Recht auf Namensänderungen: Erobern wir den Namen!
In Italien darf der Nachname eines Kindes nun nicht mehr automatisch der des Vaters sein. Auch in Deutschland gibt es Nachholbedarf beim Namensrecht.
Dieser Text könnte ebenso gut mit den Worten „Von Nicole Einhorn“ beginnen, hätte ich vor Jahren heiraten wollen. Habe ich nicht, auch wenn der Name brillant war. Mein Geburtsname wäre damit verschwunden, das hätte ich gut gefunden. Lange Zeit wollte ich einfach nur meinen Nachnamen loswerden, damit meine Familiengeschichte nicht so unangenehm dicht an meinem Namen klebt. Es war für mich der einzig einleuchtende Grund, warum eine Person mit Passprivileg heiraten sollte: um die Verbindung zur Familie ein bisschen unsichtbarer zu machen.
Empfohlener externer Inhalt
Denn den Nachnamen zu ändern ist ohne Heirat schwierig in Deutschland: Er kann geändert werden, wenn „die Änderung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt“ ist. Wenn der Nachname Müller ist, ein ß oder ein ä enthält, die Nachbarin den gleichen Namen trägt oder er witzig ist, kann der Name in Deutschland geändert werden. Sonst entscheidet der Einzelfall. Es kann bis zu 1.022 Euro kosten. Warum nicht stattdessen einfach heiraten?
Sibel Schick hat 2018 schon erklärt, warum das guttun kann: sich einen neuen Namen aussuchen, nachdem man sich schon Vater und Geburtsnamen nicht aussuchen konnte. Oft hallen die Namen der Väter nach.
In Italien wurde diese Woche ein absurdes Gesetz abgeschafft: In Italien geborene Kinder erhielten bislang bei der Geburt automatisch den Nachnamen des Vaters. Weil Frauen nach der Hochzeit ihren Nachnamen behalten, führte das bislang dazu, dass Kinder anders heißen als ihre Mütter. Der Verfassungsgerichtshof in Rom urteilte, dass das sowohl gegen die italienische Verfassung als auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Denn die bestehende Norm sei „diskriminierend und schädlich für die Identität des Kindes“. Das Parlament muss das Gesetz nun ändern.
Die Art, wie Nachnamen weitergegeben werden oder entstehen, ist oft patriarchal geregelt: Wenn in Island ein Kind geboren wird, gibt es nicht wie hier einen „Familiennamen“, der weitergetragen wird, sondern einen Nachnamen, der aus dem Vornamen des Vaters besteht und einem -son, was Sohn, oder -dóttir, was Tochter heißt. Die Kinder von einem Kristian Stefánsson heißen also Kristiansson und Kristiansdóttir mit Nachnamen.
In Japan hatten fünf Frauen 2015 vergeblich gegen ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert geklagt, das festlegt, dass Frauen nur dann ihren Geburtsnamen behalten dürfen, wenn der Ehemann ihn auch annimmt.
Etwa 6 Prozent der Männer nehmen den Namen der Frau an
Bis 1976 war es in Deutschland Pflicht, dass Frauen den Nachnamen des Mannes annahmen. In einem Fachkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch hieß es als Begründung: „Der Frau ist ein Namenswechsel im Zweifel eher zumutbar, da sie als die zumeist Jüngere vor der Heirat weniger lang im Berufsleben stand, nachher zur Versorgung der Kleinkinder oft einige Jahre aus dem Beruf ausscheidet sowie überdies in ihm häufig weniger hohe Positionen einnimmt als im Durchschnitt der Mann.“
Durch das Verbot, den Nachnamen der Frau vor 1976 annehmen zu dürfen, sind viele Nachnamen heute noch die von Vätern und Vätersvätern: Egal für welchen Nachnamen sich Menschen mit deutschen Vorfahren entscheiden, er wird früher oder später auf dem Namen eines Mannes basieren. Und so wird er dann eben auch an die Kinder weitergetragen. In Deutschland gibt es dazu absurde Regelungen: Wenn beispielsweise eine Lydia Saleh bei der Hochzeit den Nachnamen Funk-Saleh wählt und ihr Mann weiterhin Paul Funk heißt, wird das Kind automatisch Funk heißen, weil es der verbindende „Familienname“ ist. Wenn das Kind zwischen 1991 und 1994 geboren wurde, hätte es die Möglichkeit gehabt, Funk-Saleh zu heißen. Heute nicht mehr.
Immerhin: Dass Doppelnamen für beide Ehepartner:innen gelten, will die Ampelkoalition einführen. Egal wie man es dreht und wendet, der italienische Gerichtshof hat schon recht, der Name ist Teil der eigenen Identität. Er steht auf dem Klingelschild, auf jedem Brief, den man erhält, wütende Freund:innen und Familienmitglieder rufen den Namen auch gerne mal im Ganzen aus. Und wer hat sie nicht, die Freund:innen, die man nur mit Nachnamen anspricht? Der Nachname kann genauso Teil der Identität sein wie der Vorname.
Das ist vor allem Männern bewusst: In Japan entscheiden sich nur etwa 4 Prozent der Männer, den Namen der Frau anzunehmen, in der Schweiz sind es circa 2 Prozent und in Deutschland etwa 6 Prozent. Und überhaupt, von Männern und Frauen mit einem Kind zu schreiben hat einen Kernfamilienbeigeschmack, der sehr viele Lebensrealitäten außer Acht lässt: Was ist mit den queeren Paaren, die beim Heiraten aufgrund von queerfeindlichen Erfahrungen in der eigenen Familie beide Familiennamen ablegen möchten? Was ist mit polyamoren Familien, die sich über einen gemeinsamen Nachnamen freuen würden? Was ist mit Familien, deren Name „eingedeutscht“ wurde – und die zurückwollen zum eigentlichen Namen?
Namen einfach frei erfinden
In englischsprachigen Ländern gibt es dafür eine gelungene Lösung: Menschen können ihre Namen selbst festlegen. Mithilfe der deed poll, einer Urkunde, kann das geschehen. Aber auch durch eine vergleichsweise unbürokratische Änderung im Pass, die dann der Nachweis ist. Das gilt in vielen Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Nigeria, Pakistan und Australien. Damit könnten auch anderswo Lebensrealitäten erfasst werden, mit denen sich die Gesetzesgebung bislang schwertut: Wenn polyamore Menschen heiraten wollen und nicht können, würde es so immerhin ein Signal nach außen geben: He, wir sind eine Familie, wir heißen alle Markies, und wir gehören zusammen.
Menschen, die keine Familie gründen wollen, aber den Familiennamen ablegen möchten, könnten so einen ganz eigenen Namen schaffen. Und Menschen, die aufgrund ihrer Familiengeschichte zurückwollen zu einem Namen, können das damit. Selbst für die Kleinfamilie ist etwas dabei: Können sich Ehepartner:innen nicht entscheiden, wer welchen Namen annimmt, erfinden sie einfach einen neuen.
Dass in Deutschland eine Art deed poll umgesetzt wird, ist unwahrscheinlich. Schade eigentlich. Aber mittlerweile ist mein Name für mich auch okay: Ich habe verstanden, dass meine Familiengeschichte auch ohne Familienname an mir klebt. Mein Name gehört mittlerweile zu mir, nur selten noch muss ich dabei an meine Familie denken – wenn überhaupt, dann in Verbindung mit Menschen, die ich liebe.
Als Journalistin ist das nicht schwer: Wenn ich meinen Text in der Zeitung, in einem Magazin oder im Internet lese, denke ich: Ha, das war ich. Mit jedem Text, den ich schreibe, mache ich mir meinen Nachnamen etwas mehr zu eigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen