Rechte Ausschreitungen in Ostdeutschland: Der Sturm auf die Malzfabrik

Die „Nein zum Heim“- Bewegung gegen Geflüchtete hat im Osten spezifische Ursachen: die Siege der Rechten in den 1990er Jahren.

jüngere Frauen in Winterkleidung halten Schilder hoch: Upahl sagt Nein oder R.I.P Upahl

Protest in Wismar gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft in Upahl Foto: Bernd Wüstneck/dpa

So alarmierend die Schlagzeilen auch klangen, als vor einer Woche ein wütender Mob versuchte, den nordwestmecklenburgischen Kreistag in Grevesmühlen zu stürmen, um eine neue Flüchtlingsunterkunft im Nachbardorf Upahl zu verhindern, die mediale Nachlese des Vorgangs ließ zu wünschen übrig. Klar, die Grevensmühlener Malzfabrik, Nebensitz des Kreistags, ist demokratiesymbolisch weniger aufgeladen als das Capitol in Washington oder der Berliner Reichstag. Auch konnte ja das Schlimmste verhindert werden. Aber Grevesmühlen … da war doch mal was?

Ja, das Nazidorf Jamel zum Beispiel, dessen völkische Siedler antifaschistischen Nachbarn schon mal die Scheune anzündeten – wenigstens mutmaßlich. Die Ermittler konnten damals, 2015, „keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund“ erkennen und legten den Fall bald ungelöst zu den Akten. Oder das nur einen Spaziergang vom Kreistagssaal entfernte „Thinghaus“, lange Zeit ein bundesweit bekannter Nazitreff. Betrieben wurde es von Sven Krüger, dem halb Jamel gehört, finanziert wohl maßgeblich von der NPD. Nachdem diese zuletzt den Einzug in den Landtag verpasste und deshalb weniger üppig wirtschaften kann, steht es zum Verkauf.

Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft

Und noch was war da: Drei junge Grevesmühlener Rechtsextreme nämlich, die ganz zufällig vor Ort waren, als 1996 zehn Menschen beim Brandanschlag auf eine Lübecker Flüchtlingsunterkunft starben. Trotz frischer Brandspuren in ihren Gesichtern wurden sie, dank eines Alibis für die allerdings nie genau bestimmte Tatzeit, schnell wieder auf freien Fuß gesetzt. Einen vierten Beteiligten am Ausflug nach Lübeck deckte das ohnehin wackelige Alibi zwar nicht, aber der wurde nicht mal erkennungsdienstlich erfasst. Gerüchten zufolge soll es sich bei ihm um einen V-Mann des Verfassungsschutzes gehandelt haben. Also machte man lieber einem der Bewohner der Unterkunft den Prozess („Dönermord“, ick hör dir trapsen), um nach dessen Freispruch die Ermittlungen ganz einzustellen. Dass einer der Grevesmühlener die Tat inzwischen mehrfach gestanden hatte – egal.

Die Antifaschistin Lina E. und ihre drei Mitangeklagten hingegen, denen tätliche Angriffe auf Rechtsextreme in Sachsen und Thüringen zur Last gelegt werden, können sich über mangelnden Ermittlungseifer nicht beschweren. Die befinden sich seit über zwei Jahren in Untersuchungshaft. Es macht wohl einen Unterschied, ob man Flüchtlinge ermordet oder deutsche Nazis prügelt.

Was aus den vier möglichen Brandstiftern aus Grevesmühlen wurde, man weiß es nicht. Vielleicht verdingten sie sich als Türsteher im „Thinghaus“, züchten in Jamel reinrassige deutsche Rinder oder haben sich zu ordentlichen Grevensmühlener Bürgern entwickelt. Letzteres ist gar nicht unwahrscheinlich, denn davon gibt es viele. Als Modellstadt des Förderprojekts „Smart Cities made in Germany“ und gesegnet mit der niedrigsten Arbeitslosenquote Mecklenburg-Vorpommerns, passt Grevesmühlen so gar nicht ins Klischee abgehängter ostdeutscher Provinzgemeinden. Digitalisierung und Energiewende werden hier großgeschrieben. Die AfD sitzt zwar im Kreistag, nicht aber in der Stadtvertretung. Mag sein, Grevesmühlen ist keine touristische Top-Destination, doch ein Schandfleck ist es auch nicht.

Wer verstehen will, warum der Plan für die Unterbringung von 400 Flüchtlingen in einer Stadt wie dieser zu derart gewalttätigen Tumulten führte, muss drei Jahrzehnte zurückblicken und sich an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen vom 22. bis 26. August 1992 erinnern. Damals hatten junge Rechtsex­treme, angefeuert von einer stetig wachsenden Menge sogenannter Normalbürger und umringt von untätigen Polizisten, die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber sowie ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter angegriffen und in Brand gesteckt – mit Erfolg. Asylbewerber und Vietnamesen wurden evakuiert, der Bundestag beschränkte wenig später das Asylrecht und die Angreifer kamen weitgehend straflos davon.

Prägungen, die bleiben

Ein echtes Fanal, nicht nur für die militante rechte Szene in Ostdeutschland, auch für jene, die zwar keine Hakenkreuze an Wände sprühen, aber tief verwurzelte rassistische Ressentiments in sich tragen und deren völkisches Empfinden in der Nachwendezeit unter der tiefen Kränkung zu leiden hatte, dass sie mit dem Anschluss an die BRD auch deren gesamte Lebenswirklichkeit erreichte – Migranten inklusive. Ihr in Rostock lautstark geäußertes „Deutsche zuerst!“ war erhört worden, der Staat war eingeknickt, und jeder, der den Gewalttätern klammheimlich die Daumen gedrückt hatte, durfte sich bestätigt fühlen. Die Regierenden blieben der Feind, wie sie es schon in der DDR gewesen waren, und sie, „das Volk“, hatten erneut den Sieg davongetragen.

Das sind Prägungen, die bleiben. Die AfD füttert sie, wenn sie „Die Wende vollenden!“ plakatiert, und für die nach Rostock mit Staatsgeldern gepäppelte rechte Szene bleibt das ungebrochene völkische Empfinden stets eine offene Tür, um neue Fanale zu inszenieren. Die „Nein zum Heim“-Bewegung wird derzeit überall wieder lauter. Aber statt sich mit ihrem Nährboden zu befassen, suchen Politiker und Intellektuellendarsteller, wie die Autorin Juli Zeh, die Gründe dafür in der Flüchtlingspolitik Angela Merkels: Mithin sind nicht Nazis das Problem, sondern die Flüchtlinge. Da können noch so viele Bücher zum Thema erscheinen, der nachhaltige Zivilisationsbruch der „Baseballschlägerjahre“ ist noch immer nicht in den Köpfen angekommen. Die Neunziger werden nicht nur von Leuten wie Zeh als „ruhige“ und „absolut optimistische Zeit“ wahrgenommen.

Mag die Form des Protests in Grevesmühlen auch einer klar ostdeutschen Spezifik unterliegen, für das Gedankengut dahinter gilt das nicht. Im hessischen Main-Taunus-Kreis etwa, wo man sich des fünftgrößten Kauftkraftindex aller deutschen Land- und Stadtkreise rühmt, muss sich niemand von seiner Couchlandschaft erheben, um den Kreistag zu stürmen. Da schreibt der Landrat selbst, assistiert von allen 12 Bürgermeistern, einen Brandbrief an den Bundeskanzler, weil inzwischen ganze 8.599 der rund 240.000 Einwohner des Kreises Flüchtlinge sind: „Die Grenze ist erreicht.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.