet gestellt habe, mit der „auch die Anwälte in Deutschland bedroht“ würden. Und in einem Darknetforum, in dem André M. verkehrte, war auch ein Nutzer namens „NSU“ aktiv.

Und jener André M. schrieb nach seiner Verurteilung, im Mai 2021, eine E-Mail an Linken-Chefin Janine Wissler. Er wolle sich entschuldigen für die Drohungen gegen sie, erklärte der 34-Jährige. Diese gingen aber auf das Konto des NSU 2.0, mit dem er bis zur Verhaftung „in Kontakt stand“. Die Polizei fand später heraus, dass M. seiner Mutter den Text diktiert hatte, die ihn über seine E-Mail-Adresse verschickte.

Gab es tatsächlich eine längere Bekanntschaft zwischen André M. und Alexander M., wie in dem Schrei­ben an Anwalt Penneke und an Wissler behauptet? Und auch eine Kooperation bei den Drohserien, zumindest bis zur Festnahme von André M.? Für die Bedrohten würde es die Dimension des Falls noch größer machen. Und es bliebe die Gefahr, dass noch weitere Personen involviert waren, die weiter auf freiem Fuß sind.

Alexander M. selbst sagte auf Nachfrage von Opferanwälten im Frankfurter Prozess, er kenne André M. nicht. Seine Aussagen sind aber mit Vorsicht zu genießen – denn der 54-Jährige behauptete auch, überhaupt niemanden der Bedrohten zu kennen. Anwalt Penneke wiederum, der André M. vertritt, ließ eine taz-Anfrage bislang unbeantwortet.

Ermittler sehen Komplizenfrage als ungeklärt

In Ermittlungspapieren zur NSU 2.0-Serie ist das Bild zu dieser Frage uneindeutig. Dort heißt es zwar, man gehe davon aus, dass Alexander M. allein die Drohschreiben verfasste. Hinweise auf ein „täterseitiges Zusammenwirken“ hätten sich nicht erhärtet. Die Informationen über André M. habe er sich „höchstwahrscheinlich“ aus dem Internet besorgt. Andererseits räumen die Ermittler auch ein, dass sie letztlich nicht klären konnten, wie Alexander M. etwa an die Gefangenennummer von André M. gelangt war. Letztlich, so ihr Resümee, lasse sich die Frage nach der möglichen Komplizenschaft „noch nicht zweifelsfrei beantworten“.

Aufschluss geben könnte hier das Onlineforum, in dem sich laut dem NSU-2.0-Schreiben an Anwalt Penneke Alexander M. und André M. einst trafen. Laut Ermittlungspapieren wurde es von Alexander M. tatsächlich besucht. Im Internet ist das Forum indes nicht mehr aufrufbar. Dass die Ermittler hier intensiver nachforschten, ob dennoch Daten rekonstruierbar sind, ist nicht bekannt. Damit bleibt es wohl an dem Frankfurter Prozess, in dieser Frage noch für Aufklärung zu sorgen.

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